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Bärbel Höhn

© Uwe Steinert

Interview mit Bärbel Höhn: „Warum fliegt das Huhn nach Kamerun?“

Die grüne Vizefraktionsvorsitzende Bärbel Höhn im Gespräch mit dem Tagesspiegel über Milchpreise, Biosprit und den Wert des Essens.

Frau Höhn, wie viele Euro würden Sie für ein gutes Stück Butter auf den Tisch legen?

Wissen Sie, ich esse nicht so viel Butter, weil ich gerne Käse mag, und da muss nicht auch noch Butter aufs Brot. Ich esse eher Biomargarine. Aber ein gutes Stück Butter darf schon teurer sein als der eine Euro, für den man es im Supermarkt bekommen kann. Die Biobutter kostet dort rund 1,80.

Preissteigerungen bei Milch und Butter sind nicht unbedingt bloße Abzockerei?

Sie haben mich nach einem guten Stück Butter gefragt. Ich finde, dass wir für unsere Lebensmittel eigentlich zu wenig ausgeben. Die Franzosen beispielsweise, die traditionell eine bessere Esskultur haben, geben mehr dafür aus. Wir sind ja eher die Autogesellschaft. Das Auto ist uns lieb und teuer. Wir würden kein schlechtes Öl beim Ölwechsel akzeptieren. Aber wenn wir beim Auto darauf achten, stellt sich doch die Frage: Warum achten wir auf gutes Öl nicht auch, wenn es um uns selbst geht? Eine gute Ernährung ist eine Grundlage für unsere Gesundheit. Denn Lebensmittel sind Mittel zum Leben. Deshalb glaube ich, dass man für gute Produkte auch einen guten Preis zahlen sollte. Ich bin allerdings dagegen, dass der Handel nun die Marktsituation für Preiserhöhungen auszunutzen versucht, die unverhältnismäßig sind, bei der Butter um 50, beim Quark um 40 Prozent. Das halte ich nicht für richtig, weil diese Preissteigerungen nicht wegen besserer Qualität eintreten.

Muss Hartz IV erhöht werden?

Empfänger von Hartz IV verwenden einen erheblich größeren Teil ihres Einkommens auf Lebensmittel als andere. Wenn die Lebensmittelkosten, die bisher als Inflationsdämpfer gewirkt haben, zum Motor der Inflation werden sollten, dann muss auch Hartz IV erhöht werden. Die Grünen haben einen entsprechenden Antrag im Bundestag gestellt.

Haben denn die Bauern etwas von den Preiserhöhungen?

Nur zu einem geringen Teil. Lebensmittel sind in Deutschland im Vergleich zu anderen EU-Staaten sehr günstig. Wir geben nur etwa zwölf Prozent unserer Einkommen für Lebensmittel aus. Franzosen und Italiener zahlen mehr, bis zu 18 Prozent. Wir haben einen harten Wettbewerb auf dem Lebensmittelmarkt. Die Bauern bekommen nur ein Viertel dessen, was wir im Supermarkt insgesamt für Lebensmittel bezahlen müssen. Sie bekommen derzeit etwa 30 Cent pro Liter Milch, lange Zeit lag der Preis sogar weit darunter. Das ist zu wenig, um auf Dauer wirtschaftlich Milch zu produzieren. In den Mittelgebirgen und in den Alpenregionen ist die Milchwirtschaft die einzig mögliche Nutzung, und die Kuh auf der Weide ist einer der Gründe, warum wir dort Urlaub machen wollen. Wir erleben aber, dass die Milchwirtschaft ins Flachland abwandert. Dort werden die Kühe dann im Stall gehalten. Wer profitiert? Nicht die extensiv wirtschaftenden kleinen Betriebe in Bayern, eher die großen Betriebe im Flachland.

Jahrelang haben wir mit Butterbergen und Milchseen gelebt, plötzlich ist Milch knapp. Was ist passiert?

Es gibt mehrere Gründe. Der entscheidende ist, dass die Milliardenvölker in China und Indien in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung aufholen. Das verändert den Speisezettel der neuen Mittelschichten. Die Nachfrage nach Milchprodukten steigt. Das gilt auch für Russland. Dazu kommt in diesem Jahr, dass einige Länder wie Australien und Neuseeland wegen einer Dürre teilweise als Lieferanten ausfallen. Und die Landwirtschaft in Europa ist über die neuen Flächenprämien, die mit der jüngsten Agrarreform eingeführt worden sind, marktangepasster geworden. Allerdings ist die Milch über die Quote noch immer ein regulierter Markt. Dazu kommt eine zunehmende Flächenkonkurrenz, beispielsweise mit der Biomasse-Produktion.

Wie wirken die EU-Exportsubventionen für Milch auf die Märkte der Welt?

