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Lampedusa: Insel ohne Hoffnung

Die italienische Insel Lampedusa stößt an ihre Grenzen. Die Kapazitäten für neue Flüchtlinge sind erschöpft - und Italien hat begonnen, Flüchtlinge auf das Festland zu verteilen.

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Das „Tor zu Europa“ ist ein schmaler Durchlass in einer hohen, sanitärgelben Betonwand. Zerbrochene Schüsseln liegen davor, zerfetzte Schuhe und abgetrennte Gliedmaßen. Das „Tor zu Europa“ steht auf dem zugigen Südkap von Lampedusa; es ist ein Denkmal, das die Inselgemeinde für alle im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge gebaut hat. „Hügel der Schande“ haben sie den Ort nun getauft, weil um das Denkmal herum hunderte jener Tunesier hausen, für die im Aufnahmezentrum kein Platz mehr ist.

Für 2000 von ihnen gibt es Betten oder zumindest Decken, 4200 hingegen campieren unter freiem Himmel, in den Höhlen verfallender Weltkriegsbunker, ohne Sanitäranlagen, mitten im Müll. Das offiziell ausgegebene Essen reicht längst nicht mehr für alle; die anderen gehen auf dieser winzigen Insel betteln, die aus eigener Produktion gar nichts hat: Schon die 5000 regulären Lampedusaner müssen buchstäblich alles vom Festland importieren, bis hin zum Trinkwasser. Und die gut 1500 Eritreer und Somalier aus Libyen – die ersten Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet –, die haben die Behörden lieber gleich auf die noch kleinere Nachbarinsel Linosa umgeleitet.

Denn auf Lampedusa ist der Unmut gewachsen. Fischer haben die ausgedienten tunesischen Flüchtlingskähne an die lange Leine genommen und mit ihnen die Hafeneinfahrt versperrt; „Wir sind voll“, stand auf den Transparenten an der Mole. Die versammelten Frauen von Lampedusa haben lautstark nach „Hilfe!“ und „Freiheit!“ geschrieen – und sind dann doch zur Sanitätsstation der Insel geeilt, um Windeln, Strampler und Milch für jenes Flüchtlingsbaby abzugeben, das im offenen Kahn, auf offener See geboren worden ist.

Vor wenigen Tagen besuchte Silvio Berlusconi die Insel. „In 48 bis 60 Stunden“, versprach der Ministerpräsident, „wird Lampedusa nur mehr von Lampedusanern bewohnt sein.“ In Tunesien will er Fischkutter aufkaufen, „damit sie nicht mehr von Flüchtlingen verwendet werden können“ – und man weiß nicht, ob das Ernst ist oder Scherz. „Im Internet“ hat sich Berlusconi auch noch eine Villa auf der Insel gekauft, um „Lampedusaner zu werden und meine persönlichen Interessen zu verfolgen“. Und dann will Rom die Inselbewohner auch für den Friedensnobelpreis vorschlagen. Sagt Berlusconi.

Aber wohin will die Regierung die mittlerweile 22 000 nach Italien gelangten Tunesier bringen, die für Berlusconi „arme Teufel“ sind, für Innenminister Roberto Maroni aber nicht einmal Flüchtlinge, sondern illegale Einwanderer? Die Lager auf dem Festland platzen aus allen Nähten, und gegen die 13 Zeltstädte, die Maroni nun übers Land verteilen will, ereifern sich Lokalpolitiker und Bevölkerung.

Unterdessen fliehen immer mehr Tunesier aus den Aufnahmelagern – oder sie nutzen die ihnen überreichte Ausreiseverfügung zum Untertauchen. In Italien wollen ohnehin die wenigsten bleiben; die meisten streben zu Verwandten und Freunden in Frankreich. So ist es zwangsläufig der Bürgermeister von Ventimiglia, Gaetano Scullino, der die nächste „unerträgliche Notlage“ meldet. In der Grenzstadt an der Riviera sammeln sich die Tunesier zu Tausenden und kommen nicht weiter. Denn Frankreich schickt sie alle nach Italien zurück.

Am Donnerstag verlegten die italienischen Behörden mehr als 2500 Tunesier von der kleinen Insel in andere Aufnahmelager. Die meisten wurden mit zwei Schiffen Richtung Taranto in Süditalien auf den Weg gebracht, wie italienische Medien berichteten. Trotzdem kommen jeden Tag neue Flüchtlinge. Allein in der Nacht zum Donnerstag strandeten weitere 500 Flüchtlinge auf Lampedusa. Seit dem Sturz des tunesischen Präsidenten Zine El Abidine Bel Ali im Januar landeten über 18 000 Tunesier auf dem 20 Quadratkilometer großen Eiland an.

Die EU-Innenminister wollen in zehn Tagen darüber beraten, ob sie eine EU-Richtlinie zum Massenzustrom von Flüchtlingen in Kraft setzen. Damit würden die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, zumindest für eine gewisse Zeit Flüchtlingen aus Libyen zu helfen. Daran hat Italien großes Interesse, das schon lange darauf drängt, dass die übrigen EU-Staaten einen Teil der in Süditalien anlandenden Flüchtlinge aus nordafrikanischen Staaten übernehmen. Bislang hat Deutschland das abgelehnt und argumentiert, in Italien gehe es nur um wenige Tausend Flüchtlinge, während Deutschland während der Balkankriege in den 90er Jahren zeitweise 350 000 bedrohte Menschen aufgenommen habe. Allerdings bleibt es nach der EU-Richtlinie jedem Staat selbst überlassen, die Höhe des eigenen Aufnahmekontingents zu bestimmen. Bislang lehnt die Bundesregierung eine Aufnahme von Flüchtlingen ab. Eine Einladung nach Deutschland werde als Signal zur Flucht verstanden, heißt die Argumentation der Koalition. „Die humanitäre Hilfe vor Ort für die Menschen steht im Moment im Vordergrund“, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

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