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Integration: I ha di gärn! - Deutsche in der Schweiz

Zu laut, zu aufdringlich, zu überheblich: Deutsche in der Schweiz sind unbeliebt. Wenn sie Finanzminister sind sowieso. Aber auch als Einwanderer. Ein Integrationskurs in Zürich soll das nun ändern.

Die Deutschen kommen. Sie sprechen leise, als sie den Raum betreten. Ein wenig schüchtern blicken sie um sich, lächeln, keine Vorurteile bestätigen jetzt, laut reden beispielsweise oder trampelig auftreten, der Ruf ist angekratzt genug, und man möchte ja leben hier und auskömmlich sein, schließlich ist man fremd, Ausländer, Migrant.

Es ist kurz vor sieben Uhr an einem lauen Abend in Zürich. „Integrationsabend für Deutsche in der Schweiz“. Der zweite seiner Art, einen Monat nach der Pilotveranstaltung, „mit der man sehr zufrieden war“. Die Integrationsförderung der Stadt Zürich begrüßt die deutschen Neuankömmlinge, zwischen sechs Wochen und sechs Monaten erst wohnhaft hier, in der feinen Zürcher Innenstadtadresse St.- Peter-Hofstatt 6, im Lavatersaal, Eichenparkett, Stuck an der Decke, große Fenster. Auf zwei Tischen ist ein kleiner Apero präpariert, wie man in der Schweiz einen Stehimbiss nennt, Apfelsaft, Orangensaft, Wasser mit und ohne Kohlensäure, Speckzopf als kulinarisches Lokalkolorit. Es liegt Lektüre aus. „Grüezi und Willkommen. Die Schweiz für Deutsche“. Oder: „Grüezi Gummihälse. Warum uns die Deutschen manchmal auf die Nerven gehen“.

Man setzt sich, 48 Männer und Frauen, zwischen 25 und 45 Jahre alt, gut ausgebildet, Kleidung in dezenten Farben, bequeme Schuhe, Deutsche allesamt und somit momentan nicht gerade oben angesiedelt auf der Beliebtheitsskala der Eidgenossenschaft.

Beim "Grüezi" auf keinen Fall das "e" vergessen

Cristiana Baldauf begrüßt die Gäste mit einem herzlichen „Grüezi“. Erläutert anhand dessen eine erste Lektion. Wolle ein Deutscher diese Begrüßung sympathiegewinnend anwenden, dürfe er auf keinen Fall das „e“ vergessen. Bitte kein „Grüzi“ zum Schweizer. Baldauf ist Projektleiterin bei der Integrationsförderung der Stadt Zürich, eine große Frau mit weicher Stimme, befähigt zu ihrer Tätigkeit durch ein Studium der Sozialpädagogik und eigenen Migrationshintergrund, die Mutter Italienerin, der Vater Deutscher.

Man sei zu dem Schluss gekommen, sagt Baldauf, dass für einen solchen Kurs Bedarf bestehe.

Vor einiger Zeit erklärte die Schweizer Zeitung „Blick“ den Deutschen Peer Steinbrück zu „einem der meistgehassten Menschen in der Schweiz“. Jenen Finanzminister aus dem zuweilen übermächtig erscheinenden Nachbarstaat im Norden, der die Schweizer mit Indianern verglich, denen man – im Streit um Steuerhinterziehung und die Preisgabe des Bankgeheimnisses – mit der Kavallerie drohen müsse. Und der ihr Land danach mit einer afrikanischen Bananenrepublik gleichsetzte.

Zwischen Berlin und Bern hatte es fortan einige Spannungen gegeben, mittlerweile aber – nach erheblichem politischem Druck – wird wieder miteinander geredet. Am Montag und Dienstag war Steinbrücks Schweizer Amtskollege Hans-Rudolf Merz nach Berlin gekommen, er sicherte künftig Amtshilfe in Steuerhinterziehungsfragen zu.

Zahl der Deutschen in der Schweiz in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt

All das färbt vielleicht auch ab auf das Bild der Schweizer von den Deutschen in der Schweiz. 250 000 sind es, allein in den vergangenen fünf Jahren hat sich ihre Zahl mehr als verdoppelt. Jeden Monat kommen fast 3000 in den Süden, in das Land mit den Seen, den Bergen, mit Vollbeschäftigung und hohen Gehältern.

