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Interview: "Der Streit ist eine Symboldebatte“

Berlins Innensenator Ehrhart Körting ist gegen eine Verschärfung der Strafen für jugendliche Kriminelle. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel ist er dennoch überzeugt: "Die Arrestandrohung beeindruckt eine bestimmte Klientel nicht mehr."

Was sagen Sie mit der Lebenserfahrung eines 65 Jahre alten Politikers? Wird die Jugend – zumal die männliche – immer schlimmer?

Das glaube ich nicht. Die Formulierung „die männliche Jugend“ verkennt, dass es sich hier um eine winzige Minderheit handelt. Um es in Zahlen auszudrücken: Die Statistiker der Polizei haben bei den Rohheitsdelikten einen Anteil von 2,8 Prozent ermittelt. Hochgerechnet: Auf 100 000 Kinder, Jugendliche, Heranwachsende zwischen acht und 21 Jahren kommen 2800 Tatverdächtige. Leider sinkt auch bei den Kindern die Hemmschwelle zu Gewalttaten. Aber es geht um eine kleine Minderheit in der Altersgruppe, nicht um „die männliche Jugend“.

Eine kleine Gruppe mit großer Wirkung und zunehmender Tendenz zur Rohheit. Wie erklären Sie sich das?

Ein Berliner Kriminologe hat die Akten von Intensivtätern untersucht: Welches soziale Umfeld hat er, was für eine Familie, wie ist die Situation der Eltern und so weiter. Ein Ergebnis ist: Die Neigung zur Gewalt ist stärker, wenn Jugendliche selbst Gewalt erfahren. Das ist nicht allein ein Problem bei einigen Migrantenfamilien. Auch der ständig betrunkene deutsche Vater prügelt seine Kinder.

Sind es denn diese Jugendlichen, die auf die Mittel des Jugendstrafrechts – Gerichtsverfahren, Verwarnung, Verpflichtung auf gemeinnützige Arbeit, Arrest – nicht mehr reagieren?

Da kommt einiges zusammen: Eltern ohne Autorität, weil die Väter entgegen ihrem patriarchalischen Weltbild nicht mehr Ernährer der Familie sind. Die hören von ihren Söhnen: Du hast mir nichts zu sagen. Du sitzt hier nur rum. Ein vergleichbares Problem haben wir zum Beispiel auch bei den russischstämmigen Zuwanderern. Wer Gewalt erfahren hat und gelernt hat, sich mit Gewalt durchzusetzen, braucht eine sehr intensive Ansprache, um damit nicht weiterzumachen.

Jüngst wurden Sie zitiert mit den Worten: Junge erwachsene Straftäter werden von Jugendrichtern behandelt wie „Klein-Doofis“. Wie kamen Sie denn zu der Annahme, dass es vielen Richtern eher um Verständnis für die Täter als um das Leid der Opfer gehe? Glauben Sie, dass die Urteile sonst härter ausfallen würden?

Ich habe dabei einen Vorbehalt gemacht: Ich habe mich in einer bundespolitischen Debatte geäußert. In Berlin urteilen viele Jugendrichter heute härter als zum Beispiel vor 15 Jahren. Sie sehen, dass man bei der Klientel, über die wir hier reden, mit Verwarnungen nicht weiterkommt. Da hat es eine Trendwende gegeben. Doch bezweifle ich, dass das überall in der Bundesrepublik Deutschland so ist. Gerade dort, wo die Politiker jetzt am lautesten geschrien haben, scheint diese Trendwende am wenigsten angekommen zu sein. In Hamburg werden 87 Prozent der Straftäter bis 21 nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, in Hessen 75, im ach so konservativen Bayern 65 Prozent – und bei uns 58 Prozent. Die Berliner Tendenz ist also besser als in Hamburg und Hessen.

Sollte sich dieser Trend also noch weiter verstärken?

Das kann man nur mit Blick auf den einzelnen Jugendlichen beantworten. Aber die Debatte der vergangenen Jahre hat sicher zu einem Bewusstseinswandel in der Richterschaft in Deutschland beigetragen.

Auf gewalttätige Jugendgruppen dürfte es abschreckend wirken, wenn Mitglieder zu Haftstrafen verurteilt werden.

Natürlich. Deshalb habe ich keine Zweifel daran, dass das Berliner Intensivtäter- und das Schwellentäterkonzept statistisch Früchte tragen werden. Es hat eine ganz andere Wirkung auf die „Kumpels“, wenn ein Straftäter nicht mehr grinsend aus dem Gericht kommt und sagt: Ich habe eine Bewährungsstrafe bekommen.

Sie sind ein erklärter Gegner von Strafverschärfungen. Was aber spricht dagegen, Jugendrichtern die Möglichkeit zu geben, Gefängnis schon nach der ersten schweren Straftat zu verhängen?

