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Aydan Özoguz (46) ist SPD-Vizevorsitzende und seit vergangenem Jahr Staatsministerin für Integration, Migration und Flüchtlinge im Kanzleramt.

© Thilo Rückeis

Integration: „Das Wort geht mir manchmal auf die Nerven“

Im Tagesspiegel-Interview spricht Staatsministerin Aydan Özoguz über den Begriff Integration, über die Rolle von Migranten in der Politik und Berlins Umgang mit den Flüchtlingsprotesten.

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Frau Özoguz, fiel Ihnen als Tochter türkischer Eltern der Einstieg in die Politik schwer?

Als ich anfing, gab es in Hamburg sehr wenig Menschen mit irgendeiner Zuwanderungsgeschichte in der Politik. Olaf Scholz, heute Hamburgs Erster Bürgermeister, wollte das ändern. Er sprach mich an, ob ich mich nicht politisch engagieren wollte. Ich fühlte mich herausgefordert und habe gerne ja gesagt. Es ging mir dabei auch darum, ein Zeichen zu setzen. Ich freue mich, dass meine Wahl damals in die Bürgerschaft wie ein Türöffner funktioniert hat. Danach haben auch andere Parteien dieses Prinzip für sich erkannt.

Es gibt den Begriff der Quotenfrau. Gibt es auch Quotenmigranten?

Mein Einstieg in die Politik war schon recht flott. Mit dem Vorbehalt, ich sei als Vertreterin einer Minderheit in Deutschland in meine Position gelangt, kann ich leben, es bedurfte halt eines Anfangs. Mittlerweile habe ich als Bundestagsabgeordnete meinen Wahlkreis gewonnen. Besonders jüngeren Kolleginnen und Kollegen rate ich heute auch, dass sie sich nicht auf den Status eines Exoten reduzieren lassen sollten. Schaut auf die Leistung, nicht auf die Herkunft.

Als Staatsministerin sind Sie auch für Flüchtlinge zuständig. Humanitäre Organisationen kritisieren, dass die große Koalition nun drei Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt, Flüchtlinge von dort also nicht mehr Asyl beantragen können. Warum muss das sein?

Jeder kann weiterhin Asyl beantragen. Aber die Verfahren werden in diesen Fällen beschleunigt, und die Dauer der Verfahren gewährleistet keinen Aufenthalt in Deutschland. Das hatten wir im Koalitionsvertrag vereinbart, auf Wunsch der Union. Ursprünglich wollten sie hier noch viel mehr Länder festlegen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Zusammen mit dem zuständigen Bundesamt haben wir uns die Anerkennungszahlen der Länder angeschaut. Im letzten Jahr gab es rund 20 000 Asylverfahren für Menschen aus Serbien, gleichzeitig liegt die Anerkennungsquote bei nur 0,2 Prozent. Bei der Masse der Anträge und Folgeanträge führt das dazu, dass die Asyl-Entscheider für Anträge von Kriegsflüchtlingen und anderen Verfolgten viel zu wenig Zeit haben. Umgekehrt hat die SPD sich in wichtigen Punkten durchgesetzt, etwa mit einer stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Personen, die täglich in Unsicherheit bei uns leben – die Kinder teilweise mit deutschen Schulabschlüssen.

Das Bundesinnenministerium hat einen ersten Entwurf vorgelegt für Änderungen beim Bleiberecht. Was halten Sie davon?

Der Entwurf hat eine gehörige Schlagseite, über die wir sicher noch intensiv mit dem Bundesinnenministerium sprechen müssen. Hier wird eigenwillig sehr stark vom Koalitionsvertrag abgewichen, so zum Beispiel beim eben erwähnten Bleiberecht. Wir wollen Menschen, die schon seit Jahren bei uns leben, arbeiten, Schulabschlüsse oder Ausbildungen machen, ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Perspektive geben. Wenn junge Menschen hier in Deutschland eine Ausbildung beenden, wenn ihre Familien integriert sind, warum sollte man denen dann nach acht, zehn oder fünfzehn Jahren mit einer Rückführung in ihre Herkunftsländer drohen? In vielen Fällen kann das jeden Tag passieren. Wir wollen, dass das aufhört. Das kann bis zu 80 000 Menschen betreffen.

Was stört Sie am Entwurf des Innenministeriums?

Im besten Fall hat jemand den Koalitionsvertrag nicht richtig gelesen. Wir haben vereinbart, einen konkreten und uns allen vorliegenden Beschluss des Bundesrates zur Grundlage der neuen Regelung zu machen. Was wir vorgelegt bekommen haben, entspricht dem leider nicht. Da verlange ich saubere Arbeit. Insgesamt liest sich das wie eine Wünsch-dir-wasListe der Unionsfraktion. Da stehen uns jetzt anstrengende Wochen bevor, fürchte ich.

Der Entwurf sieht Fluchtgefahr bei allen möglichen Gründen, die typisch sind für Flüchtlinge, etwa wenn jemand keinen Pass hat. Ist das der richtige Umgang mit Menschen in Not?