Fast ein Viertel aller Ärzte in Schweizer Krankenhäusern stammt mittlerweile aus Deutschland. Auch auf dem Bau arbeiten viele der Einwanderer, vorwiegend Ostdeutsche. Die Universitäten sind zahlreich besetzt mit deutschen Professoren. Und natürlich sind die Banken beliebt, die sich in Zürich konzentrieren, der Hauptstadt des Geldes. Knapp zehn Prozent der 380 000 Einwohner Zürichs haben einen deutschen Pass.

Was allein schon zahlenmäßig für gewisse Ängste sorge, sagt nun Cristiana Baldauf, während sie eine Folie auflegt, darauf zu sehen eine „Blick“-Schlagzeile: „Wie viele Deutsche erträgt die Schweiz?“ Ein kurzes Lachen geht durch die Reihen, belustigt, jedoch mit einem Schuss Unsicherheit. Erst als Baldauf sagt, dass die Medien die Stimmung im Land unnötig anheizten, wird jene im Raum wieder gelöster. Plötzlich würden die Deutschen zu Sündenböcken, sagt Baldauf, lösten damit die Albaner ab, die ihrerseits wiederum vor Jahren den Italienern gefolgt seien.

"Ihr Deutschen seid eine Epidemie!"

Besonders deutlich wurde das im Fall der Radiomoderatorin Katrin Wilde, der vor einem Jahr einiges Aufsehen erregte. Bei Radio Energy, einem Zürcher Regionalsender, war sie die erste deutsche Moderatorin. Und die erste, die dort Hochdeutsch sprach. Angesehen war sie, schnell am Mikrofon, „einfach unsere Beste“. So sagten es Kollegen, so bestätigten es viele Hörer. Dennoch erlitt Wilde irgendwann einen Nervenzusammenbruch, kündigte und kehrte fluchtartig nach Deutschland zurück.

Briefe waren eingegangen in der Redaktion. Alle klaren Gehalts. „Schade, dass die Gasöfen in Deutschland abgestellt wurden. Denn da gehören Sie hin.“ Oder: „Ihr Deutschen seid eine Epidemie!“ Wildes Auto wurde demoliert, sie wurde nachts angerufen und aufgefordert, mit dem Viehtransporter dorthin zu fahren, wo sie herkomme, und gleich alle Landsleute mitzunehmen.

Noch ein Beispiel. Weniger prominent, dafür wohl allgemeingültiger. Ein Arzt aus Berlin, seit fünf Jahren tätig in Zürich, sagt, „ohne Namen“, dass er in der ganzen Zeit noch keine drei Schweizer Wohnzimmer von innen gesehen habe. Obwohl er versucht habe, mit seiner Familie in verschiedenen Vereinen einzutreten, um über diesen Weg Zugang zu finden zu den Schweizern. Weil über den Beruf fast nichts gegangen sei. Weil jene Beruf und Privates stark trennten und, wie er lernen musste, darin noch etwas stärker trennten, wenn es um deutsche Kollegen ginge. „Ich habe immer neue Gründe gehört, warum man diese Woche leider nicht kommen könne zu Besuch.“ Und sich selbst irgendwo einzuladen, habe er dann erst gar nicht probiert.

Von denselben Leuten, für die er gerne mal gekocht hätte, hat er dann über Dritte erfahren, dass sie ihn einfach zu laut fänden. Zu aufdringlich. Und dass die Deutschen wohl einfach so seien, sich immer in den Mittelpunkt stellen zu wollen.

Seit einiger Zeit überlegt er sich, sagt der namenlose Arzt, die Schweiz wieder zu verlassen.

Animositäten trotz viel Verbindendem

Schade findet Cristiana Baldauf, die Frau des Ausgleichs, diese Animositäten zwischen beiden Nationen. Von den Italienern trenne den normalen Schweizer ja vielleicht noch ein wenig die Mentalität, von den Albanern ein bisschen die Religion, aber zwischen den Deutschen und den Schweizern sei doch im Grunde das Verbindende viel stärker als das Trennende.

Trotzdem habe man heute aber hauptsächlich wegen des Trennenden eingeladen. Um es zu erkennen. Und natürlich, um zu helfen, es abzubauen. Um den Deutschen zu helfen, nicht in die vielen kleinen Fallen der hiesigen Alltagskultur zu treten, die in der Summe dazu führten, dass die Deutschen den Schweizern so fremd vorkämen.

