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Viviane Reding bei einer Pressekonferenz der Europäischen Kommission in Athen.

© AFP

Interview mit Vize-Kommissionspräsidentin Viviane Reding: „Solidarität gibt es nur für Solidität“

2013 soll das europäische Jahr der Bürger werden. Die europäische Kommission reist für Dialoge durch Europa. Doch kann sie die Menschen mitten in der Euro-Krise wirklich für Europa begeistern? Im Interview spricht Vize-Präsidentin Viviane Reding über Misstrauen, die Situation in Zypern und den aktuellen Dialog in Griechenland.

Die Euro-Krise dauert seit Jahren an, gerade erst schockte die Diskussion über die Zypern-Hilfen viele Sparer. Können Europas Politiker das Vertrauen der Menschen in ihre Führung überhaupt wieder herstellen?

Die Kommission sagt: das Ersparte der Bürger bis zu 100.000 EUR sollte nicht angetastet werden. Jetzt muss eine glaubwürdige Lösung her. Die Kommission ist bereit Zypern dabei zu helfen.

Das Vertrauen muss aber in der Tat gestärkt werden – sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene und zwar durch ganz konkrete Schritte. Politiker haben die Lehren aus der Vergangenheit gezogen: Wir sorgen dafür, dass Bankenpleiten künftig besser verhindert werden können und wollen auch, dass am Ende der Finanzsektor und nicht der Bürger die Zeche zahlt, wenn doch etwas schiefgeht.

Wie sehen diese Lehren genau aus?

Die Kommission hat eine einheitliche Bankenaufsicht vorgeschlagen und die Staats- und Regierungschefs haben sich in einer Rekordzeit von drei Monaten auf diese Vorschläge geeinigt. Die Kommission hat auch eine Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen, damit der Finanzsektor einen fairen Beitrag zur Krisenbewältigung leistet und zumindest einen kleinen Teil an den Steuerzahler zurückzahlt. Denn bis heute haben die EU-Staaten seit Beginn der Finanzkrise rund 4,6 Billionen Euro für das Bankensystem an Staatshilfen und Garantien zur Verfügung gestellt.

Die Kommission hat zudem ihre Blaupause für eine vertiefte Wirtschafts- und Währungsunion vorgelegt, um die Euro-Zone widerstandsfähiger zu machen und dabei auch die demokratische Kontrolle zu verbessern.

Europäische und nationale Politiker müssen den Bürgern Rede und Antwort stehen und erklären, warum Reformen auf europäischer und nationaler Ebene nötig sind: damit die Generationen von morgen auch noch eine Zukunft in und mit Europa haben. Europa ist eine Solidargemeinschaft, in der jedes Familienmitglied dem anderen hilft – aber Solidarität, das ist ganz klar, gibt es eben nur im Gegenzug für Solidität.

Apropos Rede und Antwort stehen: Am Freitag, den 22.März, treffen Sie in Thessaloniki auf griechische Bürger. Es ist bereits Ihr elfter Bürgerdialog. Die Griechen sind von der Euro-Krise und auch von den Ereignissen in Zypern besonders hart getroffen. Rechnen Sie deshalb in Thessaloniki mit einem besonders emotionalen Dialog? Und wenn ja, wie gehen Sie mit einer solchen Situation um?

Der Bürgerdialog in Griechenland ist mir besonders wichtig. Ich bin in Thessaloniki, um den griechischen Bürgern zuzuhören und in einen direkten Dialog mit ihnen zu treten. In der Vergangenheit haben wir sehr viel über Griechenlang geredet. Die Europäische Union allerdings basiert darauf, dass wir miteinander reden und nicht nur übereinander.

Das ist Aufgabe aller Politiker – sowohl nationaler als auch europäischer. Natürlich kann es dabei auch emotional werden, es geht ja um viel. Ich komme nach Griechenland als Freundin. Und Freunde müssen ehrlich sein: Es gibt keine Alternative zu den schwierigen Reformen. Sie sind notwendig, um sicherzustellen, dass künftige Generationen nicht die Zeche zahlen für die Fehler der vergangenen Generationen.

Hat Europa den Griechen bisher wirklich geholfen?

Natürlich lassen sich die Probleme der Bürger in Griechenland mit einem Dialog nicht von heute auf morgen lösen. Aber ich komme mit der Botschaft: Griechenland ist nicht allein in all seinen Bemühungen zur Bewältigung der Krise. In Rekordzeit haben wir in Europa den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) geschaffen, der bis zu 500 Milliarden Euro aktivieren kann, um Ländern zu helfen, die sich in finanzieller Not befinden.

Ich will bei dem Dialog die Vorteile eines vereinten Europas erläutern: Frieden, der freie Personenverkehr – die Möglichkeit frei in Europa zu reisen oder zu studieren – und Solidarität. Aber auch konkrete Vorteile Europas, wie das Erasmus-Stipendium und niedrigere Roaming-Gebühren, wenn Verbraucher im Ausland ihr Handy nutzen.

In Griechenland hilft die EU zum Beispiel auch mit Geld (dem europäischen Sozialfonds) bei der Gesundheitsversorgung von chronisch kranken Patienten oder bei der Impfung von Kindern. Das sind konkrete Vorteile, die es ohne Europa nicht gäbe.

Falls ein Austritt Griechenlands aus dem Euro bei dem Dialog thematisiert wird: diskutieren Sie auch ein solches Szenario?

Diese Frage stellt sich nicht. Der Euro ist unumkehrbar. Der Euro ist für immer. Das steht nicht nur in Artikel 140 unserer Verträge, sondern das haben auch EU-Institutionen und Mitgliedsstaaten durch ihre Solidarität in den vergangenen Jahren auf eindrucksvolle Weise bewiesen.

Der deutsche Bürgerdialog war sehr sachlich und zukunftsbezogen, andere eher regional geprägt und der spanische Bürgerdialog sehr emotional - es flossen sogar Tränen . Sie haben in diesem Jahr noch knapp 30 Dialoge vor sich. Wäre es nicht auch mal spannend, Bürger aus mehreren Staaten für einen solchen Dialog zusammenzubringen?

Die Bürgerdialoge sind eine Debatte über Europa. Ich wünsche mir, dass sich Bürger grenzüberschreitend daran beteiligen – von Helsinki bis nach Turin. Denn Europas Zukunft geht alle gleichermaßen etwas an. So können Bürger in allen Mitgliedsländern die Dialoge immer per Live-Stream im Internet mitverfolgen. Und sie können sich live über Twitter einbringen und Fragen direkt in den Dialog schicken, die die Moderatoren auch in der Regel aufgreifen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass wir gegen Ende des Jahres einen Bürgerdialog haben werden, bei dem Bürger aus allen Mitgliedsländern teilnehmen können. Vielleicht auch Bürger, die vorher schon mal bei einem Dialog in ihrem Mitgliedsstaat waren und sich mit anderen Bürgern, die an einem Dialog teilgenommen haben, austauschen können. Und alle diskutieren über ein gemeinsames Thema: die Zukunft Europas. Das ist meine Vision für die Entwicklung der Bürgerdialoge.

Das Interview führte Elisa Simantke.

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