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Treasury Secretary Paulson calls for financial changes in Washington

© laif

Finanzkrise: Die Unscharfmacher

Sie kommen von Banken, und sie kehren wieder dahin zurück. In der Zwischenzeit haben sie politische Ämter inne – und arbeiten dort an der Entfesselung des Finanzmarktes. Gestern, heute und morgen. Ein Report von Harald Schumann und Klaus C. Engelen.

Er stellt diese Frage, und für einen Moment wird es ganz still. „Waren es natürliche Ursachen, oder war es Mord?“, formuliert Denis Kucinich, 62, Abgeordneter der Demokraten für den Bundesstaat Ohio, seinen ungeheuerlichen Verdacht.

Es ist Anfang Oktober. Im Rayborn-Haus, Raum 2154, Washington D.C., tagt das „Oversight Committee“, der ständige Ermittlungsausschuss des Repräsentantenhauses. Gerade erst hat der Kongress 700 Milliarden Dollar für die Stützung der Finanzindustrie freigegeben. Nun rechnen 15 Parlamentarier mit den Größen der Finanzwelt ab. Vor laufenden Kameras müssen sich Banker, Manager und Aufseher für den von ihnen angerichteten Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers und die mit 120 Milliarden Steuerdollar verhinderte Pleite des Versicherungsriesen AIG rechtfertigen.

Warum musste gerade das Bankhaus Lehman untergehen?

Doch Kucinich bewegt eine ganz andere Frage. „Warum“, so fragt er die geladenen Sachverständigen, „warum entschied Finanzminister Paulson, AIG freizukaufen, aber nicht Lehman?“

Mord ist absichtsvolle Tötung aus niederen Motiven. Zum Beispiel Habgier. Stärkte nicht der Untergang von Lehman, der die Finanzkrise weltweit eskalieren ließ, die Marktposition des Konkurrenten Goldman Sachs? Und hatte sich Henry Paulson, der selbst früher Chef des legendären Geldhauses war, nicht von Lloyd Blankfein, seinem dortigen Nachfolger, vor der Entscheidung gegen Lehman beraten lassen?

Interessenkonflikte an der Spitze des Finanzministeriums

„Gibt es da also einen Interessenkonflikt bei dem Finanzminister, macht Ihnen das keine Sorgen?“, insistierte Kucinich, und die geladenen Sachverständigen stimmten vorbehaltlos zu. Ja, es sei „ganz klar, dass Goldman Sachs davon profitierte“, bestätigte Luigi Gonzales, Professor für Finanzwirtschaft an der Universität Chicago. Und „selbstverständlich“ sei er über den Interessenkonflikt an der Spitze des Finanzministeriums „sehr besorgt“.

Die kurze Debatte über die Goldman-Connection des US-Finanzministers war nur eine Episode während der viertägigen Mammut-Anhörung. Die Medien nahmen kaum Notiz, und Paulson dementierte umgehend die Unterstellung, dass er Lehman bewusst habe fallen lassen und bei AIG deshalb interveniert habe, weil dort für Goldman Sachs 20 Milliarden Dollar auf dem Spiel standen.

Verflechtung von Staat und Finanzindustrie als Kernproblem

Doch Kucinichs Fragen sind berechtigt. Denn sie rühren an den Kern des Phänomens, das entscheidend zum Beinahezusammenbruch des Weltfinanzsystems beigetragen hat: die weitreichende personelle wie finanzielle Verflechtung zwischen der Finanzindustrie und all jenen staatlichen Institutionen, die das Geldgeschäft eigentlich kontrollieren sollen.

Dabei ist die Herkunft des noch bis Januar amtierenden US-Finanzministers lediglich Ausdruck eines seit Jahrzehnten eingespielten Systems. Auch Paulsons Vorvorgänger Robert Rubin war einst von Goldman Sachs gekommen, vertrat dann im Kabinett von Bill Clinton die Interessen der Wall Street und besetzt bis heute einen mit 17 Millionen Dollar jährlich dotierten Posten bei der Citibank.

