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Interview mit dem Verteidigungsminister: "Es muss wieder Freude an der Übernahme von Verantwortung geben"

Verteidigungsminister de Maizière über die Tücken und Chancen der Bundeswehrreform, Mängel des Einsatzes gegen Piraten am Horn von Afrika und Herausforderungen durch den Aufstieg Chinas.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Herr Minister, der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus beschreibt die Stimmung in der Truppe als schlecht und verunsichert. Was haben Sie da falsch gemacht?

Als ich ins Amt kam, habe ich ja selber eine harte Analyse des Zustands der Bundeswehr vorgenommen. Der Wehrbeauftragte hat festgestellt, die Lage sei stabil, die Unsicherheit groß und die Leistungsbereitschaft ebenfalls groß. Diese Einschätzung teile ich.

Und das macht Sie nicht nervös?

Nein. Dass die Verunsicherung im Moment groß ist, ist doch das Verständlichste von der Welt. Wir sind in einem Prozess der Umstrukturierung einer Großinstitution mit über 300 000 Dienstposten. Mehr oder weniger jeder erhält einen neuen Dienstposten, auch wenn sein Standort nicht geschlossen wird. Wir haben für den Prozess bis zu sechs Jahre veranschlagt; das ist schon anspruchsvoll. Aber es dürfen sicher nicht sechs Jahre Unsicherheit bleiben.

Wann also hat ein Soldat Klarheit darüber, wo und wie er arbeiten wird?

Die Personalstruktur wird im Frühjahr ausgeplant sein, die Umzugsplanung wird im späten Frühjahr stehen. Wir liegen da im Zeitplan. Wir wissen trotzdem, dass wir den Soldatinnen und Soldaten und ihren Angehörigen ziemlich viel zumuten. Es kommt dazu, dass mit dieser Neuausrichtung eine Änderung der Mentalitäten verbunden sein soll. Und die dauert mit Sicherheit viele Jahre.

Sie wollen den Soldaten nicht nur einen neuen Dienstsitz verordnen, sondern gleich ein neues Denken?

In den letzten Jahrzehnten hat sich eine Absicherungsmentalität angestaut. Es gab das geflügelte Wort „Melden macht frei“ – wenn ich ein Problem meinem Vorgesetzten gemeldet habe, geht es mich nichts mehr an. Ich will erreichen, dass es wieder Freude an der Übernahme von Verantwortung gibt. Führen muss belohnt werden. Wir müssen an Vorschriften heran, wir haben zu viele Stäbe, die sich gegenseitig beaufsichtigen. In der Bundeswehr darf nicht Bürokratie herrschen, sondern der Grundsatz der Eigenverantwortung.

"Es muss aber unten spürbar sein, dass oben die Übernahme von Verantwortung erwünscht ist."

Militär ist doch aber immer Befehl und Gehorsam in einer Hierarchie.

Das ist richtig und nötig. Es muss aber unten spürbar sein, dass oben die Übernahme von Verantwortung erwünscht ist und nicht von oben erstickt wird. Die Soldatinnen und Soldaten sagen uns seit langem: Uns wird viel zu viel vorgeschrieben – lasst uns mal machen! Und die können das auch. Ich habe etliche Verwaltungen in meinem Berufsleben erlebt. Gerade die Qualität der unteren und mittleren Führungsebene ist bei der Bundeswehr besser als in anderen Bereichen. Unseren Zug- und Kompanieführern, den Feldwebeln und Unteroffizieren kann man viel zutrauen.

Zumuten, zutrauen … In Hamburg geht gerade der Prozess gegen somalische Piraten zu Ende – der erste und vielleicht der einzige. Kann man der Marine weiter zumuten, vergeblich Piraten zu jagen?

Der Hauptauftrag der Operation „Atalanta“ lautet, das Entführen von Schiffen des Welt-Ernährungs-Programms am Horn von Afrika zu verhindern. Das ist gelungen. Jedes dieser Schiffe gelangt sicher eskortiert durch dieses Seegebiet ans Ziel. Insoweit ist der Einsatz erfolgreich.