Das ist sicher einer der sensibelsten Punkte auf der besagten Liste. Die Vorschläge zur Abschiebungshaft und Aufenthaltsbeendigung müssen besonders genau geprüft werden. Hier geht es um den Schutz von Grundrechten. Das alles findet keine Entsprechungen im Koalitionsvertrag. Hier ist die Rede von Neuregelung von in die Jahre gekommenen Vorschriften, die durch deutsche wie europäische Rechtsprechung zur Makulatur geworden sind. Hier steht nichts von unnötigen Verschärfungen. Für die Abschiebungshaft sind zudem die Länder zuständig und hätten dann die Kosten zu tragen. Auch sie werden deshalb ein Wörtchen mitreden müssen.

Integration - was sie darunter versteht, und was sie daran ärgert.

Lassen Sie uns auf Berlin schauen, auf den Oranienplatz. Dort haben Sie kürzlich mit den protestierenden Flüchtlingen gesprochen. Was haben Sie als konkrete Hilfe angeboten?

Mir war wichtig, dass der Hungerstreik beendet wird und man wieder miteinander reden kann. Das haben wir erreicht und darüber bin ich sehr froh. Zum ganz überwiegenden Teil geht es hier um Dinge im Zuständigkeitsbereich des Bezirks und des Landes. Frau Lüke, bei der die Gespräche stattfanden, macht als Integrationsbeauftragte des Berliner Senats hier gerade wirklich einen Herkules-Job. Am Anfang war es sehr schwierig, die Forderungen zu sortieren, um genau herauszufinden, was sie eigentlich wollen.

Haben Sie es herausgefunden?

Die Situation ist komplex. Es geht zum Beispiel um einen Flüchtlingspunkt aber auch um Bleiberecht für eine politische Gruppe. Wir haben versucht, ihnen die Zuständigkeiten im Bezirk, im Land und im Bund zu erklären. Der deutsche Föderalismus ist nicht nur für jemanden, der neu zu uns kommt, oft ein Rätsel. Was mich erschrocken hat, war, dass diese Flüchtlinge falsch beraten werden. Ich habe den Eindruck, dass sie für politische Ziele anderer instrumentalisiert werden. Das finde ich unverantwortlich.

Von wem werden die Menschen instrumentalisiert?

Das wollten sie nicht sagen. In Kreuzberg gibt es eine von Flüchtlingen besetzte ehemalige Schule. Dort leben bis zu 200 Menschen auf engstem Raum, dort herrscht eine katastrophale Lage. Ein Flüchtling wurde erstochen. Der Flüchtlingsstreik dauert nun fast zwei Jahre und es ist immer noch keine Lösung in Sicht.

Hat die Berliner Politik hier versagt?

Dieses harte Urteil teile ich nicht. Es gibt nun mal keine einfachen Lösungen. Wir müssen jedes Anliegen und jedes Schicksal immer einzeln prüfen.

Noch eine Frage zu Berlin: Am 25. Mai ist die Abstimmung über das Tempelhofer Feld. Eine knappe halbe Million Berlinerinnen und Berliner, viele davon EU-Bürger, dürfen nicht teilnehmen, weil sie nicht Deutsche sind. Ist das in Ordnung?

Ich möchte, dass Menschen, die in Deutschland zu Hause sind, auch mitbestimmen können, wie dieses Zuhause gestaltet wird. Für Ihr Bespiel mit der Abstimmung über das Tempelhofer Feld braucht man einen deutschen Pass. Man kann und sollte dafür aktive Einbürgerungspolitik betreiben, wie Berlin es ja auch tut. Spitzenreiter in Deutschland ist Hamburg. Hier hat Olaf Scholz die Einbürgerungsquoten enorm gesteigert, Bayern dagegen ist unter den westdeutschen Bundesländern das Schlusslicht.

Frau Özoguz, geht Ihnen das Wort Integration nicht manchmal auf die Nerven?

Ich gestehe, das tut es. Meine Erfahrung ist, dass jeder irgendwie etwas anderes darunter versteht. Die einen verstehen darunter Anpassung, die anderen, dass sich unterschiedliche Gruppen um ein besseres Zusammenleben bemühen. Letztendlich ist es ein gesellschaftlicher Prozess, der in Gang gebracht und in Gang gehalten werden muss. Wie und mit welchen Mitteln, das versuche ich in meinen Reden direkt zu sagen. Auf den Begriff an sich kann ich dabei meist verzichten.

Wenn Sie das Wort nicht mögen, können sie vielleicht Ihre Amtsbezeichnung ändern.

Jetzt bin ich erst einmal dabei, die Überschrift meines Lageberichts zu ändern. Offiziell geht es noch immer um „Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“. Dabei handelt der Bericht längst auch von denjenigen, die in Deutschland geboren oder eingebürgert sind. Die Umbenennung wird allerdings noch etwas dauern: Wir müssen dazu tatsächlich ein Gesetz ändern.

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