Parteien hängen am Tropf der Finanzwelt

Auch bei den Aufsichtsbehörden gibt es keine Trennlinie zwischen dem Spitzenpersonal und der Finanzindustrie. Zum Beispiel bei der Filiale der Notenbank Federal Reserve in New York, deren Mitarbeitern die Bankenaufsicht untersteht. Dort wechseln die Chefaufseher regelmäßig nach Ende ihrer Amtszeit auf die Seite derer, die sie zuvor beaufsichtigt haben. So dient der langjährige New Yorker Fed-Chef Gerald Corrigan bei Goldman Sachs. Sein Nachfolger William McDonough heuerte bei der Investmentbank Merill Lynch an und ist nun bei deren Notverkauf an die Bank of America hilfreich, indem er Beziehungen spielen lässt, um Auflagen zu verhindern.

Parallel dazu sind zahlreiche führende Politiker beider Parteien abhängig von den Wahlkampfspenden aus der Geldwirtschaft. So stellten Finanzfirmen aller Art neun der zehn größten Sammelstellen für die Kampagne zur Wiederwahl von George Bush im Jahr 2004. Und der demokratische Senator Christopher Dodd, der dem mächtigen Bankenausschuss des Senats vorsitzt, finanzierte 2006 seinen Wahlkampf mit Spenden, die zu 75 Prozent von Hedgefonds, Banken und Versicherungen kamen.

Größter Beitragszahler des „Obama Victory Funds“ war Goldman Sachs

Daran hat sich auch 2008 nichts geändert. Barack Obama ging auch als Kandidat der Wall Street ins Rennen. Zwei seiner eifrigsten Geldsammler waren Eric Mindich, Chef des Hedgefonds Eton Park, und James Rubin, der Sohn des Ex-Goldman-Ministers und Manager eines Private Equity Funds. Größter Beitragszahler des „Obama Victory Funds“ war erneut Goldman Sachs. Insgesamt steuerte die Finanzbranche gut 20 Millionen Dollar zu Obamas Wahlkampf bei.

All das hat nichts mit direkter Korruption zu tun. Doch zweifellos korrumpiert der ausgedehnte Geldfilz das politische System. Wie weit das gehen kann, erfuhr zum Beispiel die renommierte Anwältin Brooksley Born. Sie leitete zu Zeiten der Clinton-Regierung die Commoditys Futures Trading Commission, jene Behörde, die den Handel mit Terminkontrakten und anderen börsennotierten Finanzderivaten beaufsichtigt. Damals stieg die Wall Street im großen Stil in den Handel mit Kreditderivaten ein. Diese erlauben es den Banken, das Risiko für den Ausfall eines Schuldners gegen Gebühr an Dritte weiterzureichen, etwa Hedgefonds.

Aufsicht war unerwünscht

Mangels Aufsicht war dieser Markt von Beginn an gänzlich undurchsichtig. Welche Fonds und Banken welche Risiken anhäuften, wussten weder die Behörden noch die Marktakteure. Zehn Jahre später war es vor allem die Unsicherheit über diese Kreditderivate, die als Überbau des Geschäfts mit verbrieften Krediten das globale Kartenhaus aus schlechten Krediten zum Einsturz brachten.

Born hatte diese Gefahr früh erkannt. „Der völlige Mangel an zentraler Information“, erklärte sie schon 1998, erlaube es den Derivatehändlern, „Risiko-Positionen einzunehmen, die unsere ganze Wirtschaft bedrohen, und das ohne das Wissen irgendeiner Bundesbehörde“. Aber ihre Ankündigung, sie wolle die nötige Aufsicht übernehmen, traf auf massiven Widerstand. Nicht nur Goldman-Minister Rubin lehnte Borns Ansinnen ab. Ihm zur Seite stand der damalige Vorsitzende des Bankenausschusses im Senat, Phil Gram, der seit 2003 dem Bankriesen UBS als Vizepräsident dient. Die Macht des organisierten Geldfilzes ging sogar so weit, dass Gram und seine Freunde im Jahr 2000 ein Gesetz durchsetzten, mit dem das Derivategeschäft ausdrücklich von jeder Aufsicht freigestellt wurde. Da hatte Mahnerin Born allerdings schon aufgegeben und ihren Posten geräumt.

