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Steinmeier

© Thilo Rückeis

Interview: "Guido Westerwelle ist klug genug"

SPD-Kandidat Frank-Walter Steinmeier über seine Chancen, Kanzler einer Ampelkoalition zu werden.

Herr Steinmeier, wie lebt es sich als Kanzlerkandidat ohne realistische Machtperspektive?



Wie kommen Sie darauf? Meine Perspektive ist sehr realistisch. Verlassen Sie sich darauf: Dieses Jahr hält noch viele Überraschungen bereit.

Bei der ersten Wahl dieses Jahres hat die hessische CDU mehr Stimmen erreicht als SPD und Grüne zusammen. So was nennt man normalerweise einen Fehlstart.

Das würde Thorsten Schäfer-Gümbel, soweit es Hessen betrifft, ja auch sicher nicht bestreiten. Das Entscheidende ist doch: Dieses Ergebnis ist nicht auf den Bund übertragbar. Was unsere Umfragewerte auf Bundesebene betrifft …

… sie liegen bei 25 Prozent …

… so ist mir nicht bange. Heute verlangt gerade die Wirtschaftskrise nach Antworten, die sozialdemokratisch sein werden. Darum legen wir Konzepte vor, die unser Koalitionspartner dann ausgiebig studiert. Die Union ist ja nicht ohne Grund so zögerlich. Wir brauchen jedenfalls nicht lange in Archiven suchen, um zu zeigen, dass wir schon früher vor Exzessen auf Finanzmärkten gewarnt haben.

DGB-Chef Sommer hat die rot-grüne Vorgängerregierung kürzlich für die Krise der Finanzmärkte mitverantwortlich gemacht. Ist die SPD wirklich frei von Fehlern?

So wenig wie der Tagesspiegel! Im Ernst: Der DGB hat die Vorwürfe nicht wiederholt. Und bei der Analyse der heutigen Situation liegen wir nah beieinander. Auch in dem, was jetzt zu tun ist. Michael Sommer weiß, wer für kommunale Investitionen gestritten und wer für Absatzhilfen in der Autobranche gefochten hat.

Seit der Hessenwahl streben FDP und Union aufeinander zu. Mit wem wollen Sie regieren, wenn sich die FDP an die Kanzlerin bindet?

Ich möchte vor allem eine starke Sozialdemokratie. Dann werden sich ganz sicher Koalitionspartner einstellen. Die FDP wird die Dinge sehr nüchtern betrachten. Im Moment sieht sie, dass es bei der Union wesentlich mehr Unruhe als bei uns gibt: einen Arbeiterführer Rüttgers, der für Verstaatlichungen plädiert, Herrn Koch, der das Gegenteil will, und eine CDU-Führung, die sich eine wochenlange Denkpause verordnet hat.

Wollen Sie Kanzler einer Ampel werden?

Wir kämpfen darum, stärkste Partei zu werden. Alles Weitere entscheidet in erster Instanz der Wähler.

Muss Guido Westerwelle um jeden Preis regieren?

Ich glaube, dass Guido Westerwelle nach elf Jahren Opposition wieder Lust auf Regierung und Gestaltung hat. Er ist klug und erfahren genug, um keine Ausschlussklauseln festzulegen.

Wie wollen Sie mit einer FDP koalieren, die zentrale SPD-Konzepte wie den Mindestlohn oder die Reichensteuer ablehnt?

Wir wollen, dass die Leute ihre Arbeit behalten, auch in der Krise. Wir wollen, dass die, die arbeiten, auch vernünftig bezahlt werden. Und wer Chancen und Teilhabe für die Menschen will, der braucht auch einen leistungsfähigen Staat. Die Koalitionsverhandlungen beginnen nach dem 27. September. Wir werden stark genug sein, um uns mit unseren Themen durchzusetzen. Außerdem gibt es mit Sicherheit bis dahin noch viele Lernprozesse – auch bei CDU und FDP.

War das ein verkappter Ordnungsruf an Franz Müntefering, der nach der Hessenwahl den Kampf gegen das marktradikale Lager von Union und FDP ausgerufen hat?

Wir erteilen uns keine Ordnungsrufe.

In welcher Phase der Wandlung vom loyalen Außenminister der großen Koalition hin zum kämpferischen Kanzlerkandidaten der SPD befinden Sie sich derzeit?

Ich konzentriere mich auf die Arbeit an guten Lösungen. Dies ist keine Zeit zum Sprücheklopfen, dies ist eine Zeit, in der sich Politik bewähren muss. Nicht zuletzt deshalb bleibt der Kanzlerkandidat immer auch der Außenminister der großen Koalition.

Kann der Außenminister problemlos Wahlkampf gegen die Regierungschefin machen?

