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Politik: Historische Anstrengung

Die Europäische Union will den Balkan integrieren – auch aus Angst vor neuen Kriegen

Von Matthias Meisner

Berlin - EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso beschreibt die Aussichten klar. „Historische Verantwortung“ und „Test für wirkliche politische Führung“ nennt er es, den Balkan insgesamt in die Gemeinschaft zu integrieren. Nachdem von den Ländern des früheren Jugoslawiens Slowenien bereits seit 2004 Mitglied der EU ist und Brüssel mit den demokratischen und ökonomischen Fortschritten seines Beitrittskandidaten Kroatien zufrieden ist, sollen die Perspektiven für Bosnien-Herzegowina, Serbien, Mazedonien und das eben erst unabhängig gewordene Montenegro – sowie für das benachbarte Albanien – folgen. Falls die Integration des Balkans nicht gelinge, so drohten dort nicht nur neue Kriege, auch so schwer wiegende Probleme wie Menschenhandel und Schmuggel könnten kaum bekämpft werden.

Erhard Busek, Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, sieht das ganz ähnlich. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel betont der frühere österreichische Vizekanzler, auch Montenegro, das sich am Pfingstwochenende offiziell von Serbien losgesagt hat, müsse die gleiche Perspektive bekommen, wie sie für die gesamte Region festgelegt sei. Mit Blick auf den Kleinstaat an der Adria sagt er: „Man muss die positiven und negativen Seiten abwägen.“ Auf der Habenseite verbucht er, dass das allzeit schwierige Verhältnis Serbien- Montenegro jetzt beendet sei. „Die negative Seite mag sein, dass es Zweifel gibt, wie stark Montenegro selber sein kann. Aber wenn man eine Unabhängigkeit wollte, wird man sich danach selber mehr anstrengen“, sagt er mit Blick auf das künftige Vorgehen der Regierung in Podgorica voraus. „Das Beispiel der Slowakei zeigt, dass wir alle sehr skeptisch waren, dass es bislang aber eine Erfolgsgeschichte ist“. Und entsprechend werden die Weichen gestellt: Als erster Staat erkannte Island die Unabhängigkeit Montenegros an – noch bevor die EU-Außenminister entsprechend entschieden. Gut 55 Prozent der Bürger Montenegros hatten sich Ende Mai in einem Referendum für die Loslösung von Belgrad entschieden.

Derweil sieht Busek Serbien in einem „sehr schmerzlichen“ Prozess, der 1991 mit dem Zerfall von Jugoslawien begann. „Denn die Serben hatten an sich das Gefühl – und das war auch nicht ganz falsch –, dass sie Jugoslawien dominieren. In Wirklichkeit erleben sie einen ständigen Reduktionsprozess.“ In diese Situation, fordert Busek, „muss man sich hineinfühlen“. Zumal die Abspaltung des Kosovos durchaus wahrscheinlich ist. Busek selbst spricht diplomatisch von einer „Road Map“, die „mehr und mehr zu einer Autonomie, zu mehr Unabhängigkeit von Serbien führen wird“. Zugleich aber kritisiert der EU-Koordinator die Führung in Belgrad, unter anderem, weil sie so wenig zur Festnahme von Kriegsverbrechern unternehme. „Mit wenigen Ausnahmen haben die serbischen Politiker eines unterlassen: klipp und klar zu sagen, dass sie mit dem Erbe von Milosevic zu kämpfen haben. Milosevic hat Serbien erst in diese missliche Situation gebracht.“

Der Einschätzung Barrosos, dass ohne die Erweiterung der EU um den Balkan schwer wiegende Probleme drohen, stimmt Busek „im Prinzip“ zu. Er sagt mit Blick auf Menschenhandel und Drogenschmuggel aber auch: „Das Problem liegt darin, dass die Administrationen dieser Staaten relativ schwach sind. Wobei man einmal sehr deutlich sagen muss, dass das auch unser Problem ist: Wenn es keine Nachfrage nach Drogen und sexuell missbrauchten Kindern gibt, gibt es auch keinen Markt dafür. Die Länder der Region müssen etwas tun, sie brauchen die Zusammenarbeit mit uns. Aber auch wir haben eine Verpflichtung mehr zu tun als bislang.“

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