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Politik: Höchst nachhaltig

Merkel und Wulff feiern das Verfassungsgericht

Von Fatina Keilani

Draußen vor dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe standen Demonstranten. Drinnen galt es, mit einem Festakt die zu ehren, die gerade auch das Demonstrationsrecht gestärkt haben: Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts. 60 Jahre wird das Gericht alt, 127 Bände umfasst die Entscheidungssammlung. Von A wie Apothekenurteil bis Z wie Zuwanderungsgesetz habe es mit seinen Entscheidungen die Republik geprägt, seine Grundrechtsdogmatik sei ein Exportschlager in Europa, sagte Bundespräsident Christian Wulff. Dann wurde er kritisch: „Sorgen bereitet mir eine Tendenz der Politik, mit den Vorgaben unserer Verfassung und der Europäischen Verträge recht nonchalant umzugehen, um bestimmte Ziele zu erreichen“, sagte Wulff. Die Politik neige dazu, die vom Grundgesetz vorgegebenen Verfahrensregeln zu umgehen. Er kritisierte die Auslagerung wichtiger Debatten in externe Kommissionen und die Inanspruchnahme privater Berater zur Ausarbeitung von Gesetzentwürfen. Wenn die Exekutive ohne Befassung des Bundestags über die Aussetzung der Wehrpflicht oder das Atommoratorium entscheide, leide die Parlamentsbeteiligung, und wenn Wirtschaftseliten Verträge missachteten und die Politik Fristen nicht einhalte, leide am Ende auch die Rechtstreue der Bürger.

Das Bundesverfassungsgericht sei deshalb der „Schlussstein im Kuppelbau unserer Verfassungsarchitektur“. Ohne ihn würde die Kuppel einstürzen. Zwei Lehren hätten die Schöpfer unserer Verfassung aus der deutschen Geschichte gezogen, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrem Grußwort: „Recht vor Macht und wirksame Kontrolle der Macht durch das Recht.“

Macht werde in die Schranken gewiesen. „Das Bundesverfassungsgericht spricht auch da, wo es schweigt“, so Merkel. Jeder Jurastudent lernt dies unter dem Stichwort „Wesentlichkeitsrechtsprechung“: Wesentliche Fragen gehören ins Parlament. Nur hier soll durch Gesetze die gesellschaftliche Wirklichkeit gestaltet werden. Das Gericht zeigt allenfalls Spielräume auf.

Die Festredner ließen es nicht dabei, auf richtungsweisende Urteile hinzuweisen. Vor allem Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle bereitete das Auditorium auf Fragen der Zukunft vor, er nannte die Themen Europa, Nachhaltigkeit, neue Technologien und die Überprüfung, ob das verfassungsrechtliche Versprechen auf gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland noch zu halten ist. Die Zeiten unbekümmerten Wachstums seien vorbei, sagte der erst 47-jährige Gerichtspräsident. Umweltbelastung, Klimawandel und das Schwinden der Ressourcen gäben dem Thema Nachhaltigkeit eine verfassungsrechtlicheDimension, „die wir wohl stärker in den Fokus rücken werden.“

Der Prozess der Europäisierung undInternationalisierung schreite voran, daran werde die Finanzkrise wenig ändern. Einen Bedeutungsverlust der nationalen Verfassungen und Verfassungsgerichte bedeute dies aber nicht. Im Zusammenhang mit neuen Technologien schnitt Voßkuhle eine weitere Grundsatzfrage an. Klassischerweise seien die Grundrechte Abwehrrechte des Bürgers gegen staatliche Eingriffe. Neu sei, dass Bürger immer öfter in ihren Freiheiten durch Private, etwa Unternehmen, beeinträchtigt würden.Der Staat habe hier eine Schutz- und Gewährleistungsverantwortung, die verfassungsrechtlicher Absicherung bedürfe. Hier sehe er noch viel Arbeit. Voßkuhle forderte, das Gericht zu entlasten. Von 4620 Verfahren in Jahr 2001 sei man mittlerweile bei fast 6500 im vergangenen Jahr angelangt. Weniger als zwei Prozent allerVerfassungsbeschwerden seien erfolgreich, die meisten seien unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Da stelle sich die Frage, ob die Ressourcen des Gerichts nicht besser genutzt werden könnten.

Zu den rund 1000 Gästen des Festaktes zählten neben vielen Ministern und Ministerpräsidenten der Länder auch dieAlt-Bundespräsidenten Walter Scheel und Roman Herzog sowie BundestagspräsidentNorbert Lammert (CDU).

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