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Politik: Im Innern des Skandals

Von Christoph von Marschall

Sie kriegen dich nicht wegen dem, was du getan hast – sie kriegen dich über die Vertuschungsversuche. Das ist Lehre Nr. 1 aus den Affären um das Weiße Haus. Auch Regel Nr. 2 bewahrheitet sich wieder: Verlässlich vergessen die Handelnden Lehre Nr. 1. In „Leakgate“ wurde Vizepräsident Cheneys Stabschef Lewis Libby nicht zum Verhängnis, dass man ihm Schuld in der Hauptsache nachweisen konnte – gezielte Enttarnung einer CIAAgentin aus Rache für die Kritik ihres Mannes, Botschafter Wilson, an der Begründung des Irakkriegs. Libby ist angeklagt wegen Meineid und Falschaussage.

Präsident Bush ist in der schwersten Krise seiner Amtszeit. Aber nicht, weil ihm nun das Lügengebäude rund um den Irakkrieg auf den Kopf fiele. Sondern wegen der Häufung von Misserfolgen: Pannen bei der Hurrikanhilfe, Scheitern seiner Richterkandidatin Harriet Miers, explodierende Energiepreise, wachsende Opposition aus der eigenen Partei.

Der Umgang mit politischen Skandalen in Amerika folgt anderen Regeln. Der juristische Nachweis eines Vergehens, einer Lüge spielt eine größere Rolle. Der überwältigende Augenschein reicht nicht. Würde in Deutschland Ähnliches vorfallen – ein enger Mitarbeiter des Kanzlers ist eines Meineids angeklagt, mit dem er vielleicht den Chef schützen wollte –, würden rasch Fragen nach der politischen Verantwortung ganz oben laut. Und nach Rücktritten, erst recht, wenn es um das zentrale Projekt der Regierung geht, in Bushs Fall den Irakkrieg.

Im Mittelpunkt der Debatte um „Leakgate“ müsste jetzt dessen – falsche – Begründung stehen. Tut sie in Amerika aber nicht, obwohl die Zahl der Gefallenen gerade die symbolträchtige Marke 2000 übersprungen hat. Für amerikanische Augen und Ohren ist falsch, was in vielen deutschen Medien zu hören oder lesen ist: Bush habe noch in seiner „Stateof-the-Union“-Rede 2003 wider besseres Wissen behauptet, Saddam Hussein versuche, in Afrika Bombenuran zu kaufen.

Gewiss, der Präsident hätte wissen können, wie fragwürdig das ist. Die CIA hatte 2002 Botschafter Wilson nach Niger geschickt, um das Gerücht zu überprüfen – pikanterweise auf Wunsch des Vizepräsidenten Dick Cheney, der obsessiv Material gegen Saddam sammelte. Wilson fand keine Belege. Wäre bewiesen, dass Bush diesen Bericht kannte, hätte er ernste Probleme – auch wenn er sich in der Rede auf britische, nicht amerikanische Erkenntnisse berief.

Wie bei Richard Nixons Watergate, wie bei Ronald Reagans Iran-Contra-Skandal sind immer höhere Kreise der Präsidialverwaltung ins Visier der Ermittler gerückt. Doch nur Nixon war nachzuweisen, dass er um die Machenschaften wusste. Offiziell kannte weder Reagan Iran-Contra noch Bush die Details der Irakdossiers. Was glaubwürdig klingt, schaut man sich die Charaktere der beiden an. Aktenfresser sind sie nicht.

Der Kern der Krise ist innenpolitischer Natur: Bush hat sein Kapital verbraucht, die Glaubwürdigkeit verspielt. Seine Basis erodiert. Angetreten war er, um nach Bill Clintons Lewinsky-Affäre die Moral des Weißen Hauses wiederherzustellen. Die Schlagzeilen aber handeln von Vetternwirtschaft, illegaler Wahlkampffinanzierung, Korruption. 64 Prozent sprechen Bushs Mannschaft die Ethik ab, das ist noch schlimmer als seine Sympathiewerte auf dem Tiefpunkt von 39 Prozent.

„Leakgate“ könnte Bush den Weg weisen: zum Personalwechsel. Der engere Kreis hat sich über die Jahre abgeschottet, es fehlt an frischen Ideen, kritischen Stimmen, der Neugier auf Alternativen zum eingefahrenen Betrieb. Pannen wie das Scheitern seiner Richterkandidatin häufen sich, weil seine Krisenmanager sich selbst an zu vielen Skandalfronten verteidigen müssen. Aber hat Bush den Mut zu diesem Befreiungsschlag – nach dem Beispiel seines Vorbilds Ronald Reagan nach dem Iran-Contra-Skandal? Bush trennt sich ungern von erprobten Menschen. Und er wird, um seine Basis zu sichern, wohl erst mal auf die Konservativen und Religiösen zugehen. Schlechte Zeiten für die Öffnung zur Mitte, die Amerika, die Bush dringend brauchte.

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