Zunächst mal: Ich bin nicht gegen härtere Strafen, bei schwerwiegenden Fällen bin ich im Gegenteil dafür. Ich bin nur gegen eine falsche Erhöhung des gesetzlichen Strafrahmens. Das bringt uns nicht weiter. Wir haben im Jugendstrafrecht einen Strafrahmen von bis zu zehn Jahren. Dazu kann ein Jugendlicher zum Beispiel wegen schwerer Körperverletzung verurteilt werden. Beim Raub können Sie mit der Lupe die Fälle suchen, in denen ein Erwachsener zu mehr als zehn Jahren verurteilt wurde. Bei den typischen Jugend- und Heranwachsenden-Delikten, über die wir hier reden – Körperverletzung, Raub –, ist der Strafrahmen völlig ausreichend. Der Streit um den Strafrahmen ist eine Symboldebatte. Das gilt auch für den sogenannten Warnschuss-Arrest: Man kann auch heute schon Arrest von bis zu vier Wochen verhängen. Und mir hat noch keiner deutlich gemacht, dass diese gesetzliche Arrestandrohung nicht ausreicht. Doch das ist in erster Linie eine Diskussion unter den Rechtspolitikern. Mich bewegt als Innenpolitiker die Frage, wie ich durch Prävention und Repression Straftaten verhindern kann. Die Arrestandrohung beeindruckt leider eine bestimmte Klientel nicht mehr. Auch der Bundesgerichtshof hat gerade in einem Urteil vom 21. Dezember 2007 sinngemäß festgestellt, dass eine Jugendstrafe sein muss, wenn nichts anderes hilft.

Hat es denn präventive Wirkung, mit der Abschiebung zu drohen?

Ja – bei denen, die sich in einem ungesicherten Aufenthaltsstatus befinden. Bei allen anderen – und das sind fast alle, über die wir hier diskutieren – greift diese Drohung nicht, deshalb ist auch das eine bloße Symboldrohung. Wenn ich mich frage: „Wie viele haben denn die Behörden in Bayern oder Hamburg abgeschoben?“, stelle ich fest, dass es in den anderen Bundesländern nicht anders aussieht als in Berlin. Die anderen haben die gleichen Rechtsprobleme bei Abschiebungen wie wir. Bayern hat im letzten Jahr 1421 Menschen abgeschoben, Hamburg 685 und wir 766, darunter zehn jugendliche und heranwachsende Straftäter. Davon abgesehen: Bei Leuten, die ihre Sozialisation hier, in der Bundesrepublik Deutschland, erfahren haben und dann straffällig werden, muss man sich fragen: Worin liegt der Sinn, sie in ein Land abzuschieben, das sie gar nicht kennen. Für mich macht das keinen Sinn. Wer hier aufgewachsen ist, muss in dieser Gesellschaft „zur Raison gebracht“ werden.

Wie kommt es, dass die Diskussion um Jugendgewalt und kriminelle Ausländer seit Jahren denselben Verlauf nimmt? Es gibt Vorfälle, dann folgt eine hitzige Debatte über Strafverschärfungen und Ausweisungen.

Die Frage müssen Sie denen stellen, die solche Debatten mit bestimmten Fragestellungen beginnen. Diesmal war das der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Er hat die Fragestellung darauf reduziert, dass wir zu viele kriminelle junge Ausländer haben. Er hat daraus gefolgert, man müsse diese Leute ausweisen, den Strafrahmen erhöhen und Erwachsenen- statt Jugendstrafrecht anwenden. Das sind seine drei Kernaussagen. Doch wir sind in der Debatte über kriminelle Jugendliche viel weiter, als Kochs anachronistische Fragestellung erkennen lässt. Wir wissen längst, dass der Migrationshintergrund allein nichts aussagt. Wir haben ein Schichten- und ein Ausgrenzungsproblem. Wir haben das Problem, dass Leute ohne Teilhabe an der deutschen Wohlstandsgesellschaft sozialisiert worden sind und keine Perspektive haben. Darauf reagieren wir hier in Berlin zum Beispiel mit kostenlosen Kitas: damit Eltern ihre Kinder in die Kita schicken, die das sonst aus finanziellen Gründen nicht machen würden. Aus ähnlichen Gründen schaffen wir möglichst viele Ganztagsschulen.

Aber ist denn dann richtig reagiert worden? Der Staat macht immer mehr Angebote, von den Kitas bis zu Beschäftigungsmöglichkeiten für Hauptschüler. Zugleich stellt man fest: Die Zahl der Rohheitsdelikte der Jugendlichen stagniert …

Um genau zu sein: Bei insgesamt abnehmender Jugendkriminalität bleibt die Anzahl der Rohheitsdelikte relativ hoch. Seit 1997 haben wir gleichbleibende Zahlen – zuletzt 10 700 Vorfälle im Jahr 2006.

