zum Hauptinhalt

Ilse Aigner: Die Vorkosterin der Nation

Zu ihrem Amt gehört der Skandal. Im Dioxin-Skandal versprach Ilse Aigner: Das wird geprüft. Da reichte das schon niemandem mehr. Doch Heldenposen fallen der CSU-Ministerin nicht leicht.

Von Robert Birnbaum

Der Sekt ist das Zweitschlimmste, gleich nach dem Schnaps. Beim Bier kann man den Mund hinter der Schaumkrone verstecken, das sieht hinterher auf den Fotos immer noch aus wie ein tiefer Schluck aus dem Maßkrug. Sekt schäumt nicht, er prickelt nur. Wenn Ilse Aigner diesen Tag auch nur halbwegs überstehen will, dann muss sie mogeln. Vier Stunden lang eingequetscht zwischen Kameraleuten, Fotografen sowie dem Bauernpräsidenten und Klaus Wowereit, dabei immerzu essen und trinken und lächeln – der Eröffnungsrundgang bei der Grünen Woche ist eine der unangenehmeren Pflichten im Leben einer Bundeslandwirtschaftsministerin.

Jetzt also: Sekt, slowenisch, kurz nach acht Uhr in der Früh. Aigner nippt am Glas und plaudert mit der Weinprinzessin. „Königliche Hoheit!“, kurze Verbeugung – so was kann schnell peinlich wirken, aber Aigner strahlt und erkundigt sich, wie lange so ein Amt dauert, zwei Jahre, „anstrengend?“ Ja, sagt die Prinzessin, aber es bringe auch sehr, sehr viel ... sie kramt in ihrem Deutsch-Wortschatz, Aigner hilft: „Glück?“ Die Prinzessin nickt, dankbar und ein wenig verblüfft über den kurzen Moment augenzwinkernder Kameradschaft mit der Frau Ministerin.

Wenn sie mit den Leuten redet, sagt einer, der sie sehr lange kennt, „dann ist die Ilse ganz bei denen und ganz bei sich“. Es ist ihre größte Stärke und zugleich ihr größtes Problem. Denn Ilse Aigner hat in den letzten Wochen nicht mit den Leuten reden sollen – sondern zu ihnen. Das ist aber etwas völlig anderes. Und deshalb ist es ja auch ziemlich schiefgegangen. Am Freitag vermelden die Demoskopen von Infratest-Dimap kühl, der Dioxin-Skandal bremse den Höhenflug der Union – minus zwei Prozentpunkte in der wöchentlichen Wählergunstabfrage.

Wahrscheinlich ist auch hier die Wirklichkeit mal wieder komplizierter. Aber Aigner hat in den letzten Wochen öfter die Erfahrung machen müssen, dass die Wirklichkeit in der politisch-medialen Höhenluft, in der sich ein Kabinettsmitglied bewegt, nicht unbedingt der Maßstab ist. Schon gar nicht bei diesem Skandal.

Hätte sie es wissen müssen? Der Skandal gehört mittlerweile ja zur Jobbeschreibung ihres Ministeriums. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen joviale Figuren wie Josef Ertl oder Ignatz Kiechle ihren in deutschen Landen erworbenen Bauch durch Bauernversammlungen schoben und sich den Beifall dafür abholten, dass sie in Brüssel die Pfründe gesichert hatten. Der Letzte dieses Schlages war Karl- Heinz Funke; den fegte schon der BSE-Skandal fort. Nachfolgerin Renate Künast schlug sich mit Nitrofen und Dioxin im Futter herum. Horst Seehofer war kaum im Amt, da flog der Gammelfleisch-Skandal auf.

Als Ilse Aigner im Oktober 2008 von ihrem Abgeordneten-Büro ein paar Häuser weiter in die Wilhelmstraße umzog, hatte sie keine Zeit, sich über die Fallstricke des neuen Jobs Gedanken zu machen. Es musste schnell gehen.

