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Politik: Im Biotop der Länder

Fachleute sind unterschiedlicher Ansicht, ob die Regionen im Umweltrecht eigene Wege gehen sollen

Berlin - Sind Landtagspolitiker unfähig? Darf man ihnen Politik nicht anvertrauen? Kein Bundestagsabgeordneter würde diese Fragen offen bejahen. Doch unterschwellig ist bei manchem Kritiker der Föderalismusreform ein beträchtliches Misstrauen gegen Landespolitik vorhanden. Auch bei vielen Umweltpolitikern des Bundes, deren Materie am vierten Tag der Marathonanhörung von Bundestag und Bundesrat das Thema war. Zwar soll mit der Reform erstmals möglich werden, was sich Umweltpolitiker seit Jahrzehnten wünschen: ein zentrales Umweltgesetzbuch nämlich. Doch in Teilen des Umweltrechts, beim Naturschutz, der Landschaftspflege und dem Wasserrecht, sollen die Länder vom Bundesrecht abweichen dürfen. Den Kritikern – dazu gehören Grüne, FDP, Linkspartei und Teile der SPD im Bundestag, das Bundesumweltministerium sowie eine Vielzahl von Verbänden – passt das nicht. Sie fürchten eine Senkung von Umweltstandards und einen „Wettbewerb nach unten“, wie die Vertreterin der Deutschen Umwelthilfe, Cornelia Zehm, sagte. Aber die Befürchtungen gehen noch weiter: Das Umweltrecht werde mit der Reform komplizierter und zersplitterter, EU-Recht könne nicht adäquat umgesetzt werden.

Der Umweltrechtler Michael Kloepfer von der Berliner Humboldt-Universität wies diese Argumente zurück. Er ist der Ansicht, dass sich ein vernünftiges Umweltgesetzbuch auch angesichts der Abweichungsrechte der Länder verwirklichen lasse. Trotz einiger Schwachstellen sei die Föderalismusreform im Umweltbereich ein Schritt in die richtige Richtung. „Die Umsetzung von Europarecht wird sichtlich erleichtert.“ Zudem werde durch das Abweichungsrecht – auch wegen der Vorgaben aus Brüssel, die die Länder binden – das Bundesgesetz nicht ausgehebelt, sondern nur modifiziert. Und überhaupt: „Wichtige umweltpolitische Impulse gingen in der Vergangenheit von den Landtagen aus, nicht vom Bund. Die innovative Kraft des Föderalismus hat sich gerade im Umweltrecht bewährt“, sagte Kloepfer. Er warnte davor, die Reform scheitern zu lassen, „weil nicht alle fachpolitischen Blütenträume erfüllt werden“. Der Mainzer Jurist Josef Ruthig unterstützte diese Haltung: „Wir müssen die Umweltpolitik nicht vor den Ländern schützen.“ Der frühere SPD-Landesminister Wolfgang Gerhards nannte die Vorwürfe gegen die Länder „unanständig“.

Doch die Zweifler blieben bei ihrer Kritik. Der Vorsitzende des Umweltsachverständigenrats, Hans-Joachim Koch, betonte, auch mit der Neuregelung werde nicht garantiert, dass es keine Blockaden zwischen Bund und Ländern mehr gebe – ein wichtiges Ziel der Einführung des Abweichungsrechts wäre also nicht erreicht. Der frühere Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig, heute Jurist an der Universität Kiel, monierte, der „Zuständigkeitsmix“ werde komplizierter. Die beabsichtigte Stärkung der Länder sei „nicht optimal gelungen“. Das Abweichungsrecht der Länder wurde freilich auch von den Kritikern nicht rundweg abgelehnt. Es geht ihnen einfach nur zu weit. Zehm etwa forderte, Abweichungsrechte der Länder nur „nach oben“ zu gestatten, verwies aber auch darauf, dass die EU-Vorgaben den Mitgliedsländern häufig Spielräume gäben. Dann stellt sich aber die Frage, warum den Ländern verboten sein soll, diese Spielräume auch „nach unten“ zu nutzen, wenn Brüssel das erlaubt, um regionale Belange zu achten, aber Berlin höhere Standards setzt. Kloepfer jedenfalls empfahl, trotz aller Bedenken im Detail die Chance zu nutzen, das deutsche Umweltrecht zu verbessern: Sonst werde dem Umweltschutz in Deutschland ein Bärendienst erwiesen.

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