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Politik: Im Schatten des Irak

Afghanistan spielt in der US-Öffentlichkeit keine Rolle mehr – Washington ist dennoch optimistisch

Furchtsam ist der amerikanische Verteidigungsminister nicht. Am wohlsten fühlt er sich in der Höhle des Löwen. Am Dienstag gab Donald Rumsfeld dem arabischen TV-Sender „Al Dschasira" ein Interview. Doch scheu war auch dessen Reporter nicht. „Wollen die USA den Irak angreifen, um von ihrem Versagen in Afghanistan abzulenken?" fragte er. Rumsfeld konterte: „Haben Sie von Versagen gesprochen? Haben Sie die Menschen gesehen, als Kabul befreit wurde? Die waren glücklich und haben getanzt. Zwei Millionen Flüchtlinge sind seitdem zurückgekommen. Es gibt keine Trainingscamps von Al Qaida mehr. Die Bevölkerung hat eine Übergangsregierung. Jungen und Mädchen besuchen die Schule. Humanitäre Hilfe fließt ins Land. Das ist kein Versagen, das ist ein Erfolg."

In gewisser Weise hat Rumsfeld Recht. Gemessen an der Situation vor dem Krieg ist die Lage in Afghanistan gut. In Kabul öffnet jede Woche ein neues Geschäft. Ein Hyatt-Hotel für 40 Millionen Dollar ist im Bau. Im vergangenen halben Jahr wurden 2600 Firmenlizenzen vergeben, viele davon an ausländische Investoren. In den 45 Jahren davor waren es 2045 Lizenzen. Auch Präsident Hamid Karsai, der am Donnerstag in Washington mit US-Präsident George W. Bush zusammentraf, freut sich über den Mini-Boom und die Rückkehr der Flüchtlinge. „Die Menschen würden keine Unternehmen gründen, wenn sie nicht an Frieden und Sicherheit glauben würden", sagt er. „Das ist ein positives Zeichen." Am vergangenen Wochenende nahm Karsai an einer internationalen Afghanistan-Konferenz in Tokio teil. Dort wurden ihm – zusätzlich zu den bislang versprochenen 4,5 Milliarden US-Dollar – weitere 50 Millionen Dollar zugesagt.

Aus einer anderen Perspektive verändert sich das Bild. Die mahnenden Stimmen mehren sich. Die rivalisierenden Stammesfürsten denken nicht daran, sich entwaffnen zu lassen. In den Grenzregionen setzen sich bereits wieder Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer fest. Über die Auswirkungen, die ein Irak-Krieg hätte, lässt sich nur spekulieren. Lakhdar Brahimi, der ehemalige UN-Sonderbeauftragte für Afghanistan, ist tief besorgt. „Der Tag hat nur 24 Stunden", sagt er. „Wenn davon 20 Stunden der Irak absorbiert, bleibt für andere Dinge nicht mehr viel Zeit." Dem widerspricht Alastair McKechnie, bei der Weltbank für die Verteilung der Afghanistan-Gelder zuständig: „Ein Krieg im Irak hätte auf unsere Arbeit keinen Einfluss."

Auch US-Präsident Bush versichert bei jeder Gelegenheit, sein Land bleibe dem Wiederaufbau und der Freiheit Afghanistans verpflichtet. Fast wöchentlich sterben bei Gefechten weiterhin amerikanische Soldaten. Aber immerhin konnte bislang jede offene militärische Auseinandersetzung zwischen den rivalisierenden Fraktionen verhindert werden. Der Frieden mag äußerst brüchig sein, aber er hält. Dennoch kommt Afghanistan in den amerikanischen Abendnachrichten praktisch nicht vor. Der politische Kompass richtet sich ausschließlich auf den Irak.

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