Die CSU hatte die Landtagswahl krachend verloren, die Partei rief in der Not Seehofer zum Retter aus, und in Berlin war plötzlich ein Ministersessel frei. Der damalige Landesgruppenchef Peter Ramsauer winkte eilends ab – zu gefahrgeneigt der Posten und zu sehr im Fokus des neuen starken Mannes in München. Denn die Bauern hatten der einstigen Staatspartei bei der Wahl besonders deutlich den Rücken gekehrt. Die jungen Frauen übrigens auch.

Aigner war die logische Antwort auf beide Probleme – Jahrgang 1964, in der Partei vernetzt und beliebt, eine sportlich-moderne Vorzeigefrau, an der ein Dirndl trotzdem nicht peinlich wirkt. Seehofer fragte, Aigner griff zu, und alle sagten: Die Ilse, die hat in ihrem kurzen Berufsleben als Elektronikerin sogar Hubschrauber-Schaltpläne kapiert – die schafft das schon.

Leicht war es nie. Ramsauer lag nämlich richtig mit seiner Skepsis. Seehofer hat lange versucht, Aigner auf bayerische Linie zu trimmen. Wo sie in Gentechnik auf dem Acker eher Chancen als Risiken sieht, witterte der CSU-Chef nur Risiken – im kleinbäuerlich geprägten Bayernland machen viele Gemeinden aus dem Label „Gentechnik-frei“ längst ein Qualitätssiegel. Aigner hat anderswo versucht, sich freizuschwimmen, hat sich mit Google wegen Street View angelegt – erfolgreich – und mit Facebook wegen der Privatsphäre – vergebens. Außerdem hat sie ihr Ministerium umgebaut, auch im Wortsinn, wobei nebenher jenes Gemälde aus dem Ministerflur verschwand, das der Vorgänger ihr hinterlassen hatte: Ein Gockelkopf, überlebensgroß und mit dem schlichten Titel „Der Chef“.

Aigner war nie Chefin, immer Vize- Vorsitzende, von der Jungen Union bis zur Landesgruppe. Als „Chefsekretärin“ hat der „Spiegel“ sie sogar mal verspottet zu den Zeiten, als Horst der Allmächtige seine Unterlinge immer sonntagabends nach München zur Entgegennahme der neuesten Parolen beorderte. Die Allmacht ist dahin, der Sonntag auch der CSU-Spitze wieder heilig. Eine gute Zeit für Jüngere, sich Raum zu schaffen. Wenn Seehofers Staatskanzleiminister Siggi Schneider in diesem Jahr aus der Politik scheidet und den Bezirksvorsitz der CSU Oberbayern gleich mit abgibt, könnte Ilse Aigner sich bewerben. Oberbayern-Chef ist in der CSU so etwas wie NRW-Chef in der CDU: eine ganz schön große Nummer. Sie hätte dann etwas, was ihr auch fehlt zur Chefin – Macht.

Und dann ist kurz vor Weihnachten in Niedersachsen Dioxin in Futtermitteln aufgetaucht. Die Spur führt nach Schleswig-Holstein zur Firma Harles und Jentzsch. Von dort verbreitet sie sich so weit und schnell wie Mastfutter aus Mischanlagen. In Hühnern, in Eiern, in Schweinen taucht das Ultragift auf, überall, auch in Bayern. Tausende Höfe müssen dichtmachen. Dioxinkontrollen dauern.

Im Hochtal von Kreuth stapft Ilse Aigner kurz nach dem Jahreswechsel die leicht vereiste Auffahrt zum alten Wildbad hoch. Oben warten die Kameras, CSU-Klausurtagung. Aigner nimmt erst mal Generalsekretär Alexander Dobrindt in den Arm. Dann sagt sie, dass man jetzt prüfen müsse, wie das Gift genau ins Futter gekommen sei, und dass es nicht so weitergehen könne damit, dass in ein und demselben Betrieb technisches Schmierfett und Futterfett verarbeitet werde. Weiteres werde die Arbeitsgruppe mit den Ländern prüfen.