Aber vor Gericht landen die Piraten nicht – sie werden am Strand ausgesetzt.

Sofern deutsche Rechtsgüter betroffen sind – etwa bei Körperverletzung –, wird geprüft, ob die Täter der deutschen Justiz übergeben werden. Wobei ich mir schon die Frage stelle, ob es für einen somalischen Piraten so eine große Abschreckung darstellt, in deutsche Untersuchungshaft zu kommen. Aber in den meisten Fällen werden sie am Strand abgesetzt, ihre Boote werden anschließend zerstört. Das ist natürlich sehr unbefriedigend.

Ist das Mandat zu eng gefasst?

Das militärische Mandat ist nur ein Beitrag, um dieses Problem zu lösen. Piraterie ist eine Straftat. Zur Strafverfolgung gehört, dass die Hintermänner der Piraten aufgespürt und verfolgt werden. Ich muss erwarten, dass sich jemand darum kümmert, die kriminellen Strukturen aufzuklären. Man muss über die Sperrung von Konten reden und die Beschlagnahme von Vermögen. Man muss den Menschen an der somalischen Küste wirtschaftlich helfen. Das alles findet zu wenig oder gar nicht statt. Wir werden getreulich unseren militärischen Auftrag erfüllen. Aber ich fordere von der Europäischen Union, dass sie sich in einem viel breiteren Ansatz um das eigentliche Problem kümmert.

Und, hört die Europäische Union zu?

Ich habe das in Brüssel vorgetragen. Abstrakt finde ich Zustimmung, aber es passiert zu wenig. Neben das militärische Mandat für „Atalanta“ muss ein politisches Mandat der EU treten zur Bekämpfung der Ursachen von Piraterie.

Ist das der Grund, weshalb Sie auf eine Ausweitung des Mandats auf Piratenbekämpfung am Strand so kühl reagieren?

Ich glaube nicht so richtig, dass dieser Ansatz, Piratenschiffe schon beim Beladen zu bekämpfen, das Problem entscheidend löst. Es wird vielmehr eine Reihe von Folgefragen aufgeworfen. Wie präzise ist die Aufklärung? Ist ein Hafenkai auch „Strand“? Was machen wir, wenn wir vom Hubschrauber aus operieren und jemanden verletzen, wie wird der versorgt? Ich bin sehr für – sagen wir mal – zivile Lösungen an Land. Aber ich bin skeptisch gegenüber militärischen Lösungen am Strand.

"Die Europäer in der Nato können sich über die Lastenteilung wirklich nicht beschweren."

Es ist uns doch aber genau das Gleiche in Afghanistan passiert: Jeder sagt abstrakt, um Ihre Formulierung aufzugreifen, ohne eine wirtschaftliche Perspektive nütze der ganze Militäreinsatz nichts – aber auch dort passiert zu wenig.

Das müssen Sie nicht mir als dem Verteidigungsminister sagen. Wir erfüllen unseren Job. Ich kann nur erwarten, dass andere auch ihren Job machen. Man kann nicht eine Militarisierung der internationalen Außen-, Wirtschafts- und Entwicklungshilfepolitik beklagen und zugleich das Militär mit Aufgaben aller Art überfordern.

Der Wehrbeauftragte hat berichtet, dass bei der Truppe in Afghanistan der bevorstehende Abzug sehr zwiespältig betrachtet wird. Verstehen Sie das?

Soldaten formulieren dort zwei Sorgen. Die eine ist: Die Truppenzahl darf nicht im Zuge des Abzugs so ausgedünnt werden, dass die sichere Räumung der Lager gefährdet wird. Die zweite Befürchtung ist: Es kann nicht sein, dass unser Einsatz, auch der Blutzoll, den unsere Kameraden entrichtet haben, umsonst gewesen ist. Das sind sehr verständliche Gefühle. Aber genau aus diesem Grund ziehen wir nicht ersatzlos ab. Nach 2014 wollen wir kein Sicherheitsvakuum mit anschließendem Chaos hinterlassen, sondern weiter Hilfe organisieren. Das hat mit Geld zu tun und mit Menschen – auch mit Soldaten und Polizisten. Das Konzept dafür wird jetzt entwickelt.

