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Wie viel Profil muss sein? Das ist eine der Fragen, die sich die Grünen stellen. Das Foto zeigt den Parteivorsitzenden Cem Özdemir bei der Demonstration gegen den Castor-Transport ins niedersächsische Zwischenlager in Gorleben vor zwei Wochen. Foto: Jochen Lübke/dpa

© dpa

Ökopartei: Grüne wollen nüchtern bleiben

Die Grünen wollen sich um Sachthemen bemühen und Grabenkämpfe vermeiden. Inzwischen hat die Parteiführung ganz offizielle große Ziele in Angriff genommen.

Von Hans Monath

Berlin - Nach monatelangem Höhenflug in Umfragen hat die Parteiführung der Grünen Anfang der Woche ganz offiziell große Ziele ausgerufen: Im kommenden Jahr will die Ökopartei in Baden-Württemberg und in Berlin den Regierungschef ablösen, in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern in die Landtage einziehen und in Bremen, wo sie schon mitregiert, zulegen. Der neue Mut stützt sich vor allem auf die Arbeit der Demoskopen, die bundesweit mehr als 20 Prozent und in Berlin und Baden-Württemberg bis zu 30 und 32 Prozent für die Grünen messen. So viel Anziehungskraft entfaltet die kleinste Partei im Bundestag derzeit, dass innerhalb weniger Wochen zuletzt 1000 neue Mitglieder beitraten.

Doch inmitten des politischen Booms treibt viele in der Grünen-Spitze die Sorge um, ob die eigene Partei für die hohen Erwartungen und möglichen neuen Aufgaben wirklich gerüstet ist. Statt auf Triumphgeheul verlegt sich die Parteiführung deshalb auf Demutsgesten und respektvolle Bekenntnisse zur wachsenden Verantwortung. „Wir wissen, das ist wie hochprozentiger Schnaps – das kann alles sehr flüchtig sein“, warnt Parteichef Cem Özdemir. Nicht erst seit den Attacken der Kanzlerin auf die Grünen während des CDU-Parteitags ist den Angegriffenen bewusst, dass politische Gegner und Wähler ab jetzt mit anderen Maßstäben messen werden. „Das nächste Jahr wird hart für uns“, sagt Özdemir voraus: „Da wird alles genau unter die Lupe genommen.“

In diesem Spannungsfeld zwischen Euphorie und dem Willen zu einem strengeren Realismus bewegt sich der Bundesparteitag, den die Grünen an diesem Freitag in Freiburg beginnen. „2011 wird spitze“, heißt dessen letzter Programmpunkt flapsig. Doch gleichzeitig lässt die Grünen-Führung keinen Zweifel daran aufkommen, dass das dreitägige Treffen ein strenger Arbeitsparteitag werden soll, auf dem es nicht um Selbstbespiegelung, sondern um die sachliche Unterfütterung des neuen Anspruchs in den Ländern im kommenden Jahr und bei der Bundestagswahl zwei Jahre später geht.

Bei den Debatten der rund 800 Delegierten um die großen Themenblöcke Energie-, Kommunal-, Gesundheits- und Nahostpolitik zeichneten sich zumindest im Vorfeld des Parteitags keine Machtproben zwischen den Parteiflügeln ab. Das Erlahmen des früher in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Streits zwischen Linken und Reformern (früher: Realos) trug in den vergangenen Jahren erheblich zum geschlossenen Erscheinungsbild der Partei bei. Auch die Neuwahlen der Parteiführung dürften in Freiburg kaum zum Zerwürfnis führen: Weder für die Parteichefs Claudia Roth und Özdemir, die wieder antreten, noch für die Mitglieder des Parteirats gab es Gegenkandidaten.

Heftige, emotionale Debatten erwarten erfahrene Grünen-Politiker in Freiburg nicht. Das liegt womöglich auch an der Regie der Parteispitze, die den nun unter Beobachtung stehenden Delegierten Grabenkämpfe ersparen will. Zum eigentlichen Polit-Test quer durch alle Themenfelder dürfte sich die Frage entwickeln, ob und welche Zumutungen die Grünen für ihre wachsende Wählerschaft aus den Mittelschichten beschließen oder ob sie die Reinheit des Programms vorziehen. Im Streit um die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze für die Bürgerversicherung sprach sich die Bundestagsfraktionschefin und Berliner Wahlkämpferin Renate Künast schon für die moderatere Variante aus – für 4162 statt 5500 Euro (siehe Kasten).

Andere Grüne dagegen warnen ausdrücklich davor, das Programm in der Hoffnung auf eine breitere Wählerbasis zu verwässern. Die Parteispitze gibt sich fröhlich überzeugt, dass beides möglich sei – klares Profil und Wahlerfolg. Die Delegierten in Freiburg werden dazu ihre Meinung sagen. Schließlich gilt auch für die Partei im Höhenflug die alte Regel: Auf hoher See, vor Gericht und auf Grünen-Parteitagen ist man in Gottes Hand.

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