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Politik: „Ich hab mich nie bespitzelt gefühlt“

Peter Ramsauer über die Sünder in der CSU, Brüsseler Betonköpfe – und die kalten Füße von Kurt Beck

SPD-Chef Kurt Beck sieht das „Ende der Zumutbarkeit“ von Reformpolitik erreicht. Sieht die CSU das genauso?

Mir gefällt schon das Wort „Zumutbarkeit“ nicht. Eins muss doch klar sein: Die große Koalition macht Reformpolitik nicht etwa deshalb, um Menschen vorsätzlich zu ärgern. Wir machen Reformpolitik, um Deutschland wieder nach vorn zu bringen. Die Daten am Arbeitsmarkt, in der Wirtschaft, bei den Staatsfinanzen zeigen ja auch, dass das in immer stärkerem Maße gelingt.

Aber Becks Sorge um die kleinen Leute, das müsste der sozialen Volkspartei CSU doch eigentlich gefallen?

Die CSU hat sich immer schon aufs Panier geschrieben, ein Reformmotor zu sein. Dabei bleibt es. Und übrigens: Wenn ein Bündnis aus den drei großen Volksparteien es nicht schafft, Deutschlands Probleme zu lösen, dann frage ich mich, welche andere Konstellation dazu in der Lage sein soll.

Becks Einwurf trifft ein verbreitetes Gefühl, dass auf die Bürger immer höhere Anforderungen zukämen.

Wenn es um die Belastungen geht durch Steuern und Abgaben, dann stimme ich Herrn Beck ausdrücklich zu: Unser Ziel muss es sein, die Abgabenbelastung zu senken. Und das tun wir ja auch. Das beginnt damit, dass wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag absenken. Das geht damit weiter, dass wir mit der Gesundheitsreform immer weiteren Beitragserhöhungen einen Riegel vorschieben. Und wir schaffen durch die Unternehmensteuerreform die Voraussetzungen dafür, dass durch eine geringere Steuerbelastung bei den Betrieben mehr Investitionskraft geschaffen wird.

Das weiß Kurt Beck doch alles auch. Warum dann diese Aussagen?

Ich glaube, dass die SPD und ihr Vorsitzender in Anbetracht der anhaltend niedrigen Umfragewerte für die Partei kalte Füße bekommen. Beck versucht hier, ein beschwichtigendes Zeichen zu setzen. Aber ich glaube, dass die Wähler das sehr wohl durchschauen. Die Menschen suchen sich, wenn es um die Wahlen geht, nicht den billigeren Jakob aus. Sie suchen sich den aus, der solidere und verantwortbare Politik verspricht. Und die kann auch mit dem verbunden sein, was Beck Zumutungen nennt.

Nun hat Beck ja selbst eingeschränkt: Was die große Koalition vereinbart hat, will er umsetzen, erst dann soll Schluss sein mit Reform.

Kurt Beck braucht keine Sorge zu haben, dass der großen Koalition die Arbeit ausgeht. Wir haben genug zu tun.

Zum Beispiel immer noch mit der Gesundheitsreform. Die CSU droht mit Ablehnung – warum?

Wir müssen noch einige Dinge klären. Es geht da nicht um bayerische Bockigkeiten, sondern um Fragen, die auch andere Bundesländer betreffen. Solange wir beispielsweise keine verlässlichen Zahlen darüber haben, wie sich der neue Finanzausgleich durch den Gesundheitsfonds auf die Länder auswirkt, kann die CSU nicht zustimmen.

Experten sagen, ganz präzise und verlässlich lasse sich dieser Finanzausgleich im Vorhinein gar nicht berechnen. Wie verlässlich heißt „verlässlich“?

Wir werden bis spätestens zur Koalitionsrunde am 10. Januar das Gutachten zu diesem Thema vorliegen haben, das die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Ich gehe davon aus, dass dieses Gutachten die Fragen klärt. Wenn wir im Januar auch noch die anderen offenen Probleme klären, dann kann es auch beim Zeitplan 1. April bleiben. Ich gehe davon aus, dass der Termin zu halten sein wird.

Der zweite wichtige Kritikpunkt ist die Zukunft der Privatkassen ...

... ja, es gibt aber auch noch eine ganze Reihe anderer Punkte. Wir haben zum Beispiel das Dilemma, dass die Zahl der Kliniken ausgedünnt und gleichzeitig bei den Rettungsdiensten gespart werden soll. Das ist ein Widerspruch. Es passt nicht zusammen, weniger Krankenhäuser zu haben und zugleich mit einem abgemagerten Rettungsdienst immer mehr und weiter fahren zu müssen.

