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Edzard Reuter

© dpa

Interview: Reuter: "Wir müssen unseren Mist auskehren“

Der frühere Daimler-Chef Edzard Reuter ist vor kurzem 80 Jahre alt geworden. Im Interview mit dem Tagesspiegel erklärt er, dass er Geiz nicht geil findet und warum die Rendite-Jagd bald zu Ende ist.

Herr Reuter, der Staat langt zu mit Steuern und Abgaben. Kann man es jemandem verdenken, wenn er sich dem zu entziehen sucht?

Oh Gott, das treibt mir die Tränen in die Augen. Wir sind immer noch alle miteinander, ob arm oder reich, oben oder unten, Bürgerinnen und Bürger dieses Staates. Wir alle haben ein Parlament gewählt, das Gesetze beschlossen hat, auch Steuergesetze. Die gelten für uns alle.

Die Gesetze können schlecht sein und den Gesetzesverstoß geradezu provozieren.

Ich kenne diese Argumentation: Der Staat knöpft uns zu viel Geld ab und deshalb hinterziehen wir Steuern. Das ist eine merkwürdige Einstellung, über die ich nur lachen kann.

Diese Einstellung ist weit verbreitet.

Das will ich nicht bestreiten. Steuerhinterziehung wird wohl von vielen Menschen als lässliche Sünde gesehen. Das hat es immer gegeben und wird es immer geben, völlig unabhängig von der Steuergesetzgebung. Aktuell geht es aber um eine Schicht von Menschen, die sich selber als Elite unserer Nation verstehen. Eine Erklärung in dem Sinne, „weil alle das machen, machen wir es auch“, kann ich da überhaupt nicht gelten lassen.

Diese Elite hat sich verändert in den vergangenen 15 Jahren. Sie ist global unterwegs und wird getrieben vom Geschehen auf den Finanzmärkten irgendwo auf der Welt. Die Steuergesetzgebung in Deutschland ist für die weit weg.

Ja und? Ist das eine Erklärung dafür, dass man keine Steuern bezahlt oder gegen das Gesetz verstößt? Wenn man sich in Tokio oder in New York zu Hause fühlt und als Weltbürger versteht, dann ist das doch keine Entschuldigung für Gesetzesverstöße im eigenen Land.

Relativieren sich nicht nationale Regeln in der globalisierten Wirtschaftswelt?

Das Argument habe ich in ähnlicher Form früher schon gehört von vielen meiner Kollegen, wenn es um die Höhe der Bezüge von Managern ging. Da hieß es, wir müssen natürlich international wettbewerbsfähig sind. Und wenn wir das nicht sind, wenn wir also weniger bezahlen, dann wandern unsere Manager sofort in die USA aus. Ich halte das für einen Witz. Es hat immer schon in der Welt unterschiedliche Steuern und Einkommen gegeben. Wir haben uns verdammt nochmal daran zu halten, was unser Land vorschreibt.

Auf der Liechtenstein-CD stehen rund 700 mutmaßliche Steuerhinterzieher, vermutlich alle aus der oberen Schicht der Gesellschaft. Ist das eine neue Dimension?

Wenn eine große Zahl von Menschen gegen das Gesetz in übler Form verstoßen hat, dann ist es endlich Zeit, dass ein solches Verhalten mal offen auf dem eigenen Markt dieser Führungskräfte geächtet wird. Dafür ist diese Diskussion ja in der Tat gut: Hoffentlich muss man sich inzwischen offen schämen, wenn man gegen das Gesetz verstößt. Aus den eigenen Kreisen der Wirtschaft kommt das freilich noch viel zu wenig. Man hat immer wieder gesagt, das seien Einzelfälle, und versucht, sie damit zu bagatellisieren. Jetzt müssen wir selber unseren eigenen Mist auskehren.

Es gibt die These, wonach der Finanzmarktkapitalismus den Sozialstaatskapitalismus verdrängt: In diesem Prozess empfinden die Wirtschaftseliten überhaupt keine Verpflichtung mehr gegenüber der Gesellschaft. Und schon gar keine Verpflichtung, über das Instrument Sozialstaat gesellschaftliche Solidarität mitzufinanzieren.

Natürlich löst der Prozess der Globalisierung einen gewissen Effekt aus, sich nicht mehr als Staatsbürger zu empfinden. Das ist aber keine Entschuldigung. Zu meinem Verständnis einer Elite gehört es, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen. Man sollte wohl auch bedenken, wie das eigene Verhalten auf die Gesellschaft wirkt. Wer dazu nicht willens oder in der Lage ist, hat die Zugehörigkeit zu einer wirklichen Elite nicht verdient.

Elite bedeutet Einfluss haben auf gesellschaftliche Entwicklungen und Zukunftsgestaltung. Doch wie weit reicht die Zukunftsorientierung, wenn die Börse und die Vorstände der bösennotierten Firmen auf Quartalszahlen orientiert sind?