Ich verstehe ja Ihre Ungeduld. Und ich versichere Ihnen: Die heiße Wahlkampfphase wird rechtzeitig losgehen. Aber die Menschen erwarten doch jetzt völlig zu Recht, dass wir uns gemeinsam um die Krise kümmern. Dass wir die Wucht mindern, mit der sie uns erreicht, und die Menschen vor den Folgen schützen – soweit Politik das kann. Die Enttäuschung mancher Kommentare über eine ausgefallene Saalschlacht nach dem Konjunkturpaket hat mich wirklich überrascht. Eine Pseudo-Auseinandersetzung im Bundestag über das, was wir zwei Tage vorher gemeinsam beschlossen haben, wäre reine Inszenierung gewesen. Das ist doch albern.

Was erwartet der Außenminister von Barack Obama?

Ich freue mich auf den neuen Präsidenten genauso wie auf Hillary Clinton, mit der ich gleich nach ihrer Ernennung telefoniert habe. Beide stehen für einen Neubeginn in der amerikanischen Außenpolitik. Das wollen wir nutzen, auch um das Verhältnis zwischen Europa und den USA zu erneuern. Seit langem werbe ich ja für eine ’neue transatlantische Agenda’. Neben Klimaschutz und Energiesicherheit muss da auch die Abrüstung ganz vorn stehen. Wir werden jedes Signal der Entspannung zwischen den USA und Russland unterstützen, auch bei der Frage der Stationierung eines Raketen-Abwehrschirmes in Osteuropa. Hier erwarte ich, dass beide Seiten noch einmal aktiv aufeinander zugehen.

Obama hat die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo innerhalb eines Jahres angeordnet. Kann es beim Nein von Innenminister Wolfgang Schäuble zur Aufnahme von Häftlingen bleiben?

Ich wundere mich über die aktuelle Debatte. Wir reißen uns wahrlich nicht um die Aufnahme von Gefangenen. Und in der Tat ist das zuerst und vor allem eine Aufgabe der USA selbst. Aber wir gehören doch zu den Ländern, die am lautesten die Schließung und Auflösung von Guantanamo gefordert haben. Obama hat jetzt den ersten Schritt getan – den wir begrüßen. Gleichzeitig gibt es Signale, dass er wegen der Aufnahme einiger weniger auch auf die Europäer zukommen wird. Wäre es denn wirklich zu verantworten, die Auflösung von Guantanamo daran scheitern zu lassen?

Ein Schlüssel im Kampf gegen den Terror liegt in Nahost. Sehen Sie nach der Intervention Israels in Gaza Chancen auf eine Annäherung zwischen Israelis und Palästinensern in absehbarer Zeit?

Jedenfalls müssen wir da wieder hin! Jetzt kommt es erst einmal darauf an, den Waffenstillstand in Gaza zu stabilisieren und beim Wiederaufbau zu helfen. Ich habe dazu europäische Vorschläge gemacht. Ebenso wichtig ist, dass wir endlich politisch weiterkommen – im Friedensprozess und bei den Direktgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern. Es ist gut, dass sich Obama und Clinton hier intensiv engagieren wollen. Wir werden sehr eng mit ihnen zusammenarbeiten.

Barack Obama hat die ganze Welt mit seiner Rede zur Amtseinführung emotional bewegt. Bewundern Sie diese Fähigkeit, Menschen mitzureißen?

Obama ist in der Tat ein Politiker, der die Menschen begeistert. Mich faszinieren sein Lebensweg und sein Mut, viele Fragen neu zu stellen und ganz anders zu bewerten als sein Vorgänger.

Dass ein deutscher Politiker die Menschen derart berührt, ist nicht einmal ansatzweise vorstellbar. Mangelt es den Deutschen an Begeisterungsfähigkeit oder ihren Politikern an der Fähigkeit, zu begeistern?

Weder am einen noch am anderen. Aber es hat ja Gründe, dass die Deutschen ein sehr nüchternes Verhältnis zu Politik entwickelt haben. Der Verzicht auf Pathos, eine geradezu bescheidene Politikinszenierung – das gehört zum Selbstbild einer deutschen Nachkriegsdemokratie, die sich der historischen Brüche ihrer Staatlichkeit bewusst war.

Sie gelten – wie Angela Merkel auch – als eher spröder Redner. Wäre etwas mehr Pathos nicht hilfreich, gerade in Zeiten der Krise?

Ich bin Westfale, das geht mit Pathos nicht zusammen, so weit stimmt es. Aber weniger Pathos ist doch nicht automatisch spröde – jedenfalls nicht für die, die von Politik mehr als Presseerklärungen erwarten. Die Wirtschaftskrise ist doch das beste Beispiel. Die Leute wollen keine dröhnenden Überschriften. Sie wollen wissen, was Politik kann und was nicht. Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit und Substanz – dafür stehe ich, und daran glaube ich.

