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Im achten Jahr: Was passiert im Irak nach dem Abzug der US-Kampftruppen?

Die letzten amerikanischen Kampftruppen haben das Land in der Nacht zu Donnerstag verlassen. Nun beginnt ein neues Machtspiel. Die Iraker sind dabei allerdings eher Zuschauer, im Vordergrund stehen die regionalen Großmächte Türkei und Iran.

Es geschah ganz still und leise. In den frühen Morgenstunden verließ ein Konvoi mit der letzten kompletten US-Kampfbrigade den Irak und fuhr über die Grenze nach Kuwait. Viele US-Medien werten dies als Ende des Kampfeinsatzes im Irak nach mehr als sieben Jahren Krieg. Planmäßig soll der Abzug der Kampfeinheiten erst am 31. August abgeschlossen sein. Manche Experten weisen darauf hin, dass in den kommenden Tagen noch etwa 6000 Soldaten aus kleineren Einheiten den Abmarsch antreten.

Warum geschah der Abzug so diskret?

Je leiser eine Armee abzieht, desto geringer ihr Risiko, Angriffe zu provozieren. Es ist ein bekanntes Phänomen, dass Widerstandsgruppen Anschläge auf abziehende Soldaten verüben, um dann zu behaupten, sie hätten die Besatzer vertrieben. Die 4. Stryker-Panzer-Brigade der 2. Infanterie-Division war bereits am Samstag in Bagdad aufgebrochen. Rückblickend ist den US-Truppen ein überraschend reibungsloser Abzug gelungen. Im März waren 140 100 Soldaten im Irak stationiert. Nun sind es noch etwas mehr als 50 000.

Wann begann und wann endete der Krieg?

Begonnen hatte er am 20. März 2003 mit Bombenangriffen auf Regierungsgebäude in Bagdad und der Invasion durch US-Truppen und Verbündete von Kuwait aus. Die Eroberung gelang relativ rasch. Das Kriegsende lässt sich nicht so eindeutig festhalten. Sechs Wochen später, am 1. Mai, verkündete Präsident George W. Bush auf einem heimkehrenden Flugzeugträger unter dem Banner „Mission Accomplished“ das Ende der Kämpfe. Die weiteten sich jedoch 2004 erst richtig aus. Die sunnitische Minderheit, unter Saddam Hussein an der Macht, führte einen Doppelkrieg gegen die US-geführten Streitkräfte und die Milizen der zuvor unterdrückten schiitischen Mehrheit. In Bagdad und anderen Städten machten Todesmilizen Jagd auf Angehörige der jeweils anderen Gruppe, um sie aus ganzen Stadtvierteln zu vertreiben. Die Zahl der Toten wuchs enorm. Diese Gewaltwelle ebbte erst in der zweiten Jahreshälfte 2007 ab.

Warum wurde es ab 2007 ruhiger?

Erstens gelang es den USA, sunnitische Stämme dazu zu bewegen, den Widerstand zu beenden. Die Motive zum Seitenwechsel waren vielfältig. Teils kamen sie zu dem Schluss, ihren Interessen sei besser gedient, wenn sie sie im Parlament als mit der Waffe verteidigen. Teils kauften die USA ganze Stämme durch Millionen Dollar Aufbauhilfe. Zweitens verstärkte Bush die Truppen von 130 000 auf 170 000 Soldaten, obwohl die öffentliche Meinung in den USA dagegen war. Diese Einheiten wurden vor allem bei gemeinsamen Patrouillen irakischer und US-Soldaten zum Schutz der Zivilisten in umkämpften Stadtvierteln eingesetzt.

Was machen die verbleibenden Soldaten?

Hauptaufgabe der nach dem 31. August verbleibenden US-Soldaten ist die weitere Ausbildung irakischer Truppen. Ihre Präsenz soll aber auch Nachbarstaaten abschrecken, die versuchen könnten, sich jetzt ein Stück des Landes zu sichern. US- Präsident Barack Obama hatte im Wahlkampf versprochen, die letzten Kampftruppen im Sommer 2010 abzuziehen und alle übrigen US-Soldaten im Lauf des Jahres 2011. Irakische Armeeführer und Politiker finden das aber zu früh. Einige US-Truppen sollten länger bleiben. Die „New York Times“ berichtet, Irakexperten in der Regierung Obama glaubten, dass nach 2011 noch rund 10 000 US-Soldaten benötigt werden. Sie wollten die Debatte aber vermeiden, weil Wahlen anstehen und der Einsatz unpopulär geworden ist. Die Verantwortung für die Ausbildung irakischer Polizisten übernimmt das US-Außenministerium, das 2400 Diplomaten im Irak hat. Für den Personenschutz werden sie sich stärker auf private Wachdienste stützen. Von bis zu 7000 privaten Sicherheitsspezialisten ist die Rede.

