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Internet: Schwimmweste statt Krawatte

Die Internet-Netzwerke rufen zum Wahlkampf. Insbesondere die Erstwähler nutzen das Internet, um sich für ihre Wahlentscheidung zu informieren. Doch die Parteien geben sich online noch recht verkrampft.

Deutsche Studenten sind in ihren politischen Vorlieben konservativ. Konservativer jedenfalls als gemeinhin angenommen – das gilt zumindest für jene Studenten, die Mitglied im Internet-Netzwerk StudiVZ sind. Sie verteilen ihr Vertrauen durchaus überraschend: Die beiden großen Volksparteien führen das Feld nach wie vor an. Die SPD darf sich über mehr als 7200 Anhänger freuen, und die CDU/CSU-Fraktion erreicht über 6900 Sympathisanten. Platz drei belegen keineswegs die Linken (fast 4600 Anhänger) oder die Grünen (gerade einmal 3100), sondern die Liberalen, die mit rund 5950 Anhängern sogar stärker sind als Merkels CDU. An der Kanzlerin selbst liegt das nicht. Ihre Sympathiewerte (31 240 Anhänger) liegen deutlich über denen von Frank-Walter Steinmeier (8258) oder Guido Westerwelle (7893). So gesehen, wäre die Wahl entschieden.

Seit gut einer Woche läuft bei Deutschlands größter Social Community StudiVZ die sogenannte Wahlzentrale www.meinvz.net/wahlzentrale. Dort können sich die Erst- und Jungwähler auf einer zentralen Seite über die Parteien, ihre Programme und die Kandidaten informieren. Dazu kooperiert StudiVZ mit Partnern aus dem Medienbereich wie „Zeit“, Spiegel Online, dem ZDF und dem Tagesspiegel sowie mit einigen politischen Internetangeboten wie Politik.de oder dem Wahl-O-Mat. Die VZ-Gruppe mit ihren Ablegern SchülerVZ und MeinVZ gehört wie der Tagesspiegel zur Verlagsgruppe von Holtzbrinck. Derzeit zählen die drei VZ-Plattformen über 13 Millionen Mitglieder.

StudiVZ-Chef Markus Berger-de León glaubt, die neue Wahlzentrale werde „den Wahlkampf entscheidend prägen“. Markus Beckedahl vom Weblog Netzpolitik.org. sieht das anders: „So wichtig ist StudiVZ nicht“, sagt er. „Bisher wird dort nur Solidarität bekundet, die meisten Unterstützer von Parteien und Politikern dürften selber Funktionäre sein.“

Insbesondere die Erstwähler nutzen das Internet, um sich für ihre Wahlentscheidung zu informieren. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage hervor, die das Institut Earsandeyes im Auftrag von T-Online gemacht hat. Für rund 83 Prozent der Erstwähler im Alter von 16 bis 19 Jahren sind die im Netz angebotenen Infos der wichtigste Entscheidungsfaktor, um sich über politische Ziele der einzelnen Parteien eine Meinung zu bilden. Laut der Umfrage unter 1000 Internetnutzern sprechen fast 60 Prozent der Befragten von 16 bis 65 Jahren dem Internet eine tragende Rolle bei der Wahlentscheidung zu.

Bei der StudiVZ-Konkurrenz von Facebook gibt es keine zentrale Wahlkampfarena. Aber auch hier suchen die Spitzenkandidaten mit persönlichen Profilen Kontakt zu jüngeren Wählerschichten. Cem Özdemir, Spitzenkandidat der Grünen, gibt sich jugendlich frisch. Offenes Hemd auf dem Profilfoto, eine Bilderstrecke zeigt ihn beim Wildwasser-Rafting. Jede Anfrage auf der Pinnwand wird zügig beantwortet, allerdings nur von einem anonymen „Team Cem“. Bei Frank-Walter Steinmeier wirkt das Profil staatstragender, schwarz-weißes Foto, Anzug, Krawatte. Aber er lächelt. Seine Pinnwand ist eher ein News-Ticker, TV-Spots, Fotoserien und Terminankündigungen wechseln sich ab. Seit zehn Tagen wurden die Inhalte nicht aktualisiert, niemand geht auf die Kommentare der Unterstützer ein. Mehr Action bietet da der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle: Auf seiner Profilseite verlost er seinen Mitgliedsausweis der Bundesversammlung, inklusive Unterschrift, und zwar auf beiden Plattformen.

Für Blogger Beckedahl wirkt dieses Ringen um Aufmerksamkeit und Authentizität eher verkrampft, für deutsche Politiker im Netz gelte noch „Learning by doing“. Wahlkampf in sozialen Netzwerken sei für die deutschen Parteien absolutes Neuland, der Aufwand an Zeit und Personal verschwindend gering: „Bei der CSU managen bloß sechs Leute den gesamten Online-Wahlkampf. In den USA ist das ganz anders, weil das Internet als sozialer Raum schon lange fester Bestandteil der Lebenswelt ist.“

Dass soziale Netzwerke gesellschaftliche Realitäten abbilden, zeigt sich am Facebook-Auftritt der NPD. Zwar gibt es ein Profil, 290 Unterstützer haben die Rechtsextremisten schon gesammelt. Aber alle Inhalte sind abgeschottet, außer einem Parteilogo ist nichts zu sehen. Für freien Zugang zu den dahinterliegenden Seiten muss ein Gruppenbeitritt beantragt werden. Offensichtlich fürchtet die Partei die offene Auseinandersetzung mit Andersdenkenden. Aber auch die Netzwerke fürchten sich vor unangenehmen Diskussionen. Verhindern lassen sich diese allerdings nicht. Neben der Diskussion um die Frage „Wen wählt ihr und warum?“ interessiert die StudiVZ-Mitglieder auch: „Wieso wird die NPD überall totgeschwiegen?“

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