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Politik: In bester Gesellschaft

Der mysteriöse Tod Alexander Litwinenkos wirft ein Schlaglicht auf die russische Exilgemeinde Londons

Berlin - Claudia Roth brachte es auf den Punkt: „Da ist ja dieser neue James-BondFilm ein Witz gegen das, was in Wirklichkeit passiert“ – so kommentierte die Grünen-Vorsitzende am Wochenende das Rätselraten um den Tod Alexander Litwinenkos. Ähnlich dürften derzeit viele Londonder empfinden: Während in den Kinos der neue Bond läuft, entspinnt sich mitten in London ein überaus reales Spionagedrama – das zudem ein grelles Schlaglicht auf die russische Exilgemeinde der britischen Hauptstadt wirft.

Ob dieses verzweigte Netzwerk gar etwas mit Litwinenkos Tod zu tun hat, darüber wird nun zumindest spekuliert. Zwar verlautete aus britischen Geheimdienstkreisen am gestrigen Sonntag, im Zuge der Ermittlungen würden auch Mitarbeiter nach Moskau entsandt. Trotzdem gilt beileibe nicht als ausgemacht, dass hinter der Vergiftung des Ex-Agenten tatsächlich der lange Arm des Kremls steckt. Ein „kleiner Fisch“ sei Litwinenko gewesen, schrieb etwa der britische „Guardian“ in seiner Sonntagsausgabe: Um einen wenig bedeutenden Kritiker loszuwerden, wäre der russische Geheimdienst wohl kaum ein solches Risiko eingegangen.

In der staatsnahen russischen Presse wird unterdessen gar über ein „Bauernopfer“ des Putin-kritischen Exiloligarchen Boris Beresowskij gemutmaßt. Der in London lebende Russe hatte sich in der Privatisierungsära ein Milliardenvermögen aufgebaut und galt als Strippenzieher Boris Jelzins, bevor er sich Ende der neunziger Jahre mit dessen Nachfolger Wladimir Putin überwarf. Seit 2000 ist er in Russland wegen Wirtschaftskriminalität zur Fahndung ausgeschrieben, dem Haftbefehl entzog er sich durch seine Flucht nach London. Kurz zuvor hatte Litwinenko, damals noch im Dienste des russischen Geheimdienstes, behauptet, der FSB plane Beresowskijs Ermordung. Beide Männer begegneten sich im Londoner Exil wieder und lancierten von dort wiederholt Attacken gegen Putin: Der Geheimdienst sollte beiden Männern zufolge sowohl die Bombenanschläge auf Moskauer Hochhäuser als auch die Geiselnahme im Musicaltheater „Nordost“ fingiert haben, um Putin einen Vorwand für seinen Tschetschenien-Feldzug zu liefern.

Auch mit der von ihm gegründeten und finanzierten „International Foundation for Civil Liberties“ arbeitet Beresowksij nach eigener Aussage auf einen Regimewechsel in Moskau hin. Als Direktor steht der Londoner Nichtregierungsorganisation der russischstämmige US-Amerikaner Alexander Goldfarb vor – der ebenfalls als Vertrauter Alexander Litwinenkos galt und in den vergangenen Tagen dessen Botschaften vom Krankenbett an die britische Öffentlichkeit trug.

Goldfarb war es auch, der Litwinenkos direkte Beschuldigung Wladimir Putins verlas – und im Anschluss seine eigene Version des Verbrechens zu Protokoll gab: Demnach sollten die ehemaligen FSB-Agenten Andrej Lugowoj und Dmitrij Kowtun ihren Ex-Kollegen Litwinenko im Auftrag des FSB ermordet haben. Beide Männer hatten sich am Tag der Vergiftung mit Litwinenko im Londoner „Millennium“-Hotel getroffen, wo inzwischen Spuren des radioaktiven Giftes Polonium 210 nachgewiesen wurden. Lugowoj und Kowtun streiten eine Mitschuld vehement ab – und sind zudem nur zwei von vielen Ex-Geheimdienstlern, mit denen Litwinenko in London Umgang pflegte: Zu Beresowskijs Netzwerk gehört etwa auch Oleg Gordiewskij, ein prominenter Ex-Agent, der Litwinenko bei seinen Putin-kritischen Recherchen assistiert hatte.

Und dann gibt es noch die „tschetschenische Spur“: Beresowskij und Litwinenko standen in engem Kontakt zu Achmed Sakajew, dem amtierenden „Untergrundaußenminister“ Tschetscheniens, der in Russland als Terrorist zur Fahndung ausgeschrieben ist. Im Londoner Nobelbezirk Muswell Hills wohnte Sakajew sogar in der gleichen Straße wie Litwinenko – was die britische Presse in den vergangenen Tagen wiederholt hervorhob. Grundlos? Zumindest spricht es dafür, dass den Londonern ihre Stadt derzeit mulmiger ist als so mancher Agententhriller.

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