US-Laisser-faire-Politik setzte Europas Geldbranche unter Druck

Ähnlich ging es zu, als die Börsenbehörde SEC im Jahr 2004 den Wall-Street-Banken Goldman Sachs, Morgan Stanley, Merill Lynch, Lehman Brothers und Bear Stearns eine drastische Reduzierung ihrer Eigenkapitalausstattung erlaubte. Die entsprechende Kommissionssitzung dauerte 55 Minuten, und fortan durften die Investmentbanker bis zum 40-Fachen ihres Eigenkapitals Schulden machen und so die Renditen, aber auch die Risiken vervielfachen. Die im Gegenzug versprochene Kontrolle durch die SEC fand dagegen nie statt.

Diese Laisser-faire-Politik setzte dann Europas Geldbranche unter Druck. Vor allem die britische Labour-Regierung unter Tony Blair und seinem Finanzminister Gordon Brown trieb die Deregulierung voran. Um mehr Geschäft aus New York nach London zu holen, praktizierte sie neben der faktischen Steuerfreiheit für die Manager ausländischer Banken „nur leichte Regulierung“, wie Brown offenherzig warb. Dazu gestand er der zentralen und einzigen Aufsichtsbehörde FSA gerade mal 98 Prüfer zu – für ein Marktvolumen, das gut ein Drittel so groß ist wie das in den USA, wo allein die SEC schon mehr als 1000 Kontrolleure beschäftigt. Derart als Freund der Branche qualifiziert, erhielt Blair nach seinem Rücktritt als Premierminister bei J.P. Morgan für eine Millionengage einen Beratervertrag.

Geldfilz international

Unvermeidlich erfasste der Geldfilz auch die internationalen Gremien, die wie die Baseler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) für Stabilität auf den globalen Finanzmärkten sorgen sollen. Über die BIZ legen die Notenbanken einen Teil ihrer Währungsreserven an und handeln im „Basler Ausschuss für Bankenaufsicht“ die Aufsichtsregeln aus. Die Ökonomen im Basler Bankenturm zählten denn auch zu den wenigen Kennern, die schon früh vor den sich auftürmenden Gefahren bei US-Immobilienkredite und -derivaten warnten.

Doch auch das Renommee der BIZ hat längst Risse. Ausgerechnet Andrew Crockett, der Generaldirektor, trat 2003 nach zehn Jahren im Amt und ausgestattet mit allen Interna der Aufsichtsbehörden, in den Dienst von J.P. Morgan. Damit habe die Verwilderung der Sitten auch die BIZ erreicht, lamentierte damals ein ranghoher deutscher Aufsichtsbeamter. Crockett habe sich „von der Finanzindustrie für den Abwehrkampf mit Aufsichts- und Regierungsinstanzen kaufen lassen“.

"Amerikas Deregulierungsrambo"

Crockets Nachfolger, der Kanadier Malcom Knight, wiederholte das im vergangenen Juni. Er quittierte den Job als Koordinator der Aufseher für einen Posten als „Vice Chairman“ bei der Deutschen Bank. Knight verfüge „über einen reichen Erfahrungsschatz, der in schwierigen Zeiten von besonderem Wert ist“, kommentierte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann treffend seinen Coup.

Dazu zählt gewiss auch der gute Kontakt zum ebenfalls bei der BIZ geführten Sekretariat für das „Financial Stability Forum“. Das FSF ist jenes Gremium aus Notenbankern, Aufsehern und Abgesandten der Finanzministerien, das die G-7-Staaten nach der Asienkrise 1998 einrichteten, um mit globalen Regeln weiteren Krisen vorzubeugen. Dessen Vorsitzender, der frühere Vizechef der US-Notenbank, Roger Ferguson, habe sich jedoch vor allem als „Amerikas Deregulierungsrambo“ betätigt, berichtet ein langjähriges europäisches Mitglied des FSF.