Es ist der Beginn des didaktischen Teils des Abends. Die Teilnehmer, hungrig nach Wissen, zücken Block und Bleistift, um das Gehörte zu konservieren für ihr neues Leben in der Schweiz, in das sie gegen 21 Uhr, in eineinhalb Stunden, hoffentlich ein wenig erhellt wieder zurückkehren werden.

Sehr viel Wert wird auf Kompromissbereitschaft gelegt. Oder wie Baldauf es formuliert: „Vor Kollegen oder auch Untergebenen den starken Mann zu markieren, wird nicht gerne gesehen.“ Gerade für die vielen deutschen Arbeitnehmer, die in der Schweiz in leitender Stellung arbeiteten, sei das nicht ganz einfach. Weil man in Deutschland vielleicht schneller als schwach gelte. Auch das zuweilen eher forsche Gebaren im deutschen Arbeitsalltag, das Vorpreschen mit seinen Ansichten, löse hierzulande Befremden aus. „Wenn jemand bei einem Projekt eine fixfertige Idee im Kopf hat“, erklärt Baldauf, „sollte er sie in Besprechungen trotzdem nur tröpfchenweise einbringen.“ Und bitte, ganz wichtig: Kritik möglichst weich verpacken, einhüllen nahezu. Auf keinen Fall die Konfrontation suchen. Steinbrück als abschreckendes Beispiel sehen sozusagen.

Sprachliches Dilemma

Wer nun als Deutscher gelernt hat, sich anzupassen an gebotene Zurückhaltung im Job, wer auch das Grüezi richtig intoniert, der stößt womöglich bei allem Schwyzerdütschen, das über das Grüezi hinausgeht, an seine Grenzen. Weil er in ein Dilemma gerät, aus dem auch Baldauf nicht herauszuhelfen vermag. Denn spricht ein „Dütscher“ in der Schweiz Hochdeutsch, gilt er als zu überheblich, um sich anzupassen. Versucht er sich aber in Schweizerdeutsch, gerät er in Verdacht, sich darüber lustig zu machen.

Gunhild Kübler, Kolumnistin bei der „Neuen Zürcher Zeitung“, vor 35 Jahren aus Karlsruhe in die Schweiz gezogen und vor zwei Jahren selbst zur Schweizerin geworden, vermutet darin auch eine Art Selbstschutz. Dieses Beharren auf dem Schwyzerdütschen als eigener Sprache, nicht nur als Dialekt. Einen Versuch, sich zumindest ein wenig zu emanzipieren vom großen Nachbarn. Sie nennt einen Vergleich. China hat 1,3 Milliarden Einwohner, 16-mal mehr als Deutschland. Die Bundesrepublik wiederum genau 16-mal so viele wie die deutschsprachige Schweiz. „Wenn sich also ein Deutscher in die Lage eines angesichts dieser Übermacht eingeschüchterten Deutschschweizers versetzen möchte, der soll sich einmal vorstellen, dass sein Land im Osten nicht an Tschechien grenzt, sondern an China.“

Im Lavatersaal ist es mittlerweile Viertel vor neun, die Veranstaltung nähert sich dem Ende, einige beißen ein Gähnen weg. Man hat viel gelernt über feine Unterschiede, ist durch sieben Jahrhunderte Schweizer Geschichte geeilt, hat gehört, was man selbst schon erfahren hat, dass es nicht einfach ist, mit Schweizern Freundschaften zu schließen, komme es aber einmal so weit, dann seien sie tief und ehrlich. Man bekam erklärt – was einem zumindest nicht völlig exotisch vorkam –, dass in Mehrfamilienhäusern die Hausordnung ein fast heiliges Dokument und wesentlicher Bestandteil derselben der Passus sei, dass Duschen wie Baden nach 22 Uhr streng untersagt ist.

Nun also kommt Cristiana Baldauf zum letzten Themenblock des Abends: grenzüberschreitende Herzensangelegenheiten. Da dürfte der deutsche Teil eines Liebespaares nicht zu schnell zu viele Emotionen erwarten. Und er müsse sich daran gewöhnen, dass ein „Ich liebe dich“ in der Schweiz heißt: „I ha di gärn!“ Wobei dieses „Ich hab dich gern“ keine abgeschwächte Form von Liebe bedeute. „Sie dürfen das nicht falsch verstehen“, sagt Baldauf. Dass es auch auf dieser Ebene klappen kann zwischen den beiden Völkern, zeigen die neuesten Zahlen des Schweizer Statistikamtes: Mehr als 20.000 Deutsche sind mittlerweile verheiratet mit Schweizern.

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