Das klingt bei Ihnen sehr nach technischen Details, die vernünftig zu lösen sind. Aus der CSU gab es aber auch Vorwürfe, Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mogele und wolle durch die Hintertür die Privatkassen abschaffen!

Da ist immer ein Stück Weltanschauung dabei ...

... bei Frau Schmidt oder ihren Kritikern?

Auf beiden Seiten natürlich. Den einen sind private Kassen ein Dorn im Auge, die ordentlich wirtschaften. Die anderen sagen, aus ordnungspolitischen Gründen brauchen wir gerade diese Kassen. Es muss endlich einmal mit dem Irrtum aufgeräumt werden, dass die privaten Versicherungen nur etwas für die Jungen, Gesunden, Reichen und Schönen seien. In Wirklichkeit sind die privaten Kassen auch für große Teile des sogenannten kleinen Mannes zuständig, etwa im öffentlichen Dienst. Wir wahren also auch die Interessen von Millionen normaler Bürger, wenn wir nicht zulassen, dass auf Dauer die Beiträge explodieren und damit das Instrument der Privatversicherungen letztlich zum Erliegen käme.

Die CSU sorgt nicht nur für Debatten in Berlin, auch in der Partei selbst geht es ja munter her. Was halten Sie von der Idee, dass das Parteivolk über den Ministerpräsidenten mitbestimmen sollte?

Wir haben beim CSU-Parteitag vor gerade mal fünf Wochen intensiv über einen Antrag auf Urwahl des Ministerpräsidenten diskutiert. Dieser Antrag hat die sensationelle Unterstützung von 20 der 1000 Delegierten gefunden. Die Frage ist für die Partei erledigt.

Aber eine Mitgliederbefragung?

Da kann ich nur auf die Erfahrungen anderer Parteien verweisen. Ich denke an die SPD und ihren Mitgliederentscheid über den Parteivorsitzenden. Hinterher sind alle zu dem Schluss gekommen, dass sie das lieber nicht mehr tun sollten. Da müssen wir als CSU nicht diese Erfahrung auch noch mal machen.

So abgeklärt sehen das andere nicht. Über die ganzen Weihnachtstage streitet die CSU jetzt schon.

Ich kann dazu als Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag nur sagen: Ich bin von Tag zu Tag mehr verärgert darüber, was diejenigen, die diesen Streit anfachen, auch bundespolitisch für die CSU damit anrichten. Auf uns kommen in den nächsten Wochen schwierige Verhandlungen zu. Wer durch solche Zündeleien die Verhandlungsposition der CSU schwächt, der verhält sich höchst parteischädigend und versündigt sich an den bundespolitischen Interessen der CSU und Bayerns.

Nun sieht sich die derzeit prominenteste Stoiber-Kritikerin, die Landrätin Pauli, ja selbst als Opfer einer Spitzelaffäre. Gibt ihr das nicht eine gewisse Legitimität zurückzuzündeln?

Ich bin jetzt über 30 Jahre in der CSU tätig. Ich hab mich nie bespitzelt gefühlt. Aus dieser Angelegenheit sind in der Staatskanzlei durch den Ministerpräsidenten die Konsequenzen gezogen worden. Ich glaube, dass damit das Notwendige getan ist.

In wenigen Tagen trifft sich die CSU-Landesgruppe zur jährlichen Klausur in Kreuth. Einer ihrer Gäste wird Verteidigungsminister Franz Josef Jung sein. Die CSU-Abgeordneten sind immer dann, wenn es um neue Auslandseinsätze der Bundeswehr geht, unter den größten Skeptikern. Wird die CSU Jung zu mehr Zurückhaltung ermahnen?

Die CSU steht wie die CDU völlig klar zu den Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist. Das gilt für die konkreten Einsätze ebenso wie bei den grundsätzlichen Verpflichtungen im Rahmen der Eingreiftruppen von Nato und EU. Bei jedem neuen Einsatz muss aber immer geprüft werden, wie weit die Bundeswehr mit ihren begrenzten Ressourcen dazu überhaupt in der Lage ist. Dann muss abgewogen werden, wie weit mit einem solchen Einsatz deutschen Interessen gedient ist. Wir werden bestimmt anhand konkreter Beispiele mit Minister Jung darüber diskutieren.

Jung wird oft vorgeworfen, er presche mit Angeboten einer Bundeswehrbeteiligung zur Unzeit vor und schaffe damit am Parlament vorbei Tatsachen.

