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Politik: „Höchst riskant“

Nach Merkels Kritik an der eigenen Partei wächst in der CDU die Sorge, dass die Diskussion ausufert

„Nur kein Sommertheater“, lamentierte Brandenburgs CDUChef Jörg Schönbohm am Montag im Bundesvorstand, „sonst verliere ich die Landtagswahl.“ Philipp Missfelder, Bundesvorsitzender der Jungen Union, der im vorigen Jahr die Sommerschlagzeilen mit der Hüftgelenk-Diskussion beherrscht hatte, daraufhin: „Keine Sorge, ich fahre in Urlaub.“

Doch diesmal haben die Probleme der Christdemokraten mit dem Sommertheater einen sehr viel prominenteren Ausgangspunkt. Mit ihrem selbstkritischen Interview über den Zustand der CDU hat Angela Merkel, die CDU-Vorsitzende, einen Diskussionsprozess ausgelöst, den einer ihrer Präsidiumskollegen für „höchst riskant“ hält: „Im Grunde genommen hat sie damit die Tür für eine ziellose Debatte geöffnet, und der erste Idiot, der da durchgelaufen ist, war Jürgen Rüttgers.“

Der CDU-Chef in Nordrhein-Westfalen, der 2005 Ministerpräsident werden will, hatte am Wochenende ein Papier in Umlauf gebracht, das sich von der offiziellen Beschlusslage der Partei zur Reform des Gesundheitssystems ziemlich weit entfernt. Rüttgers schlägt einen Mittelweg zwischen Gesundheitsprämie, wie sie die CDU beschlossen hat, und dem bestehenden System einkommensabhängiger Beiträge vor. Das aber gehe nicht, musste er sich daraufhin von Roland Koch im Präsidium sagen lassen: Das sei ein „binäres System“, in dem es nur eins oder null, dieses oder jenes Modell gebe – nichts dazwischen. Nun legte Rüttgers noch eins drauf: Er will sein Papier am Donnerstag vom Landesvorstand absegnen lassen. Eine entsprechende Beschlussvorlage wurde den Vorstandsmitgliedern gestern zugestellt.

Roland Koch ist indes auch mit der Merkelschen Selbstkritik ganz und gar nicht einverstanden. Er sei „mit der Reformdiskussion in den Reihen der Union sehr zufrieden. Richtige Lösungen lassen sich nicht mit Befehl und Gehorsam, sondern nur mit heftiger Auseinandersetzung und intellektuellem Ringen erreichen“, zitiert ihn am Dienstag die „Neue Presse“ Hannover. Und inhaltlich sieht er die Union trotz aller unausgegorenen Konzepte durchaus im Zeitplan.

Die Parteispitzen waren am Dienstag bemüht, die Auseinandersetzung herunterzuspielen. Sachsen-Anhalts Regierungschef Wolfgang Böhmer sagte dem Tagesspiegel, jeder wisse, dass es in der Union „eine ganze Reihe von Reformprojekten gibt, die noch nicht zu Ende konzipiert sind“. Die Aufforderung, „sich zu einem Ergebnis zusammenzuraufen, das wir dann gemeinsam tragen, ist sachlich berechtigt und nicht neu“. Hamburgs CDU-Landesvorsitzender Dirk Fischer korrigierte Koch: „Frau Merkel hat nicht von Befehl und Gehorsam gesprochen.“ Die Union sei in einem Klärungsprozess auf wichtigen Politikfeldern: „Es geht um die Optimierung der Qualität eines Politikangebots. Wir schreiben jetzt kein Programm.“ Die Union müsse „als bessere Alternative wahrgenommen werden, nicht als kleineres Übel“. Und Niedersachsens Regierungschef Christian Wulf mahnte, Merkel habe zu Recht Geschlossenheit gefordert: „Wir dürfen uns vom Stimmengewirr der rot-grünen Bundesregierung nicht anstecken lassen.“

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