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Willkommen. Angela Merkel besucht den Deutschkurs der Bürgerinitiative ausländischer Arbeitnehmer in Hamburg. Foto: Marcus Brandt, dpa

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Integration: Union der Migranten

Erst Kernkraft, jetzt Zuwanderung: Mit großem Tempo verabschiedet sich die CDU von alten Gewissheiten in der Ausländerpolitik und entdeckt die Integration.

Es war einmal ein großer Gegensatz, und er bestimmte die sieben rot-grünen Jahre: Hier die Regierung Schröder, die vor allem in ihren grünen Teilen mit einem aus Kaisers Zeiten stammenden Ausländerrecht brechen wollte – und dort die Union und Teile der SPD, die sich über die Bundesländer allem widersetzten, was die Grenzen nach innen und außen etwas weiter geöffnet hätte. Roland Koch schaffte mit seiner dagegen gerichteten Wahlkampagne 1999 erstmals den Einzug in die Wiesbadener Staatskanzlei.

Ergebnis dieses Kampfes der Lager waren in den folgenden Jahren vor allem Halbheiten wie das neue Staatsangehörigkeitsrecht – oder Kompromisse wie jenes „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“ von 2005, das Nordrhein-Westfalens ehemaliger Integrationsminister Armin Laschet (CDU) vor Tagen selbstkritisch-bitter als nur zu erfolgreich bilanzierte: „Es kam keiner.“ Die wenigen ausländischen Hochqualifizierten, die nach Deutschland wollten, habe man „per Handschlag begrüßen“ können.

Doch das soll sich ändern – meinen immer mehr Verantwortliche auch in der CDU. Die Zahlen der letzten Jahre sind schließlich alarmierend: Es wandern inzwischen mehr Menschen aus Deutschland aus als ein – zuletzt eine halbe Million. Und die Auswanderer sind – darauf wies der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration (SVR) vor wenigen Tagen in seinem Jahresgutachten hin – sehr oft jüngere Hoch- und Höchstqualifizierte.

Das schwarz-gelb regierte Sachsen hat darauf mit einer Zuwanderungsinitiative im Bundesrat reagiert und eine „moderne Ausländerpolitik“ für Deutschland angemahnt. Auch Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan ist für eine aktive, werbende Einwanderungspolitik. Özkan, die vor einem Jahr die erste deutsche Ministerin aus einer türkischen Familie wurde, sprach sich sogar für einen übergreifenden Konsens der politischen Parteien aus. „Ich denke nicht, dass wir hier fraktionseigene Vorschläge brauchen“, sagte die CDU-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa. „Wir brauchen einen Konsens“ – und den müsse es zügig geben.

Um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken, werde es nicht reichen, zusätzliche Arbeitskraft von Frauen, Älteren und Migranten zu mobilisieren, die bereits in Deutschland seien, meint Özkan. Man müsse auch dringend klären, wie gezielt Interesse für Zuwanderung geweckt werden könne. „Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass alle in Scharen vor der Tür warten.“ Es brauche eine Willkommenskultur, „welche die Menschen ermutigt, zu uns zu kommen und auch zu bleiben“.

Der Migrationshistoriker und Vorsitzende des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen zu Migration und Integration (SVR) Klaus J. Bade zeigte sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel erfreut über Özkans Plädoyer: „Im Blick auf den ohnehin wachsenden Fachkräftemangel muss Deutschland attraktiver werden, damit die, die wir brauchen, nicht auf Dauer gehen und diejenigen kommen, die wir von außen als Ersatz für abgewanderte Qualifizierte brauchen.“

Zu Beginn der Woche hatte sich ein Bündnis aus Politikern aller im Bundestag vertretenen Parteien – die Linkspartei blieb ausgeschlossen – zusammengefunden, das ein gemeinsames Konzept für qualifizierte Einwanderung erarbeiten und dies dann in den Parteien durchsetzen will. Diese „Hochrangige Konsensgruppe Fachkräftebedarf und Zuwanderung“ leiten der CDU-Politiker Armin Laschet und der frühere Verteidigungsminister Peter Struck (SPD). Der frühere SPD-Chef Franz Müntefering zog sich allerdings schon wieder aus der Konsensgruppe zurück. Parteiübergreifende Kompromisse müssten im Parlament gefunden werden, sagte Müntefering laut „Berliner Zeitung“ zur Begründung.

Das Konzept der Konsensgruppe soll zwar erst im Oktober fertig werden, aber es wird wohl ebenfalls darauf hinauslaufen, etliche Hürden abzubauen, die derzeit die Arbeitsmigration nach Deutschland erschweren. Struck wie Laschet nannten insbesondere die bisher vorgeschriebene Höhe des Einkommens. Die Initiative Sachsens, die dem Bundesrat zur Beratung vorliegt, zielt in dieselbe Richtung. Fachkräfte, die nach Deutschland kommen wollen, müssten demnach nur noch ein Jahreseinkommen von mindestens 35 000 Euro (im Westen 39 600 Euro) statt der bisher vorgeschriebenen 66 000 Euro nachweisen und hätten für zwei Jahre ein gesichertes Recht, im Land zu bleiben. Besteht der Arbeitsvertrag weiter, soll ein unbefristetes Aufenthaltsrecht automatisch folgen.

Es sieht fast so aus, als seien seit Hessen 1999 in der Union weit mehr als nur zwölf Jahre vergangen.

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