Die Tendenz zur Kurzfristigkeit war eine Welle, die mit der Globalisierung der Finanzmärkte über die ganze Welt geschwappt ist. Auslöser waren vor gut zehn Jahren die Vereinigten Staaten, deren Protagonisten das zu einem absoluten Dogma erhoben hatten. Inzwischen haben viele verstanden, dass diese Kurzfristigkeit tödlich ist für die Unternehmen und die Gesellschaft. Die europäische Einstellung setzt sich wieder stärker durch: Ein Unternehmen ist eine Einheit, die länger leben muss und die nicht zuletzt auch Verantwortung gegenüber den Menschen trägt, die dort arbeiten.

Und diese Verantwortung zeigen nach Ihrer Beobachtung die Spitzenmanager?

Wir sind keine Horde von Lausbuben, die im Nachbargarten ohne eine Spur von schlechtem Gewissen Kirschen klauen dürfen. Sondern wir sind Menschen, die wissen müssen, dass unser Verhalten die gesamte Gesellschaft berührt und prägt. Wer das nicht versteht, verdient keine Zugehörigkeit zur Klasse ernsthafter Manager.

Entscheiden das die Strafverfolgungsbehörden allein? Oder ist eine Art Selbstreinigung in der Managerklasse möglich?

Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich solches als Ergebnis der Diskussion, die gerade begonnen hat, herauskristallisieren wird. Diese Diskussion hatte ja schon längst eingesetzt, als es um die Höhe der Managerbezüge ging. Manche wollte sie abtun als reine Neiddebatte. Aber in Wirklichkeit geht es eben nicht um Neid, sondern darum, was man tut und was man nicht tut. Das ist eine ethische Frage, eine Frage von Anstand und Moral. Unternehmer und Unternehmensleitungen dürfen nicht nur für das eigene Bankkonto arbeiten - sie sind zugleich verantwortlich gegenüber der Gesellschaft, ihrem Land.

Verträgt das die Gesellschaft, wenn eine Friseurin für fünf Euro die Stunde arbeitet und ein Bankchef 5000 Euro bekommt – wohlgemerkt in der Stunde?

Aus meiner Sicht eindeutig nein.

Soll der Gesetzgeber in der Lohnfindung eingreifen?

Nein, das ist ein Thema, das sich jedweder gesetzlicher Reglementierung entzieht. Es ist letztlich ein Thema der moralischen und ethischen Standards.

Die amerikanische Milliardärin Leona Helmsly hat einmal gesagt: „Wir zahlen keine Steuern. Nur die kleinen Leute zahlen Steuern.“ Kann man das Selbstverständnis dieser Klasse besser formulieren?

Wir wissen ja, dass bei vielen Amerikanern auf- grund einer gänzlich anderen Geschichte des Kapitalismus eine derartige Einstellung nicht selten ist. Aber wir wissen auch, dass am Ende ihres Lebens viele reiche Amerikaner ein Großteil ihres Vermögen wieder zurückgeben an die Gesellschaft. Das ist ein Teil der amerikanischen Mentalität. In Europa haben wir eine andere Mentalität.

In Europa gibt es Spitzenverdiener, die ihren Wohnsitz in der Schweiz nehmen, um Steuern zu sparen. Und es gab einen Präsidenten des deutschen Maschinenbaus, der wegen der Steuer nach Belgien gezogen ist.

So etwas tut man einfach nicht.

Aber es wird goutiert von der Gesellschaft. Michael Schumacher oder Franz Beckenbauer genießen sogar hohes Ansehen.

Aber das ändert nichts an meinen Maßstäben. Und zumindest werden diese Personen ihre Steuern so zahlen, wie sie zahlen müssen. Sie halten sich ans Gesetz.

Dabei entziehen die sich jedoch der gesellschaftlichen Solidarität, also der Finanzierung des Gemeinwesens, in dem sie groß geworden sind.

Das mag wohl so sein. Deswegen wäre es eigentlich selbstverständliche Aufgabe derjenigen, die für solche Eliten, die für Wirtschaft oder Unternehmen sprechen, sich dazu klipp und klar zu äußern. Das heißt wir müssen in unserem eigenen Haus kehren, und zwar von oben ab.

Da hat man so sehr viel in den vergangenen Tagen nicht gehört.

Leider nicht.

Vielleicht weil es allerorten viel Verständnis gibt für Gier: Die Verbraucher jagen hinter Schnäppchen her, die Anleger hinter den fettesten Renditen, die Reichsten hinter der nächsten Million.

Manche propagieren ja Gier als etwas Gutes. Damit werden sie schuld an einer ganz schlimmen Entwicklung, die eine große Gefahr für unsere gesamte Gesellschaft nach sich ziehen kann. Es zeichnet sich nämlich jetzt schon etwas ab, was wir in der ganzen Nachkriegszeit nicht hatten: Das klaftertiefe Auseinanderbrechen unserer Gesellschaft mit dem Entstehen einer dauerhaft armen Unterschicht. Vor diesem Hintergrund ist es durch nichts zu rechtfertigen, materielle Gier zu einem positiven Maßstab zu erheben.