Auch das ist ein Aspekt. Die Bauernverbände freuen sich, dass die Weltmarktpreise steigen. Die Funktionäre sagen jetzt, wir wollen in diese sich entwickelnden Märkte rein. Da muss ich sagen: Vorsicht. Die Landwirtschaft in Europa ist hochsubventioniert. Fast die Hälfte der Mittel der Europäischen Union gehen in die Landwirtschaft. Eine Subventionierung ist richtig für unsere eigenen Lebensmittel in Europa. Denn wir wollen die Nähe zum Produktionsort haben. Aber das wird ganz falsch, wenn wir mithilfe dieser Subvention die Weltmärkte erobern. Denn durch die steigende Nachfrage wird auch in China eine Milchproduktion aufgebaut. Die hat sich seit dem Jahr 2000 schon vervierfacht. Und wenn wir in Europa nun die Produktion weiter ausweiten, haben wir schon bald wieder die alten Milchseen. Wenn wir auf diese Weise die Weltmärkte erobern, dann zahlen die Steuerzahler dafür doppelt und dreifach. Zum einen über die Subventionen und zum anderen durch die steigenden Weltmarktpreise. Wenn wir für die asiatischen Märkte Milch produzieren wollen, handeln wir uns auch noch die Probleme mit der Verschmutzung von Boden und Wasser und den Treibhausgasemissionen durch die Kühe ein. Kühe geben Methan an die Atmosphäre ab, und das ist ein 23-mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid.

Was wäre ein vernünftiger Regulierungsvorschlag?

Es gibt drei große Bereiche, für die in der EU Geld ausgegeben wird. Der größte Batzen sind die sogenannten Direktzahlungen, die inzwischen als Flächenprämien gezahlt werden. Jeder bekommt pro Fläche einen bestimmten Satz. Dann gibt es die sogenannte zweite Säule der Agrarpolitik. Daraus wird eine umweltgerechte Landwirtschaft gefördert – Landwirtschaft, die einen gesellschaftlichen Mehrwert produziert. Auch der Ökolandbau wird daraus gefördert. Im Vergleich zu den Direktzahlungen ist das allerdings weniger eine Säule als eine Stelze, die noch dazu gerade weiter zusammengestrichen worden ist. Und dann gibt es die Marktstützungssubventionen. Man müsste die Direktzahlungen umschichten für gezielte Leistungen, die der Gesellschaft nützen, weil sie das Wasser und die Böden schonen, also nachhaltig einen umweltgerechten Landbau fördern.

Die rasche Vermehrung der Rapsfelder ist ökologisch motiviert; sie ist aber auch eine Ursache für die höheren Milchpreise.

Wir haben damit begonnen, Anreize für Bauern zu schaffen, die als Energiewirte einen Beitrag dazu leisten, nachwachsende Rohstoffe anzubauen. Raps ist ein Beispiel dafür. Daraus wird Biodiesel produziert, um unsere Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. Im Münsterland erleben wir gerade, was wir nicht so gern sehen, die rasche Ausbreitung von Maisfeldern zur Biomasse-Produktion. Die Bauern steigen in verschiedene Bereiche ein, das Feld ist belegt und steht für andere Produkte nicht mehr zur Verfügung. Es stimmt, diese Flächenverknappung verteuert die Landwirtschaft, auch die Milchproduktion. Das macht aber nur einen geringen Teil der Preissteigerungen aus. Außerdem erleben wir, dass die Bioenergien als Vorwand vorgeschoben werden, um höhere Preise zu rechtfertigen zum Beispiel beim Bier, obwohl vom Getreide, das Grundstoff der Biererzeugung ist, in Europa gerade einmal ein Prozent für Bioenergien gebraucht wird.

Auch in der Landwirtschaft ist gut gemeint nicht immer gut gemacht?

Das stimmt immer. Aber ich sage doch: Die Diskussion über Energiepflanzen und Biomasse im Zusammenhang mit den Milchpreisen ist zu einem guten Teil auch eine Ablenkungsdiskussion. Die Energiepflanzen machen nämlich immer noch einen geringen Teil der Produktion aus. Dagegen wächst die Fleischproduktion enorm, sie beansprucht weltweit 30 Prozent der Fläche. In Deutschland sind es sogar 60 Prozent. Die FAO erwartet, dass die Fleischnachfrage bis 2050 um fast 50 Prozent steigt. Dadurch bekommen wir eine ganz andere Dimension des Flächenproblems als durch die Energiepflanzen.

Die ökologische Bilanz der Biomasse-Produktion ist nicht gut, auch bei Raps nicht. Die Produktion verbraucht mehr Energie, als wir durch Biodiesel einsparen können.

Das stimmt so pauschal nicht. Wir haben natürlich eine negative Bilanz, wenn zum Beispiel in Indonesien Palmöl produziert wird und dafür der Regenwald abgeholzt wird. Wenn aber Palmpflanzen auf Brachflächen angebaut werden, ist die Bilanz gut. Der Maisanbau in den USA zur Bioethanol-Produktion wiederum hat eine sehr schlechte Ökobilanz. Deshalb sage ich ja: Wir brauchen sehr differenzierte Anreize für nachhaltige Landwirtschaft, die nach qualitativen Merkmalen fragt und nicht pauschal Fläche fördert. Es trifft zu, dass es schlechte Beispiele gibt, wir stehen bei den Energiepflanzen aber auch erst am Anfang der Entwicklung. Wir werden bald mehr daraus machen können. Rapskuchen können wir zusätzlich als Futter verwerten, das verbessert die Bilanz. Wir müssen stärker zur Kaskadennutzung kommen, also die Energiepflanzen mehrfach nutzen. Die Alternative zum Öl muss gefunden werden.

