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Politik: In Wahrheit ist es Liebe

SCHIMPFEN AUF DIE BAHN

Von Carsten Brönstrup

Von heute an soll alles besser werden bei der Deutschen Bahn. Das haben die Bahnmanager versprochen. Ein neuer Fahrplan, neue Züge und neue Verbindungen. Die sollen das VerspätungsChaos der vergangenen Wochen wettmachen. Aber daraus wird nichts. Schon nach wenigen Stunden wird der schöne neue Plan vergessen sein, verärgerte Fahrgäste werden auf den Bahnsteigen stehen und wissen: Die Bahn kommt zu spät, und niemand hat Bescheid gesagt. Wie gehabt.

Das liegt diesmal nicht am Fahrplan und auch nicht an den neuen Zügen. Es liegt am Bahnhof Osnabrück. Dort müssen heute Weltkriegsbomben entschärft werden, deshalb kommen Dutzende Züge verspätet an oder gar nicht. Die Kunden müssen geduldig sein – aber sie werden schäumen. Weil ihnen Pünktlichkeit und Service versprochen wurde. Weil sie Verspätung ohne Service bekommen.

Wie es der Staatskonzern Bahn auch macht, er macht es falsch. Pausenlos arbeiten die 250 000 Mitarbeiter daran, pro Tag 4,5 Millionen Zugfahrer zuverlässiger, besser und schneller zu befördern. Ständig wird irgendwo im Unternehmen oder am Schienennetz reformiert und repariert. Doch Verbesserungen nehmen die Kunden kaum zur Kenntnis.

Tatsächlich haben die Kunden in den vergangenen zwölf Monaten unter der Bahn gelitten wie selten zuvor. Weihnachten 2002 froren die Züge im Blitzeis fest. Kurz zuvor hatte die Bahn ein neues Preissystem aufs Gleis gesetzt, das die Kunden so verwirrte und empörte, dass sie lieber auf das Auto oder das Flugzeug umstiegen. Obendrein wollte Bahnchef Hartmut Mehdorn die Speisewagen streichen. Und im Herbst rutschten die Züge auf dem Laub aus, das auf die Schienen gefallen war, und verspäteten sich um Stunden. Die Leute sind nicht gut zu sprechen auf die Bahn.

Vielleicht schimpfen sie aber auch deshalb, weil sie sie gern lieben würden. Mit keinem Unternehmen kommen Tag für Tag so viele Menschen in Berührung. Jeder findet die Bahn faszinierend. Weil ihre Technik und ihre Tradition Bewunderung wecken. Und weil die Züge so bequem sind, so sauber, so schnell und so preiswert. Zumindest theoretisch.

In der Praxis scheitert die Bahn an dieser Zuneigung. Sie hat immer noch nicht begriffen, wie sie die Leidenschaft der Menschen für sich nutzen kann. Und wie sie das Bahnfahren zu einem Lebensgefühl machen kann. Statt dessen beschimpfen die Bahnmanager ihre Kunden, wenn die sich beschweren. Sie hätten die Abstraktionsfähigkeit der Leute überschätzt, murren sie – anstatt zu sagen, das Preissystem war zu kompliziert. Sie hätten die psychologische Bedeutung der Speisewagen unterschätzt, knurren sie – anstatt zu sagen, wir haben uns geirrt. Sie ließen sich von Gutscheinschnorrern nicht ausplündern, drohen sie – anstatt die Nachsicht, die sie von Bahnfahrern erwarten, mit Kulanz zu vergelten.

Dass die Kunden im Mittelpunkt eines Unternehmens stehen, ist für Manager eine Binsenweisheit. Für die Bahn wäre sie eine revolutionäre Erkenntnis. Denn: Nur eine Bürgerbahn kann eines Tages den Gang an die Börse wagen. Erst wenn die Kunden nicht nur Fahrkarten, sondern auch Aktien des Unternehmens Bahn kaufen würden, ist die Firma auf dem richtigen Weg.

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