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Politik: Im Korsett der Regeln

Starre Vorgaben schaden der Debatte - meinen Medienexperten, die für Tagesspiegel und Deutschlandradio Schröder und Stoiber beobachteten

Von Ulrike Simon

Wer hat gewonnen, Kanzler Schröder oder Herausforderer Stoiber? Das ist die alles bestimmende Frage seit Sonntagabend, kurz vor 22 Uhr, als das erste Fernsehduell in der Geschichte der Bundesrepublik zu Ende war. Hohe Erwartungen wurden beim Zuschauer geweckt. Hat sich der Medienmann Schröder entzaubert, hat sich Stoiber entlarvt als Mann, der nur so tut, als komme er aus der Mitte? Eines merkten die Zuschauer jedenfalls: Wie einstudiert Stoibers Lächeln wirkte, wie steif Schröder, wie wenig konkret und dadurch allzu ähnlich die Reden der beiden waren. Schröder ließ sich nicht provozieren, Stoiber verhaspelte sich kaum, alles sehr professionell – und leblos. Als es vorbei war, wurde schnell klar: Die Frage, wer der Sieger, wer der Verlierer dieses Duells ist, beantworten die Analysen und Interpretationen der Rezensenten.

Bei der CDU ist klar: Der Gewinner heißt Edmund Stoiber. Und bei der SPD? Auch sie kennt den Gewinner – Gerhard Schröder natürlich. Jeder färbt das Duell nach seinen Interessen schön. Gibt es objektive Kriterien, um sagen zu können: Wer war besser? Hat das Duell seinen n verdient? Wer war aggressiver? Wer war länger im Bild? Wie konkret waren die Antworten? Stoiber zum Beispiel war in 60 Einstellungen allein auf dem Bildschirm zu sehen. Schröder brachte es nur auf 48 bildschirmfüllende Einstellungen. Diese und andere Antworten gab Medien-Tenor, das Institut für Medienanalysen, bereits wenige Minuten nach dem Ende des Duells. Schon während der Übertragung hatten die Mitarbeiter des Instituts mit der Auswertung des Duells begonnen.

Stoiber musste sich rechtfertigen

Medien-Tenor ist eines der Mitglieder der so genannten Kanzlerkommission. So wie die Fernsehduelle ihr Vorbild in den USA suchen, hat sich nach dem Vorbild der amerikanischen „Commission on Presidential Debates“ im Sommer dieses Jahres die Kanzlerkommission gegründet. Ihre Aufgabe sieht sie darin, den Wahlkampf medienkritisch zu begleiten, empirisch zu erforschen und politikwissenschaftlich zu analysieren.

Einige Ergebnisse der Erhebungen: Stoiber, der Herausforderer, war aggressiver als Schröder, der Amtsinhaber. Auf 75 negative Aussagen von Stoiber über Schröder kamen gerade mal 20 Kritikpunkte von Schröder. Das dürfte der Grund sein, wieso Schröder staatsmännisch wirkte, Stoiber hingegen offensiv. Verstärkt hat sich der Eindruck dadurch, dass die beiden Moderatoren bei Schröder wesentlich seltener nachhakten (nur dreimal). Stoiber musste sich bei acht Nachfragen öfter rechtfertigen.

Am Sonntagabend trafen sich die Kanzlerkommissare im Anschluss an die Übertragung des Duells in den Räumen der American Academy in Berlin-Wannsee. Es diskutierten Bernd Gäbler vom Adolf Grimme Institut, Lutz Hachmeister, Leiter der Jury des Deutschen Fernsehpreises, Christine Landfried vom Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg, Claus Leggewie vom Zentrum für Medien und Interaktivität der Universität Gießen sowie Roland Schatz von Medien Tenor. Moderiert wurde die Veranstaltung von Deutschlandfunk- Chefredakteur Rainer Burchardt und Tagesspiegel-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo.

