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Ende einer Dienstfahrt. Kanzlerin Merkel und Frankreichs Staatschef Hollande im Juni bei der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels.

© AFP

Frankreichs Präsident: Hollandes Schwäche darf nicht zur Schwäche der EU werden

Brexit, Trump, Putin: Die EU kann sich kein Vakuum in Deutschland oder Frankreich leisten - auch nicht nach dem Rückzug Hollandes. Ein Kommentar.

Immerhin – im Abgang hat François Hollande Größe bewiesen. Die Ankündigung des französischen Präsidenten, nicht für eine zweite Amtszeit antreten zu wollen, zeugt von Augenmaß. Schon seit Monaten gilt Hollande in Frankreich und international als "lame duck", als ein Politiker, der eigentlich keine Zukunft mehr hat. Dass er nun seinen Rückzug ankündigt, erscheint da nur folgerichtig. Aber Hollandes Verzicht könnte noch die Turbulenzen verstärken, welche die Europäische Union derzeit durchleidet. Und das darf auch niemandem in Berlin egal sein.

Merkel und Hollande rauften sich zusammen

Wenn die EU jetzt eines nicht gebrauchen kann, dann ist es ein politisches Vakuum in einem der beiden Staaten, die immer noch maßgeblich sind für das Schicksal der Gemeinschaft: Deutschland und Frankreich. In der bislang gut viereinhalbjährigen Amtszeit Hollandes haben sich Berlin und Paris nach anfänglichen Schwierigkeiten durchaus zusammengerauft. Hollande, der anfangs gegen den strikten Haushaltskurs der Kanzlerin aufbegehrte, ist auf europäischer Ebene trotz seiner innenpolitischen Schwächen zum verlässlichen Partner für Kanzlerin Angela Merkel geworden. In der Ukraine-Krise vermittelten die beiden gemeinsam zwischen Moskau und Kiew, das Vorgehen Russlands in Syrien sehen beide ähnlich kritisch. Von dem möglichen Nachfolger Hollandes, dem konservativen Putin-Versteher François Fillon, lässt sich das nicht sagen.

Aber gewählt wird ein neuer Präsident – oder eine neue Präsidentin – in Frankreich erst im kommenden Frühjahr. Bis dahin muss Merkel darauf bauen, dass sie gemeinsam mit Hollande weiter entscheidende Impulse in der Europapolitik setzen kann. Bei den bevorstehenden Austrittsverhandlungen mit den Briten müssen die übrigen 27 EU-Staaten ebenso eine gemeinsame Linie zeigen wie in der Frage, ob die Sanktionen gegen Russland verlängert werden sollen. Ohne eine solide Abstimmung zwischen Merkel und Hollande wird das nicht gehen. Ganz zu schweigen von den vielfältigen weiteren Herausforderungen: einer möglichen Verschlechterung im Verhältnis zwischen der EU und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der notwendigen Definition des Verhältnisses der Europäer zum künftigen amerikanischen Staatschef Donald Trump und den unüberschaubaren Folgen eines möglichen „Nein“ der Italiener beim Verfassungsreferendum an diesem Wochenende.

Die EU sind nicht Merkel und Hollande, es sind (noch) 28 Staaten, von denen sich immer mehr an die Wand gedrückt sehen. Wenn man die EU und die großartige Idee von einem geeinten Europa retten will, dann brauchen wir Europäer und keine Grazien.

schreibt NutzerIn ralffrh

In den nächsten Wochen und Monaten geht es um die Selbstbehauptung der EU

Die Aufzählung zeigt: In den nächsten Wochen und Monaten wird es um nichts Geringeres gehen als um die Selbstbehauptung der Europäer in einem immer unruhiger werdenden globalen Umfeld. Mehr denn je müssten eigentlich Merkel und Hollande – Wahlkampf hin oder her – gerade jetzt den Bevölkerungen in ihren Ländern nahebringen, wofür die EU im Kern steht. Zu diesen Pfeilern des europäischen Selbstverständnisses könnten gehören: Schutz der EU-Außengrenzen, humanitärer Umgang mit den Flüchtlingen aus Syrien, Toleranz im Umgang mit Minderheiten, Unterstützung für schwächere Staaten im Süden der EU. Ausgerechnet aus Frankreich kommt aber, und daran führt eine nüchterne Bestandsaufnahme nicht vorbei, die derzeit größte Bedrohung für das europäische Projekt – in Gestalt der Vorsitzenden des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen.

Das Versprechen, die Arbeitslosigkeit zu senken, hielt Hollande nicht

Immerhin hat Hollande mit seinem Rückzug das Argument von Populisten vom Schlage Le Pens entkräftet, nichts läge der Pariser Politik-Elite ferner als der Amtsverzicht. Der unbeliebte Staatschef hat sich aus dem Spiel genommen, bevor sich die regierenden Sozialisten noch weiter zerfleischen. Logisch erscheint Hollandes Entscheidung vor allem deshalb, weil er sein entscheidendes Wahlversprechen nicht eingehalten hat – nämlich den Trend einer ständig steigenden Arbeitslosigkeit deutlich zu brechen. Der als politischer „Wackelpudding“ verspottete Sozialist hat ganz am Ende doch noch eine Geradlinigkeit an den Tag gelegt, die er auf dem Feld der Innenpolitik in den vergangenen viereinhalb Jahren vermissen ließ. Für Frankreich waren es verlorene Jahre.

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