Sind wir national, in Europa, erst recht global auch nur entfernt darauf eingestellt, solche Probleme zu lösen?

Das ist wirklich schwer zu beantworten. Früher gab es die Butterberge, weil bestimmte Produkte gefördert wurden. Dann haben wir mit Mühe die Flächenförderung durchgesetzt – und reden jetzt über unerwünschte Effekte wie Flächenkonkurrenz oder die negative Ökobilanz von Energiepflanzennutzung. Trotzdem: Die Welthandelsorganisation (WTO) wird darauf achten, und die Bevölkerung wird danach fragen, ob diese Agrarsubventionen über die Fläche so aufrechterhalten werden sollen. Dabei kann helfen, dass die EU die Offenlegung der Empfänger von Subventionen verlangt, wogegen die Regierung Merkel sich lange gesträubt hat. Da stellt man dann fest, dass in Großbritannien die Königin das meiste Geld bekommt. In Deutschland wird man fragen, ob RWE oder Südzucker wirklich bedürftige Subventionsempfänger sind. Und die Weltgemeinschaft wird fragen, ob es angehen kann, dass wir mit unserer subventionierten Landwirtschaft anderswo Märkte ruinieren oder ihren Aufbau verhindern. Warum fliegt das Huhn nach Kamerun? Weil wir nur noch die besten Teile im Supermarktregal haben und das Hühnerklein exportieren. Und der arme Bauer in Kamerun kann mit seinem ganzen Huhn nicht gegen das subventionierte Hühnerklein konkurrieren. Ist das marktwirtschaftlich, ökologisch, sozial?

Welche Mechanismen wirken dagegen?

Wir können uns dem Weltmarkt nicht verschließen, aber hochsubventioniert für ihn zu produzieren – das ist Steuerverschwendung. Richtiger wäre, zielgerichtet zu subventionieren. Zum Beispiel: Es ist nachhaltig, wenn der Almbauer Milchvieh auf seinen Wiesen hält, die für nichts anderes genutzt werden können. Er produziert aber teurer als der Flachland-Milchviehhalter. Der Almbauer braucht die Subvention. Wir sollten ihn unterstützen wie den Ökobauern, der besonders umweltschonend anbaut. Wir haben doch momentan die absurde Situation, dass die Nachfrage nach Ökoprodukten aus eigener Produktion nicht mehr gedeckt wird, weil die notwendige Förderung für den Umstieg auf ökologische Landwirtschaft von den unionsregierten Ländern überall gesenkt worden ist. Subventionen für die Bauern sind nötig, aber bitte nach dem Gemeinwohlinteresse. Damit könnten wir die negativen Auswirkungen auf den Weltmarkt, die jetzt bei Milch und Butter zu beobachten sind, vermeiden. Und das ist auch ein Weg, den die WTO akzeptiert.

Können wir Verbraucher auf die Entwicklung Einfluss nehmen?

Unbedingt, wenn wir das Essen als eine Frage der Lebensqualität wichtiger nehmen. Ich bin der Meinung, dass wir den Wert von Lebensmitteln nicht genug achten. Sie sind Mittel zum Leben, nicht Kalorienzufuhr. Im Urlaub macht es doch jeder gern: mit Genuss essen. Essen ist nicht nur Ernährung, sondern Familientisch, Gespräch, Begegnung mit Freunden, Gesundheit, gutes Handwerk, SichZeit-Nehmen. Da sind uns Franzosen oder Italiener voraus. Wenn mit besserer Qualität die Preise etwas steigen, das können die Menschen akzeptieren. Einfach, weil sie mehr bekommen für ihr Geld.

Zur Person:

DIE LINKE

Bärbel Höhn (55) gehört dem linken Flügel der Grünen an. Erst im Frühjahr setzte sie mit anderen Autoren einen Gegenpunkt zum Wirtschaftskonzept des grünen Fraktionschefs Fritz Kuhn.

DIE MINISTERIN

Von 1995 bis 2005 war Bärbel Höhn Umwelt- und Landwirtschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. Sie war die erste grüne Landwirtschaftsministerin in Deutschland und bei den Bauern sowohl gefürchtet als auch immer mehr respektiert.

DIE ABGEORDNETE

Seit dem Ende der rot-grünen Koalition in Düsseldorf gehört Bärbel Höhn dem Bundestag an. In der Grünen-Fraktion ist sie Vizechefin für die Umweltthemen.

Das Gespräch führten Tissy Bruns und Dagmar Dehmer. Das Foto machte Uwe Steinert.

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