Welche Bilanz ziehen die Amerikaner?

Die meisten Amerikaner sind stolz auf ihre Soldaten und enttäuscht von den Irakern. Die hätten die Chance zum Aufbau einer blühenden Demokratie im Mittleren Osten vertan. Die Stimmung hatte sich bereits in Bushs zweiter Amtszeit gegen den Irakkrieg gewandt. Nach der raschen Eroberung hatten 79 Prozent im Mai 2003 die Invasion befürwortet. Im Sommer 2006 meinten nur noch 30 Prozent, der Irak sei die Opfer wert. Als die Gewalt 2007 nachließ, besserte sich das Urteil nur geringfügig. Andererseits reagieren jetzt viele US-Medien mit Pathos auf die Abzugsnachricht. Die „Washington Post“, die den Krieg zwischenzeitlich scharf kritisiert hatte, begrüßt heimkehrende Soldaten als „unsere Helden“.

Was bedeutet der Abzug für die Region?

Nun beginnt ein neues Machtspiel. Die Iraker sind dabei allerdings eher Zuschauer, im Vordergrund stehen die regionalen Großmächte Türkei und Iran. Schon jetzt sind beide Staaten beim Nachbarn Irak höchst aktiv – und ihre Rivalität wird wachsen. Anders als im Atomstreit, bei dem der Westen den Türken eine Annäherung an die Iraner vorwarf, kollidieren im Irak die Interessen von Ankara und Teheran. Der Türkei geht es um Stabilität, einen Ausbau der Handelsbeziehungen und den Zusammenhalt des Landes: Eine Abspaltung des kurdischen Nordirak will Ankara verhindern. Die Iraner favorisieren eine Stärkung der irakischen Einzelregionen, besonders des schiitischen Südens, zulasten der Zentralgewalt in Bagdad. Auch hat die Islamische Republik kein Interesse an einer stabilen Demokratie nach westlichem Muster im Irak – die Türkei schon. Ankara braucht verlässliche Partner, besonders für die Einhaltung der Abkommen zur Bekämpfung der im Nordirak verschanzten PKK-Kurdenrebellen. Der andauernde US-Einfluss im Irak ist aus iranischer Sicht schlecht, aus türkischer dagegen gut, weil er kurdischen Autonomiebestrebungen entgegenwirkt.

„Im Irak sind die Interessen von Türkei und USA deckungsgleich“, sagte Bilgay Duman vom Zentrum für Strategische Nahost-Studien in Ankara dem Tagesspiegel. Beide wollen den Irak als Gesamtstaat erhalten und den Einfluss Teherans zurückdrängen. Der Iran sieht das nur ungern. „Die Rolle der Türkei im Irak wird von den Iranern als Bedrohung gesehen“, sagt Duman. Türkische Diplomaten bemühen sich um Kontakte zu allen ethnischen Gruppen im Irak und eröffneten bereits mehrere Konsulate, im schiitischen Basra ebenso wie im nordirakischen Mossul und im kurdischen Erbil. Dahinter stehen auch wirtschaftliche Interessen. Türkische Baufirmen sind besonders im Nordirak gut im Geschäft, und die Türkei dient als Transitland für irakische Ölexporte zum Mittelmeer.

Auch bei den jüngsten Parlamentswahlen im Irak mischten Türken und Iraner mit. Die Türkei unterstützte den früheren Ministerpräsidenten Ijad Allawi und dessen säkulären Block Iraqiya, der Iran setzte auf den schiitischen Regierungschef Nuri al Maliki. Allawis Sieg habe die Iraner gewurmt, sagt Irakexperte Duman. Und um die Regierungsbildung zu beeinflussen, versuchen die Türken nun, schiitische Gruppen im Irak aus Irans Einflusssphäre herauszulösen. Im Juli traf sich der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu in Damaskus mit Allawi und dem schiitischen Prediger Muktada al Sadr, einem bisherigen Verbündeten der Iraner.

So mancher irakische Politiker ist genervt von den Einmischungen. Außenminister Hoschjar Sebari etwa beklagte bereits, die Probleme bei der Regierungsbildung gingen vor allem auf Interventionen von außen zurück. Besonders die Türkei und der Iran versuchten, das durch den US-Abzug entstehende Machtvakuum zu füllen. „Die Region sucht ein neues Gleichgewicht“, sagte Irakexperte Duman. Und Türken wie Iraner sind dabei, ihr ganzes Gewicht in die Waagschale zu werfen.

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