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Politik: Hohe Erwartungen und gereizte Stimmung vor dem Besuch von Johannes Paul II.

Der Papst im Heiligen Land: Auf seiner 91. Auslandsreise wandelt Johannes Paul II.

Der Papst im Heiligen Land: Auf seiner 91. Auslandsreise wandelt Johannes Paul II. auf den Spuren Jesu - und auch durch politische und interreligiöse Minenfelder. Nichts, aber auch wirklich nichts bleibt im Vorfeld der Pastoralvisite unumstritten - und trotzdem herrscht unter den jordanischen und palästinensischen Moslems und im jüdischen Staat Israel echte Vorfreude - von der winzigen Christengemeinde im Heiligen Land ganz zu schweigen.

Historisch nennt man allseits den Besuch, den zweiten eines Papstes seit Urzeiten, den zweiten auch dieses Papstes persönlich. 1964 weilte Paul VI. im Heiligen Land, ein Jahr später Karol Wojtyla als Erzbischof von Krakow. Doch als was die Reise des 264. Papstes ins Heilige Land in die Geschichtsbücher eingehen wird, ist abzuwarten: Als Pilgerreise wird sie vom Vatikan erklärt; "die einmalige Gelegenheit zur Entschuldigung beim jüdischen Volk" erhofft sich das Oberrabbinat von ihr; "einen Bußgang nach dem Versagen des Heiligen Stuhles während des Holocaust" fordern nicht nur dessen wenige Überlebende; "die Chance vor den Augen aller Welt Staat zu machen", sehen die Palästinenser in ihr; "eine dringend notwendige Ermunterung für uns" erwarten sich die Vertreter der diversen, zum Teil vom Aussterben bedrohten örtlichen christlichen Gemeinschaften.

Kommt der Papst nun ins Heilige Land "auf Zehenspitzen", wie die israelische Zeitung "Haarez" prophezeit, oder als "Alter Freund", so der offizielle Code-Namen der Visite in Israel? Wie auch immer: er ist willkommen selbst bei den kritischen Israelis. Laut einer Umfrage des "Interreligiösen Koordinations-Rates (ICC) befinden 60 Prozent der jüdischen Bevölkerung im Vorfeld des Besuches diesen positiv und nur zwölf Prozent negativ, darunter wohl die religiösen Rechtsextremen, die mehrfach mit Anti-Papst-Graffiti aufgefallen sind.

Doch während die Bevölkerung recht gespannt und bemerkenswert aufgeschlossen wirkt, blieb man bei den staatlichen Stellen Israel unbegreiflich gelassen, um danach in Hektik zu verfallen. Nur die Palästinenser machten sich rechtzeitig an die Arbeit und dürften nicht zuletzt deshalb - vor allem politisch - Früchte ernten. Allerdings haben sie offensichtlich eine wichtige symbolische Geste übersehen, die vor dem Hintergrund ihrer nationalen Aspirationen vor erheblichem Wert hätte sein können: Der Papst wird bei seiner Ankunft im Autonomiegebiet nicht wie üblich eine ihm gereichte Schale einheimischer Erde küssen.

Von größter politischer Tragweite dürfte das werden, was im Vatikan offiziell "Höflichkeitsbesuch beim Groß-Mufti von Jerusalem in dessen Büro auf dem Moschee-Platz" genannt wird: Der Papst beim obersten Moslem auf dem Tempelberg im israelisch annektierten Ost-Jerusalem - perfekt die Vorbereitung durch Arafats Leute. Arafat scheucht zudem so ziemlich alles, was in der Politik Gewicht hat, auf den Tempelberg - und Israel ist praktisch machtlos gegen diese "Provokation" der politischen Sonderklasse. "Was können wir machen, wenn die Palästinenser dann gar ihre Fahne auf dem Tempelberg hissen?" fragen sie, und die Antwort lautet: "Praktisch nichts."

Zuvor werden die Palästinenser in Bethlehem, wo der Papst vor der Geburtskirche eine Messen lesen, Arafat in dessen neuen Präsidialpalast aufsuchen und schließlich das Flüchtlingslager Dehaishe besichtigen wird, erneut zu beweisen versuchen, dass sie perfekte Organisatoren sind. Das zeigten sie schon bei den Eröffnungsfeiern zum "Heiligen Jahr 2000" und am Heiligabend.

Ganz anders die Israelis. Sie scheinen sich wieder einmal auf ihr Improvisationstalent und das größte Sicherheitsaufgebot aller Zeiten - 20 000 Soldaten und Polizisten sind im Einsatz - zu verlassen. Und vor allem wurde so lange diskutiert und verhandelt, dass kaum mehr Zeit für die Vorbereitung blieb. So musste - am Rande der Legalität - auf Ausschreibungen für die Millionenarbeiten verzichtet werden. Ausgerechnet dem teuersten Staatsbetrieb, den Elektrizitätswerken, wurde die Oberaufsicht für die Arbeiten erteilt.

Der Berg der Seligpreisungen, wo die Massenmesse für rund 100 000 Jugendliche, stattfinden soll, wird in diesen Tagen von Bulldozzern und Planierungswalzen regelrecht "abrasiert".

In Nazareth, der Jesus-Stadt, könnte der Papst dann ganz andere Berge erblicken: "Er wird hier nur Müll und Dreck vorfinden", warnen übereinstimmend die streikenden städtischen Beamten und der kommunistische Bürgermeister Ramez Jaraisy, der dieses Jahr noch keine Löhne auszahlen konnte. Der liebenswerte Mann hat noch ganz andere Sorgen: Die Islamisten wollen den Platz vor der Verkündigungskirche nicht räumen, in dessen Ecke sie eine Moschee errichten möchten. Und ihr Protest-Betzelt soll erst recht stehenbleiben. Auch mit den jüdischen Geistlichen tut sich der Vatikan schwer. Als endlich ein mehr oder weniger vernünftiger Zeitplan ausgehandelt war, erhoben ein paar ultrareligiöse Abgeordnete mit Rückendeckung von Rabbinern ihre Stimmen: Der Papst solle sich gefälligst an die Landessitten halten oder zu Hause bleiben. Eine massive Sabbatverletzung durch Zehntausende komme nicht in Frage, er könne unmöglich am Sabbat im Lande eintreffen - was nie vorgesehen war. Die Maschine, mit der Johannes Paul II. am übernächsten Samstag von Jerusalem nach Nazareth und zurück fliegen soll, wird nun von einem jordanischen Piloten gelenkt, damit kein jüdischer Pilot den Sabbat entheilige.

Vom Gipfeltreffen - Johannes Paul II. und die beiden israelischen Oberrabbiner Israel Lau (der als Kind mehrere KZ überlebte) und Bakschi-Doron - erwartet Lau das klärende Wort, das weit über die Buße- und Reue-Erklärung vom 12. März hinausgeht. Doch der Vatikan hat bereits klargestellt, dass es kein Geständnis und keine Bitte um Entschuldigung für das Verhalten Pius XII. während der Shoa geben wird.

Es sind nichtzuletzt symptomatische Kleinigkeiten, die das gespannte Verhältnis bis heute unterstreichen: Da muss vom begleitenden Ambulanzfahrzeug der Rote Davidstern abgenommen werden, weil der Papst im Notfall nicht hinter dem Symbol des jüdischen Glaubens ins Krankenhaus gefahren werden soll. Und da reisen zwei Priester mit exakt der gleichen Blutgruppe des Papstes mit, damit im Falle einer Transfusion nicht jüdisches Blut in den päpstlichen Adern fließt.

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