Wie war es nun also, das Duell? Zuvor hatte es bereits zwei so genannte Print-Duelle gegeben. Eines in „Bild“ und „Bild am Sonntag“ und eines in der „Welt“ und in der „Süddeutschen Zeitung“. Was Schwarz auf Weiß nachzulesen ist, bleibt länger im Gedächtnis, sagten die Befürworter. Langatmig sei das, sagten die Kritiker, ein gedrucktes Medium könne nicht das leisten, was Fernsehen kann: Mimik und Gestik zeigen. Und das sei doch das Spannende an so einem Duell. Es komme nicht darauf an, was gesagt wird, sondern wie es etwas gesagt wird.

Doch Kanzler und Kandidat seien dagestanden „wie gefesselte Riesen“, sagte Lutz Hachmeister. Mit Volker Weicker hätten die Sender „einen der bekanntesten Live-Regisseure engagiert, und dann dürfe der nur zwei Einstellungen machen“, kritisierte Hachmeister. Auch Claus Leggewie empfand das Duell als steif und tendenziell langweilig. Immerhin, sagte Leggewie, habe das Fernsehen damit einen großen Kreis von Zuschauern erreicht, die sich sonst wenig mit Politik beschäftigen.

Einig war sich die Runde in einem Punkt: Die mit den Wahlkampfberatern ausgehandelten Regeln zwängten das Duell in ein starres Korsett, aus dem sich weder Kandidaten noch Moderatoren hätten befreien können.

Der Sieg der Sekundanten

„Die Form dominierte die Inhalte“, sagte Hachmeister. Dadurch habe das Duell „aseptisch“, „wattiert“, geradezu „spacey“ gewirkt, Schröder habe eine Viertelstunde gebraucht, bis er überhaupt eine Gestik entwickelt habe. Christine Landfried zog das Fazit: „Die Chance wurde verschenkt, es entwickelte sich kein Gespräch.“ Die Themen wurden, so Gäbler, abgearbeitet wie aus einem Fragekatalog. ohne dass sie vertieft worden seien. Claus Leggewie nahm die Moderatoren in Schutz: Es sei nicht ihre Schuld gewesen. Der unbekannte Peter Limbourg habe die Chance seines Lebens genutzt, obgleich Peter Kloeppel aufmerksamer gewesen sei. Schuld an der aufkommenden Langeweile seien die Wahlkampfberater gewesen, die das Live-Risiko auf ein Minimum reduziert hätten.

Konkret wurden die Kandidaten nie, stellte Landfried fest, die Duellanten hätten auf diese Weise alles Unangenehme gemieden. Letztlich sei es nur um eines gegangen: „Stoiber wie Schröder haben bewiesen, dass sie fernsehtauglich sind.“ „Aber sind sie auch regierungsfähig?“, fragte Leggewie.

Er oder ich?

In einem Punkt überraschen die Ergebnisse von Medien-Tenor: Beim Fernsehduell am Sonntagabend betrug der Anteil sachpolitischer Aussagen von Schröder und Stoiber 68,7 Prozent. Das ist mehr als der Anteil beim Rededuell von „Bild“ und „Bild am Sonntag“ (63,8 Prozent). Und deutlich mehr als beim Rededuell von „Welt“ und „Süddeutscher Zeitung“: Dort betrug der Anteil der Sachthemen nur 53,6 Prozent. Zum Vergleich: In allen von Medien-Tenor kontinuierlich erhobenen Tageszeitungen und Wochenmedien hatten in den Monaten Juli und August sachpolitische Aussagen einen Anteil von 46,3 Prozent. In der gewöhnlichen Berichterstattung geht es also deutlich seltener um Arbeitsmarkt-, Steuer- oder Umweltpolitik.

Nach Themen geordnet hat Medien-Tenor festgestellt, dass im Fernsehduell Steuern und Arbeitsmarkt sowieso die Hauptthemen waren. 12,9 beziehungsweise 12,2 Prozent der sachpolitischen Aussagen bezogen sich auf diese beiden Themenfelder. Aussagen über Persönliches spielten mit sieben Prozent eine noch größere Rolle als Fragen zur Außenpolitik (4,3 Prozent), zur Regierungsarbeit (2,9) oder Koalitionspolitik (2,7). Kein Wunder – in diesem Wahlkampf geht es um die Frage „er oder ich“. Niemand in der Kanzlerkommission konnte sich am Sonntag daran erinnern, ob Schröder auch nur einmal namentlich die SPD erwähnt hätte.

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