Das ist aber doch in den börsennotierten Unternehmen so: Erst muss die Rendite zehn Prozent betragen, dann 15 und schließlich 20 Prozent. Wo führt das hin?

Das wird sich einpendeln. Zum großen Teil hat diese Renditejagd damit zu tun, dass die Bezüge der Manager gekoppelt waren an die Höhe der Renditen. Das wird ein Ende haben, weil es einfach nicht endlos damit weitergehen kann.

Bis dahin hat der Kapitalismus seine Legitimation verloren. Einer Umfrage zufolge sind noch 30 Prozent der Westdeutschen und zehn Prozent der Ostdeutschen mit unserem Wirtschaftssystem zufrieden.

Es gibt objektive Entwicklungen, denen wir uns nicht entziehen können. Eine dieser Entwicklungen ist, dass wir mitten in der Umstellung von einer Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft sind. Wir leben zunehmend von der Produktion nicht anfassbarer Produkte, SAP ist dafür ein prominentes Beispiel.

Und das besorgt die Menschen?

Durchaus. Was früher selbstverständlich war – ein Lebensarbeitsplatz in einer Firma, man war bodenständig, baute sich ein kleines Häuschen und zog nie wieder aus – alle diese Dinge sind im Wandel. Flankierend zu diesem Wandel ist jedenfalls auch unser Sozialsystem und unser Steuersystem reformbedürftig. In dieser Phase befinden wir uns ja im Augenblick, und das verursacht zwangsläufig große Verunsicherung.

Was tut man dagegen?

Den Menschen die Wahrheit sagen. Das ist die Aufgabe der Politik, aber auch der Eliten in der Wirtschaft. Es gibt eine zunehmende Unlust im Lande, sich mit den Veränderungsprozessen auseinanderzusetzen. Sinkende Wahlbeteiligungen sind ein weiteres sorgenvolles Anzeichen dafür. Das darf man aber nicht den einfachen Menschen vorwerfen, sondern man muss sich an die eigene Nase fassen. Heuchelei löst keine Probleme.

Das Parteiensystem erweitert sich gerade mit der Linkspartei. Ist deren Erfolg ein Symptom für das verbreitete Empfinden von sozialer Ungerechtigkeit?

Eine Oppositionspartei ohne Verantwortung kann immer viel versprechen und wird immer Zulauf haben. Doch die Stärke der Linkspartei hängt zusammen mit der Stimmung in Teilen der Bevölkerung, mit Unsicherheit und Angst.

Sie sind seit 1946 Mitglied der SPD. Ist das eine Lebensentscheidung?

Bislang ja.

Waren Sie nie so enttäuscht, dass sie das Parteibuch hinschmeißen wollten?

Oft. Letzten Endes ist es aber natürlich eine Bindung, die auf bestimmten Grundwerten beruht. Eine solche Bindung löst man nicht wegen des Ärgers über bestimmte Entscheidungen oder Personen.

Aktuell sind Sie zufrieden mit der SPD?

Die wichtigste Frage müsste ins Zentrum gerückt werden: Wie sieht unser Bildungssystem aus und wie gehen wir mit der Integration unserer Gesellschaft um.

Mehr als vier Fünftel der Kinder aus Akademikerfamilien besuchen eine Hochschule, aber weniger als ein Fünftel der Kinder aus Arbeiterfamilien. Verfestigt sich die Klassengesellschaft?

Auf die Dauer wird das auf keinen Fall so bleiben dürfen. Das immense Kreativpotenzial, das in allen Schichten vorhanden ist, brauchen wir für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft. Um dieses Potenzial nicht zu vergeuden, benötigen wir ein modernes und leistungsfähiges Bildungssystem. Ohne ausreichendes, qualifiziertes Lehrpersonal ist das nicht machbar. Das kostet Geld - und nicht zuletzt dafür brauchen wir die Steuern.

Das Gespräch führte Alfons Freese. Foto: Schroewig

Zur Person:

KINDHEIT IN ANKARA

Edzard Reuter war sieben Jahre alt, als seine sozialdemokratischen Eltern 1935 vor den Nazis fliehen mussten. Sein Vater, Berlins späterer Bürgermeister Ernst Reuter, war in Ankara Professor. 1946 kam Edzard zurück.

CHEF IN STUTTGART

Reuter leitete von 1987 bis 1995 die Daimler-Benz AG. Sein Nachfolger Schrempp gab dem „shareholder value“ den Aktionärsinteressen, erste Priorität – Reuter hat dies stets kritisiert.


IMMER BERLINER

Edzard Reuter wurde vor 80 Jahren in Berlin geboren, studierte hier und ist seit 1998 Ehrenbürger der Stadt. Daimler investierte unter ihm Millionen in den Aufbau des Potsdamer Platzes. Tsp

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