Ist es da das richtige Instrument, bestimmte Menschen sozusagen von der Kita an staatlich zu begleiten?

Wir machen sogar noch viel mehr. Es gibt das Antigewalttraining der Polizei an Berliner Schulen, es gibt das KICK-Projekt für straffällig gewordene Jugendliche, es gibt ein Projekt, um die Eltern solcher Jugendlichen zu erreichen. Wir werden aber noch mehr machen. Die Landeskommission gegen Gewalt in Berlin hat Vorschläge erarbeitet und wird weitere machen. Was nicht bedeutet, dass der Weg falsch ist, den wir in Berlin beschritten haben. Die Wegbeschreibung lautet: Prävention, Prävention, Prävention. Erst dann, wenn das Kind sozusagen in den Brunnen gefallen ist, soll Repression greifen. Auch da ist seit Jahren viel geschehen. Ich erinnere an das Intensivtäterkonzept, den Umgang mit Schwellentätern.

Was macht man mit den Schulabgängern, zumal mit denen, die ohne Abschluss die Hauptschule verlassen? Bei denen gibt es besondere Probleme, überhaupt einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz zu finden. Welche Möglichkeiten haben diese Leute, ihr Leben in Würde selber zu finanzieren. Wir sind ein hochtechnisiertes Land. Hier gibt es fast nur noch Jobs, für die man eine besondere Qualifikation braucht. Wer die nicht hat, steht am Rand der Gesellschaft. Er wird Transferleistungsempfänger. Bei uns wird alles wegrationalisiert, wozu man keine Qualifikation braucht. Und dann wundern wir uns, wenn Leute ohne solche Fähigkeiten auf der Straße stehen. Die werden nicht alle kriminell – um Gottes willen. Aber es ergibt sich eine soziale, teilweise auch ethnische Spaltung. Und damit würden wir ein Riesenproblem bekommen.

Genau diese Entwicklung stellt Ihr Parteifreund Heinz Buschkowsky für Berlin-Neukölln fest und spricht von Parallelgesellschaften …

… Ich würde eher von sozialen Brennpunkten sprechen. Aber gerade Neukölln bietet auch Beispiele für erfolgreiche Lösungsansätze, wo von den Bewohnern über Sozialarbeiter und Quartiersmanager bis zur Polizei alle zusammenarbeiten – im Rollberg-Viertel zu Beispiel. Da geht es weniger um Parallelgesellschaften als um sozial Benachteiligte, die am Rand dieser Gesellschaft stehen. Und das können durchaus überproportional viele mit Migrationshintergrund sein.

Genau damit begründen doch frustrierte Araber-Kids, warum sie mit dieser Gesellschaft nichts anfangen können – weil sie angeblich keine Chance haben. Ist es da richtig, wenn der Staat sagt, dann müssen wir euch eben noch mehr bieten, statt zu sagen, ihr müsst auch mal ein paar Regeln begreifen?

Da muss man schon unterscheiden: Armut rechtfertigt keine Straftaten. Doch sind wir als Staat und Gesellschaft in der Verpflichtung, den Leuten am Rand eine echte Chance zu geben – und sei es nur eine echte Chance auf Arbeit. Wenn ich nun feststelle: Alle Jobs, die diese Leute machen könnten, werden abgeschafft, muss man auf Bundesebene neue Regelungen steuerlicher Art beispielsweise finden. Etwa, um Unternehmen Anreize zu bieten, die diese Jobs wieder attraktiv machen. Das kann an den Tankstellen anfangen, wo Leute die Fenster putzen. Oder im öffentlichen Personennahverkehr, wo zusätzlich zu den Videoanlagen auch bezahltes Personal unterwegs sein sollte. Da muss es von Staats wegen finanzielle Anreize geben. Wir müssen die jungen Leute, egal ob Deutsche oder Migranten, von der Straße holen.

Mit Ehrhart Körting sprachen Katja Füchsel und Werner van Bebber.


Zur Person

MODERATOR

Ehrhart Körting weiß als Berliner Innensenator in einer rot-roten Koalition um die wachsenden Integrationsprobleme der Hauptstadt. In dieser Lage hält er nichts vom Polarisieren.

POLIZEISENATOR

Die Berliner Polizei hat unter Körtings politischer Führung neue Methoden im Umgang mit Intensivtätern und mit kriminellen Kindern entwickelt. Körting hat für Härte

und Konsequenz etwas übrig.

INTEGRATOR

Mit den Problemen von Migranten ist Körting seit Ende der 70er Jahre vertraut – als Volksbildungsstadtrat hatte er sich um Schulkinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen zu kümmern.

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