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CDU-Wahlplakat für die Berlin-Wahl 2016.

© imago/Stefan Zeitz

Nach der Berlin-Wahl: In Steglitz-Zehlendorf lösen sich die Milieus auf

Nicht mal mehr auf die Wähler in Steglitz-Zehlendorf ist Verlass. Die CDU wird abgestraft, die Linken ziehen mit voller Kraft in die BVV.

Auf Heide Nolte, Rentnerin, ist noch Verlass: „Ich hab’ die CDU gewählt, das machen die meisten hier.“ Eigentlich fühle sie sich der SPD näher – „aber die Politiker machen ja eh, was sie wollen“. Trotzdem kein Kreuz bei der AfD gemacht? „Nein“, sagt sie, aber mancher in ihrem Bekanntenkreis schon. „Protestwähler, die ein Zeichen setzen wollen“, urteilt Nolte fachkundig. Sie nicht, „ich fühle mich hier doch wohl, in Zehlendorf.“

Das war für viele die Gleichung, weshalb der Südwesten der Stadt bisher meist als Wohlfühloase für jene auf der Sonnenseite des Lebens galt und deshalb auch Adenauers Bonmot „Keine Experimente!“ galt. Doch ähnlich wie im immergrünen Friedrichshain-Kreuzberg auf die Wähler nicht mehr Verlass ist: Die CDU ist in Steglitz-Zehlendorf mit fast zehn Prozent im Minus, die AfD im Bezirksparlament, wenn auch mit weniger Wucht als im Berliner Durchschnitt, die Liberalen sind triumphal zurück und – Achtung, Bürgertum: – die Linke zieht erstmals und mit voller Kraft in die BVV.

„Wahnsinn, wir haben eine Fraktion in Steglitz“, sagt deren stellvertretende Bezirksvorsitzende Franziska Brychcy, die mit drei Genossen zur Bäckerei Thoben unterm Bierpinsel in Steglitz zum Gespräch lädt. „Ist zwar noch nicht die Weltrevolution, aber immerhin“, sekundiert Eberhard Speckmann. Aber die „Kommunisten“ stehen nicht mehr auf verlorenem Posten in Berlins bürgerlicher Hochburg.

An ihrem Stand hätten Wähler, erzählt Dennis Egginger-Gonzalez, der SPD abgeschworen und versprochen erstmals die Linke zu wählen. „Ihr macht, was ihr sagt, und sagt, was ihr meint“, so schätzten die Wähler ihre Arbeit ein, meint Gabilotte Lanzrath – und honorierten das.

FDP und AfD statt CDU

Die Linke, das war bisher die APO im Bezirk, übrigens genauso wie die FDP, mit der die Sozialisten tatsächlich vertrauensvoll zusammengearbeitet haben wollen. Gegen das Bauprojekt Lichterfelde- Süd haben sie sich engagiert, gegen die „zutiefst unsoziale Politik“ der CDU etwa bei der Wohnraumversorgung, und sie hätten auf die Folgen des notleidenen Bezirkshaushalts hingewiesen, die etwa Musikschulen in die Zahlungsunfähigkeit treibe. „Die CDU ignoriert das“, sagt Brychcy. Die Konservativen verstünden das innerstädtische Milieu nicht, deshalb verlören sie an Wählern je näher die Quartiere am Zentrum sind. Und weil die Stadt so stark wachse, „ist auch Steglitz-Zehlendorf jetzt Kernstadt“.

Aus der APO ins Parlament wechselt auch Rolf Breidenbach von der FDP. Bei Fragestunden von Einwohnern hat er die Stimme erhoben, im Stadtplanungsausschuss, überall, wo sich jeder andere Bürger auch einbringen kann – „und vielleicht ist das bei den Wählern angekommen.“ Ähnlich wie die Linke vor fünf Jahren abgestraft wurde für ihre Sünden im rot-roten Senat, wurde es die FDP für ihre Profillosigkeit im Bund.

Und so erscheint es plausibel, dass die Wähler die FDP – aber eben auch die AfD – nun (zurück-)holen, wo die Wurstigkeit der überforderten „Volksparteien“ nur noch nervt. Wenn dann einer wie Breidenbach mit einer Vita als Verwaltungsjurist – heute im Einsatz bei der Landesregierung in Potsdam – das Chaos in den Bürgerämtern ordnen will, ist das eine Option.

Eine Grüne, die zu viel Auto fährt

Übrigens sogar für Maren Schellenberg, die als Spitzenkandidatin ihre Grünen im Bezirk stabiler halten konnte als im Landesdurchschnitt. Erstaunlich, denn wie die CDU hatte sich die Öko-Partei mit sich selbst beschäftigt, bis sich Schellenberg in einer Kampfabstimmung gegen die Noch-Stadträtin Christa Markl-Vieto durchsetzte. Sie fahre viel Auto für eine Grüne, sagt Schellenberg, bringt Verständnis für Bauträger auf, wenn sie auch Eigentumswohnungen errichten wollen und erklärt die schwarz-grüne Zählgemeinschaft im Bezirk damit, dass man so „auf die Seite der Macht“ wechseln konnte.

Die Kernthemen ihrer Partei hat die Fachanwältin für Medizinrecht aber auch auf der Agenda: mehr sichere Radwege und das Hundeverbot am Schlachtensee. Dass sie die Frage zu weiteren schwarz-grünen Jahren umschifft, liegt wohl auch daran, dass Schwarz-Rot möglich ist.

Aber der Spielraum der Bezirke ist eh begrenzt und vielleicht schlägt deshalb die Landespolitik auch so stark auf die Wahlergebnisse durch. Die scheidende Christa Markl-Vieto jedenfalls ist „extrem wütend“ darüber, wie „die uns kaputt gespart haben“. Die, das ist der Senat, der die Bezirke längst nicht mehr so finanziert, dass diese ihren Aufgaben nachkommen können. Da dürfe man sich nicht wundern, dass „die Etablierten so abschmieren“.

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