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Politik: Im Zweifel gegen Amerika

Die Iraker wollen nicht glauben, dass sich der Diktator ergeben hat – und spekulieren über den wahren Ablauf

NACH DER FESTNAHME SADDAMS

Böige Stürme fegen Sand durch die Straßen Bagdads. Einen Tag, nachdem die Iraker von der Festnahme Saddam Husseins erfahren haben, ist der Himmel düster und grau, Regen wird erwartet. Unter dem alten Regime hätten die staatlichen Medien vielleicht erklärt, der allmächtige Führer habe unfreundliches Wetter als Zeichen der Trauer angeordnet. Diese Zeiten sind endgültig vorbei – das haben die Fernsehbilder des angeschlagenen Ex-Diktators und vor allem die Nachricht, dass er sich in einem Erdloch versteckt ohne Gegenwehr festnehmen ließ, auch den Irakern klar gemacht, die noch ein gutes Wort für Saddam übrig hatten.

Am Tag danach diskutieren Iraker, warum Saddam Hussein nicht auf die US-Soldaten geschossen oder seinem Leben selbst ein Ende gesetzt hat. „Er ist ein Feigling“, sagt ein älterer Mann in einem Cafe. „Verräter“ nennt ihn der Mann neben ihm. Der arabische Nationalist Souhair, der das Regime ablehnte, aber unter dem Verlust der Souveränität Iraks leidet, erklärt: „Wenn er eine Pistole hatte, wie berichtet wurde, hätte er sich umbringen müssen. Das wäre nach den Stammesregeln, denen auch Saddam Hussein anhing, ein ehrenvolles Ende gewesen.“

Dabei scheint Saddam dem Tod recht nah gewesen zu sein. Der Kommandeur der US-Einheit, die ihn am Samstag in seinem Erdloch aufstöberte, erwog, eine Granate auf das Versteck abzufeuern. Der Zigarettenverkäufer am Eingang zum Hauptquartier der amerikanischen Zivilverwaltung im alten „Palast der Republik“ kann es nicht fassen, dass der Mann, der einst große Reden gegen die Amerikaner führte, sich in einem Erdloch versteckt und widerstandslos ergibt. „Dann war alles Lüge, was er vorher erklärt hat.“

Der Leiter des irakischen Rats für Wiederaufbau, Imad Diah, zeigt sich weniger überrascht: „Saddam war immer ein Feigling, der seine besten Freunde hinterrücks ermorden ließ. Er hat sich nie dem offenen Kampf gestellt.“ Zwar habe er seit seinem 13. Lebensjahr immer eine Pistole bei sich gehabt. Aber jetzt, wo er sie zur Selbstverteidigung hätte einsetzen können, habe er keine einzige Kugel abgegeben. Diah, der 20 Jahre in den USA lebte und von den Amerikanern eingesetzt wurde, freut sich, dass die Iraker diese Feigheit jetzt mit eigenen Augen sehen konnten.

Er glaubt, dass das klägliche Ende Saddams den Weg frei macht für neues Denken und mehr „Enthusiasmus“ für den Aufbau eines neuen Irak. Damit gibt der Iraker, dessen Arbeitsplatz im Palast unweit des Büros von US-Zivilverwalter Paul Bremer liegt, sicher die Hoffnung der US-Regierung wieder.

Dennoch gibt es Iraker, die an der Darstellung der Amerikaner zweifeln. Die Musikstudentin Samara glaubt, dass Saddam Hussein betäubt wurde, ehe er aus seinem Loch geholt wurde. Diese Theorie findet viele Anhänger. Skeptisch ist auch Muthanna Harif al Dhari von der sunnitischen Vereinigung islamischer Wissenschaftler: „Er zeigte keinen Schock und seine Augen wirkten unnormal“, sagt der Chefredakteur der Zeitung „Al Basair“. Der islamistische Universitätsprofessor schließt nicht aus, dass die Amerikaner den früheren Präsidenten bereits vor längerer Zeit festgenommen und erst jetzt der Öffentlichkeit präsentiert haben.

Al Dhari kritisiert die Amerikaner dafür, dass sie Saddam Hussein in demütigenden Posen zeigen: wie sein Mund untersucht oder sein Kopf herumgedreht wird. Sicher ist sich al Dhari jedoch, dass die Festnahme des im April gestürzten Mannes an der Lage im Nachkriegsirak nichts ändern wird.

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