Weltweiter Wettlauf um die geringste Regulierung

Die Gefahren des jetzt zusammengebrochenen „Schattenbanksystems“ habe Ferguson regelmäßig ausgeblendet, bestätigen BIZ-Mitarbeiter. Auch Fergusons Einsatz wurde letztlich belohnt. Nach Ende seiner Amtszeit übernahm er 2006 eine Führungsposition beim Versicherungskonzern Swiss Re. Sein Nachfolger wurde Italiens Notenbankchef Mario Draghi, wieder ein Mann mit einer Goldman-Connection. Er diente der Wall-Street-Bank vier Jahre in führender Position in London.

So lief die internationale Koordination am Ende stets nur darauf hinaus, dass sich alle Staaten in einen Wettlauf um die geringste Regulierung verstricken ließen. Unterm Strich, sagt einer der ranghöchsten europäischen Beamten im FSF, „haben wir uns nur als Lobbyisten für unsere nationalen Finanzbranchen einspannen lassen.“

Rot-Grün baute alle Barrieren ab

Das galt auch für Deutschland. Unter dem Druck, den hiesigen „Finanzplatz“ attraktiv zu gestalten, baute insbesondere die rot-grüne Regierung mit Finanzminister Hans Eichel (SPD) alle Barrieren ab, die der Begrenzung des Risikos dienen sollten. Dazu zählte neben der Zulassung von Hedgefonds vor allem die Erlaubnis für die Banken, in das Geschäft mit Kreditderivaten einzusteigen und dafür Gesellschaften in Steueroasen zu gründen, die keiner Vorschrift zur Bildung eines Risikopolsters in Form von Eigenkapital unterlagen. Das Geschäft außerhalb der Bilanz sollte Deutschlands margenschwachen Geldhäusern helfen, in Sachen Rendite aufzuholen. Dass sie riskante US-Hypotheken-Pakete in ihren Schattenbanken anhäuften, war nicht vorgesehen, aber die aufsichtsfreie Zone, in der das geschah, wurde höchstamtlich gefördert.

Prompt rückten denn auch einige der beteiligten SPD-Politiker in den internationalen Geldfilz auf. Martin Bury etwa, damals Staatsminister im Kanzleramt, wurde „Managing Director“ bei der späteren Pleitebank Lehman Brothers. Und Cajo Koch-Weser, der sich als Staatssekretär im Finanzministerium im Interesse der Großbanken für die Privatisierung der Sparkassen starkgemacht hatte, heuerte nach dem Regierungswechsel 2006 als „Vice Chairman“ bei der Deutschen Bank in London an.

Globales Finanz-Netzwerk wird auch künftig jede Regulierung verhindern

Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mag dennoch bis heute an der personellen Verflechtung zwischen Politik und Finanzwirtschaft kein Problem erkennen. Man müsse nur „die Interessen der jeweiligen Personen“ berücksichtigen, dann stehe einer Zusammenarbeit nichts im Wege, versichert er. Doch schon jetzt ist absehbar, dass das globale Finanz-Netzwerk die von Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren ausländischen Kollegen versprochene Reregulierung der Kapitalmärkte erneut ausbremsen wird.

Der erste Schritt dahin ist schon gemacht: In der von Merkel berufenen Expertenkommission übernahm Otmar Issing, der frühere Chefökonom der Europäischen Zentralbank, den Vorsitz. Auch die EU-Kommission berief ihn als Reformexperten. Die schwache Regulierung war zwar nie sein Thema. Aber dafür kann Issing auf die Zuarbeit von Top-Experten bauen. Seit Januar 2007 steht er bei Goldman Sachs als Berater unter Vertrag.

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