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Politik: Im Nebel der Kampfbegriffe (Kommentar)

Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern", hat der Dichter Ernst Jandl einst sinniert. Im Streit um die Reform der Bundeswehr erweist sich das als aktuelle Erkenntnis.

Von Robert Birnbaum

Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern", hat der Dichter Ernst Jandl einst sinniert. Im Streit um die Reform der Bundeswehr erweist sich das als aktuelle Erkenntnis. Mit dem Ruf "Wir wollen keine Interventionsarmee" wehren sich Rechte wie Linke, vom CSU-Generalsekretär Thomas Goppel bis zum Linksgrünen Christian Ströbele, gegen das Reform-Modell der Weizsäcker-Kommission für die Streitkräfte. Eine sonderbare Koalition der Geister. Der Verdacht liegt nahe: Beide meinen etwas anderes, als sie sagen.

Den Ansatz für die Kritik von Rechts wie Links bildet die sicherheitspolitische Lageanalyse der Kommission. Diese Analyse führt zu drei zentralen Thesen. Erstens: Deutschland ist nicht mehr durch einen kurzfristigen Angriff mit Atomwaffen oder großen konventionellen Armeen gefährdet. Entscheidend ist das Wort "kurzfristig"; dazu später. Zweitens: Die Abwehr anderer, zum Teil neuer Gefahren - vom Computer-Krieg bis zur begrenzten Bedrohung eines Nato-Partners - erfordert neue Fähigkeiten. Drittens: Die Fähigkeit, in Krisen fern des eigenen Hoheitsgebiets einzugreifen, wird für die Sicherheit Europas und der Mittelmacht Deutschland wichtiger, Stichwort "Distanzverteidigung".

Die Linke zieht These Drei in Zweifel: "Wir dürfen nicht Weltpolizist spielen, auch nicht in kleinerem europäischen Maßstab." Das bleibt abstrakt ja richtig. Aber die Wirklichkeit ist nicht so eindeutig; der Kosovo-Konflikt hat es gezeigt. Er belegt überdies, dass selbst die relativ unbewegliche Bundeswehr gleichwohl interventionsfähig ist. Nicht Strukturen verhindern Abenteuer, sondern Politik.

These Eins wiederum bildet den Ansatzpunkt für konservative Kritik. "Die Bundeswehr muss Stabilitätsanker in Europa bleiben", formulieren CDU und CSU in ihrer Antwort auf das Weizsäcker-Papier. Konservative Autoren beschwören eine Rolle Deutschlands als "Großmacht in der Mitte des Kontinents". Sie alle raunen düster etwas von Gefahren im Osten, die so richtig ja niemand abschätzen könne. Nun ist die Entwicklung etwa in Russland in der Tat schwer absehbar. Sehr wohl absehbar aber ist: Die ehemals Rote Armee in ihrem heutigen Zustand ist - jetzt kommt das ominöse Wörtchen zum Tragen - "kurzfristig" nicht zum Massenüberfall gen Westen in Marsch zu setzen.

Da wird eine Gefahr beschworen, die es derzeit und auf absehbare Zeit gar nicht gibt. Da wird so getan, als gehe es bei der Wehrreform darum, die Bundeswehr zur leichten Kavallerie umzubauen. Und als wäre Masse immer noch Macht wie zu Napoleons Zeiten. Masse ist gut, wenn das Geld reicht. Wenn nicht, bedeutet eine kleinere, aber mobile, gut ausgerüstete und ausgebildete Armee mehr Macht als eine große, weniger gut gerüstete.

In Tat und Wahrheit bezweifelt das auch niemand. In den vorliegenden Reform-Modellen besteht Dissens über den Anteil der Wehrpflichtigen in der neuen Bundeswehr: Er schwankt zwischen Null (bei den Grünen) und 100 000 (bei der Union). Einigkeit besteht allerdings darin, dass der Profi-Anteil an der Bundeswehr bei etwa 200 000 Soldaten liegen sollte, davon die Hälfte bis zwei Drittel sofort verfügbare Einsatzkräfte. Das ist aber genau jener Teil der Armee, der für Interventionen wie im Kosovo genau so geeignet wäre wie für Landes- und Bündnisverteidigung auf Distanz.

Die Bundeswehr wird folglich "Interventionsarmee" - nicht aus böser Absicht, sondern weil das die brauchbarste Struktur für alle heute realistisch anzunehmenden Fälle darstellt. Die Unionsparteien bauen einen Popanz auf zu dem einzigen Zweck, die Wehrpflicht auf hohem Niveau zu halten: als ob ihr Modell strukturell eine Nicht-Interventionsarmee wäre. Wie sagt der Dichter? "Werch ein Illtum."

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