Zwei Mal „prüfen“ – wenn etwas erklärt, warum bei einer Kabinettsvorbesprechung im Kreis der Union sogar Angela Merkel ihrer Ministerin einen freundlich verpackten, aber deutlichen Rat in Sachen Krisenmanagement gegeben hat, dann dieses Wort. Skandale rufen nicht nach Prüfung unverständlicher Details. Skandale scheren sich nicht darum, wofür Bundesminister gar nicht zuständig sind, sondern die Länder. Skandale rufen nach Heldenpose, klaren Worten, zackigen Bildern, kurz, nach Botschaften: Keine Sorge, Leute, alles im Griff!

Dass ausgerechnet Merkel angemahnt hat, die Frau Minister möge doch wenigstens mal ein paar Fernsehbilder schaffen, ist übrigens eine der kleinen Ironien dieser Geschichte. Merkel, die Sachpolitikerin, die sich um Performance lange genau so den Deubel geschert hat wie diese ihre Ministerin. Aber die Kanzlerin hat gelernt. Merkel kann es nicht brauchen, wenn ein Kabinettsmitglied in der „Bild“-Zeitung als „ungeaignert“ abgestempelt wird. Auf dem großen Theater fürs Volk, das Politik auch ist, ist das Boulevardblatt ein großer Regisseur.

Aigner hat also ein Dioxinlabor in Oldenburg besucht. Da wird geprüft. Es wäre fast der Fehler ihres Lebens geworden. Als sie abends wieder auf dem Weg nach Berlin war, wussten die Niedersachsen schon, dass sich der Skandal ausgeweitet hatte und wieder 1000 Höfe schließen mussten. Gesagt hat es ihr keiner. Irgendein Problem mit einem Handy, hieß es später.

Aigner hatte eine Stinkwut, fühlte sich ans Messer geliefert, rief laut nach personellen Konsequenzen. Woraufhin sich die Niedersachsen notgedrungen beschwerten und Merkel noch einmal eingriff – ein Anruf bei Aigner, einer beim CDU-Ministerpräsidenten David McAllister in Hannover. Vermutlich war der Ausbruch trotzdem richtig – besser als Gefahr zu laufen, als ahnungslos oder gar als Vertuscherin dazustehen.

Am Dienstagabend schießt Aigner mit energischen Schritten aus dem Aufzug in der Thüringer Landesvertretung in den Pressekonferenzenraum. Sie hat mit den Ländern verhandelt. Ihr Plan ist akzeptiert, ein Zehn-Punkte-Plan. Der Plan ist ja auch gut. Sogar Renate Künast hat bloß mäkeln können, dass der geklaut sei von den Grünen. Aigner kann sich selber sagen, dass es an ihrem Krisenmanagement in der Sache nie Kritik gegeben hat, außer natürlich aus der Öko-Ecke, die das System falsch findet. Sie hat die richtigen Schritte zur richtigen Zeit getan. Nur das Etikett fehlte wochenlang. Jetzt steht es darüber: „Zehn-Punkte-Plan“.

Aigner sitzt sichtlich zufrieden zwischen den Länder-Kollegen und sagt Markiges für die „Tagesschau“: „ein Signal der Geschlossenheit, aber auch ein Signal der Entschlossenheit“. Manchmal korrigiert sie sich: „Wir werden Verordnungen auf den Weg – ich werde Verordnungen auf den Weg bringen.“ Fällt noch schwer, das „Ich“ statt des „Wir“, das doch korrekt wäre, weil die Länder mitmachen müssen. Aber sie hat verstanden, dass eben nicht nur Ergebnisse zählen wie daheim im Handwerksbetrieb.

„Wir werden hart durchgreifen“, sagt Aigner auch auf der Grünen Woche. Sie will diese Lektion lernen. Und als sie am Mittwoch im Bundestag ihre Regierungserklärung abgegeben hat, hat die Kanzlerin nicht nebenbei mit dem Handy gespielt und per SMS regiert, sondern aufmerksam zugehört. Jeder Zuschauer hat das Signal verstehen können. Aigner hat es ebenfalls registriert, durchaus erleichtert. „Ich bin keine Sprinterin“, hat sie Wowereit darum frühmorgens in der kalten Messehalle erläutert, „aber ich habe ziemlich Ausdauer.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false