Und die Sorge um den sicheren Abzug?

Der Abzug ist eine völlig eigene, sehr komplizierte Operation. Tausende Tonnen von Materialcontainern und Fahrzeugen müssen über Tausende von Kilometern über teilweise ungenügende Infrastruktur zurückgeführt werden. Natürlich muss diese Operation auch geschützt werden. Der Abzug verlangt einen eigenen Plan und wohl auch spezialisiertes Personal für diese schwierige Aufgabe.

Wir sind jetzt geografisch von Afrika nach Osten gegangen – noch weiter im Osten, im asiatisch-pazifischen Raum, sehen die USA den neuen Schwerpunkt ihrer Verteidigungspolitik. Hat das negative Folgen für Europa?

Das denke ich nicht. Zunächst einmal: Die Europäer in der Nato können sich über die Lastenteilung wirklich nicht beschweren. Vor etlichen Jahren trug Europa die Hälfte der Ausgaben, jetzt zahlen die Amerikaner mehr als zwei Drittel. Es gibt keinen Grund zu klagen, wenn sie das nun ein bisschen verändern. Wir haben in Europa aber auch keinen Grund, uns minderwertig zu fühlen. Wir sind hier ganz gut aufgestellt als Bündnis. Das ist übrigens auch ein Ergebnis des Afghanistan-Einsatzes. Wir haben dort ein nie dagewesenes Ausmaß an Vernetzung und gemeinsamem Denken entwickelt. Ich erkenne in Afghanistan – mal abgesehen von der Uniform – nur noch mit Mühe, ob der Soldat, der mir einen Lagevortrag hält, ein Deutscher oder ein Norweger oder ein Amerikaner ist. Das ist ein gewaltiger Fortschritt.

Läge es nicht für die USA nahe, diese prima eingespielten Nato-Verbündeten um Beistand im Pazifik-Raum zu bitten?

Das glaube ich nicht. Es wird eher so sein, dass wir in Europa mehr Verantwortung bei der Regelung eigener Angelegenheiten übernehmen müssen.

Das Gespräch führten Robert Birnbaum und Hans Monath. Das Foto machte Mike Wolff.

OBERBEFEHLSHABER

Thomas des Maizière ist der Sohn des früheren Bundeswehr-Generalinspekteurs Ulrich de Maizière (1912 bis 2006), der als einer der Väter des Prinzips der Inneren Führung bei der Bundeswehr gilt. Nach dem Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Verteidigungsminister wurde der CDU-Politiker im März 2011 dessen Nachfolger und muss nun die Reform der Bundeswehr zu einem guten Ende bringen. Die Armee soll um etwa ein Fünftel schrumpfen, außerdem soll es künftig straffere Führungsstrukturen geben.

BOTSCHAFTER

Der 58-jährige Jurist setzt in der Außen- und Sicherheitspolitik seither deutlich andere Akzente als etwa Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Er bereitet die Deutschen darauf vor, dass auf sie in absehbarer Zeit mehr internationale Verantwortung und damit auch mehr Auslandseinsätze zukommen.

FÜHRUNGSRESERVE

Der heutige Merkel-Vertraute kommt aus der Landespolitik und sammelte exekutive Erfahrung in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, wo er hintereinander drei Ministerien führte. In der Bundesregierung war de Maizière vor dem Umzug in den Bendlerblock Chef des Kanzleramtes (2005 bis 2009) und Innenminister (2009

bis 2011). Der intellektuell gut

sortierte, affärenfreie Politiker gilt als Anwärter auf höhere Aufgaben.

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