Obama schafft es offenbar, die Menschen in der Krise mitzunehmen.

Aber wenn der Kuckuck ins Haus kommt, kann Obama auch nicht helfen. Die Lage in Amerika ist anders als bei uns. Die Menschen spüren, dass ihr Land Glaubwürdigkeit, Einfluss und Partner verloren hat. Barack Obama trifft auf eine Öffentlichkeit, die die Bush-Jahre hinter sich lassen will und Veränderungen geradezu herbeisehnt.

Hat die Weltfinanzkrise nicht auch in Deutschland ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass es so nicht weitergehen kann?

Genau das sage ich: So kann es nicht weitergehen. Wir müssen verhindern, dass Gier und Unvernunft uns noch einmal in eine solche Krise stürzen. Das erwarten die Menschen jetzt zu Recht. Wichtig ist, dass Politik die Wahrheit sagt. Und die Wahrheit ist: Wir haben ein schwieriges Jahr vor uns. die Krise wird um uns keinen Bogen machen. Dennoch: Mutige Reformen der vergangenen Bundesregierung haben für Wachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen gesorgt und dafür, dass wir im Unterschied zu anderen handlungsfähig sind. Wir brauchen jetzt eine nationale Kraftanstrengung – ja. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende die Krise meistern.

Die SPD will im Wahlkampf für die ’soziale Gesellschaft’ eintreten, wie Franz Müntefering formuliert hat. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Wir brauchen eine Wirtschaftsordnung, in der wieder der Mensch und nicht allein die Rendite im Mittelpunkt steht. Das ist der entscheidende Punkt, aus dem wir viele andere Dinge ableiten. Die soziale Gesellschaft ist für uns nie reduziert gewesen auf die Höhe der Transferleistungen. Unsere Vision ist eine Gesellschaft, in der sich Fortschritt nach dem Fortschritt für die Menschen bemisst; die Menschen nicht zynisch zurücklässt; die Aufstieg und Chancen auch für die ermöglicht, denen beides nicht in die Wiege gelegt ist; in der der Markt nicht Selbstzweck ist, sondern Markt und Gemeinwohl in vernünftiger Balance sind.

In Deutschland erwarten Experten Dividendenausschüttungen der Unternehmen in fast derselben Höhe wie im Vorjahr. Kann das angehen?

Nein. Wir stehen in der schwersten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, da kann es nicht sein, dass Unternehmen beim Staat um Hilfe rufen und gleichzeitig Millionen an ihre Aktionäre zahlen. Wenn ein Dax-Unternehmen im letzten Quartal milliardenschwere Verluste ausweist, gleichzeitig aber hunderte Millionen ausschütten möchte – dann sage ich: Dieses Geld wäre besser aufgehoben in einer Gewinnrücklage, mit der man auch Beschäftigungssicherung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziert. Ich erwarte, dass Unternehmen in der jetzigen Situation auf Dividendenzahlungen entweder ganz verzichten oder aber einen Teil der dafür vorgesehenen Summe für den Erhalt von Arbeitsplätzen verwenden. Wer jetzt einseitig das Füllhorn ausschüttet, der sollte nicht später unter staatliche Schutzschirme flüchten.

Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im letzten Jahr sagten Sie, die Welt werde nach der Krise nie wieder so sein wie vorher. Wie wird sie sein, Herr Steinmeier?

Wir befinden uns in einer Zeitenwende, weil in wenigen Monaten Gewissheiten verloren gegangen sind, an die sich viele gewöhnt haben. Die Steuerungsfähigkeit des Marktes ist infrage gestellt. Die Prinzipien, nach denen er seine eigenen Regeln gebildet hat, haben versagt. Deshalb brauchen wir internationale Regeln und Institutionen, die für Transparenz sorgen und schädliche Finanzprodukte auf den Märkten verhindern.

Strengere Regeln für die Märkte – ist das alles, was aus der Krise folgen soll?

Natürlich müssen wir ein neues Bild von der Welt entwerfen. Ich nenne es die globale Verantwortungsgemeinschaft. Und zwar nicht nur in der Finanzpolitik, sondern auch in der Klima- und Energiepolitik und in der Außenpolitik. Wir brauchen eine gemeinsame globale Verantwortung, sonst werden wir bald auf anderen Feldern Krisen erleben. Ein Land allein wird in der globalen Welt nie mehr in der Lage sein, Lösungen zu entwickeln.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov, Tissy Bruns und Stephan Haselberger. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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