Ein Mitglied der Bundesregierung muss natürlich ständig sprechfähig sein in seinem Ressort. Das Parlament wird sich immer erst äußern, wenn es gefragt ist. Nehmen Sie das aktuellste Thema, die Frage eines Tornadoeinsatzes zur Aufklärung über Afghanistan. Da ist das Parlament überhaupt noch nicht gefragt. Bisher hat nur ein Briefwechsel auf Arbeitsebene zwischen zwei Soldaten stattgefunden. Aber ich bin ganz sicher, dass wir hier zu prozeduralen Übereinstimmungen mit dem Verteidigungsminister kommen. Aus den letzten Wochen und Monaten haben wir sicher eins gelernt, dass sich nämlich vor konkreten Entscheidungen die Regierung und das Parlament eng abstimmen müssen.

Wäre ein solcher Tornadoeinsatz denn grundsätzlich sinnvoll?

Ich bin zu wenig Militärexperte, um das aus dem Stand beurteilen zu können. Es fehlen uns die Entscheidungsgrundlagen dafür, was man da überhaupt brauchen würde, ob der Zweck nicht mit Satelliten oder mit Drohnen besser zu erfüllen wäre, auch die rechtliche Frage, ob es eines neuen Mandats bedürfte. Das sind alles offene Fragen. Aber im Moment stellen sich die noch nicht.

In Kreuth soll auch die EU-Ratspräsidentschaft im nächsten Halbjahr zum Thema werden. Was erwartet sich speziell die CSU von der Kanzlerin?

Die CSU erwartet von dieser Präsidentschaft, dass die Kommission mit ihrem teilweise selbstherrlichen Gebaren an die Kandare genommen wird. Eines der gefährlichsten Phänomene in der Europapolitik ist die intellektuelle Kälte, mit der die EU-Kommission häufig vorgeht. Damit lässt sie die Menschen am europäischen Wegrand liegen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Kommission ist im Augenblick dabei, ein tiefes Zerwürfnis im Vertrauen auch zum deutschen Bundestag anzurichten. Der Bundestag hat beschlossen, dass mit dem Beitritt Rumäniens und Bulgariens am 1. Januar Schutzklauseln aktiviert werden sollen. Diese Klauseln sollen sicherstellen, dass beispielsweise der Rückstand in diesen Ländern bei der Verbrechensbekämpfung sich nicht negativ auf andere auswirkt. Diesen Beschluss des deutschen Parlaments hat die Kommission einfach in den Wind geschossen und verfügt, dass die Klauseln erst später, wenn überhaupt, in Kraft treten. Ein solches Gebaren darf man der Kommission nicht mehr durchgehen lassen. Insofern ist es ein Segen, dass Deutschland jetzt die Präsidentschaft hat.

Was soll die Präsidentschaft denn konkret dagegen machen – neue Regeln?

Man kann nicht alles auf Punkt und Komma festschreiben. Entscheidend ist, dass sich ein anderes Bewusstsein darüber einstellt, wie die Entscheidungen in Brüssel auf die Menschen wirken. Da muss sich in den Brüsseler Betonköpfen etwas bewegen, um die Herzen der Menschen für Europa nicht zu verlieren.

Die CSU gehört zu den schärfsten Kritikern eines EU-Beitritts der Türkei. Erwarten Sie konkrete Schritte weg von einer Vollmitgliedschaft? Oder würde sich die Bundesregierung da übernehmen?

Nein, es werden zu Recht auch da große Erwartungen in die deutsche Präsidentschaft gesetzt. Man muss mit der Türkei darüber reden, was für die Türkei selbst die erstrebenswerteste Art ist, das Verhältnis zu Europa zu gestalten. Denn die Widerstände in der Türkei selbst sind ja Ausdruck der Tatsache, dass immer stärker werdende Kräfte eben nicht bereit sind, sich den Bedingungen einer Vollmitgliedschaft vollständig zu unterwerfen. Das muss man respektieren, das sollte auch die Führung eines solchen Landes beherzigen. Und deshalb muss man sich gemeinsam auf die Suche nach einem anderen, bestmöglichen Modell begeben. Nicht als zweitbeste Lösung, sondern als maßgeschneiderten Weg.

Weil wir ja kurz vor Neujahr miteinander reden, verraten Sie uns noch Ihren guten Vorsatz fürs nächste Jahr?

Mit Disziplin und Hartnäckigkeit weiterhin so konstruktiv in der großen Koalition zu arbeiten wie im letzten Jahr. Schmerzhafte Kompromisse eingehen, aber zugleich für eine bürgerliche Politik stehen.

Und der Vorsatz für die große Koalition als Ganzes?

Vor schmerzhaften Entscheidungen nicht zurückschrecken. Und dem, was die SPD als Zumutung bezeichnet, einen solchen geistigen Überbau geben, dass die Menschen spüren: Wir tun etwas fürs Land und damit für jeden Einzelnen.

Das Gespräch führte Robert Birnbaum.

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