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Taro Kono (49) sitzt für die oppositionelle LDP im Parlament. Er dürfte der einzige seit Jahren erklärte Atomkraftgegner in der japanischen Volksvertretung sein.

© picture alliance / dpa

Interview: „Vergesst die Demonstrationen“

Der japanische Oppositionspolitiker Taro Kono ist wohl der einzige Atomkraftgegner im Parlament. Er rät besorgten Bürgern, direkt mit ihren Abgeordneten zu reden.

Schon sehr lange fordern Sie ein Ende der Nuklearenergie in Japan. Bis zur Katastrophe vom 11. März 2011 standen Sie damit ziemlich alleine da. Hat sich das inzwischen geändert?
Viele Dinge haben sich nach dem 11. März geändert. Wir haben im Parlament zum Beispiel ein Einspeisegesetz verabschiedet …

… mit dem Abnahme und Vergütung von Strom aus alternativen Energiequellen geregelt werden sollen…
Ja, wie Sie es auch in Deutschland haben. Ich habe die Kritik an der Atomenergie vorangetrieben, doch es gab trotzdem – auch schon vor März – Unterstützung für die Entwicklung von erneuerbaren Energien. Allerdings war das nicht die Mehrheit, was sich inzwischen geändert hat.

Außerhalb Japans, in Deutschland zum Beispiel, sorgten sich die Menschen vor allem um die Folgen des Atomunglücks in Fukushima. Dabei waren die Schäden durch Erdbeben und Tsunami an der ganzen Nordostküste verheerend.
Es sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Beim Tsunami starben etwa 20 000 Menschen. Viele Menschen haben ein Familienmitglied oder einen Freund verloren. Der Unfall von Fukushima hat bislang kein Todesopfer gefordert, niemand ist aufgrund von Strahlung gestorben. Aber es ist natürlich ein Riesenthema. Die Menschen haben zuvor gedacht, Atomkraftwerke seien notwendig. Nun aber sagen sie öffentlich, dass die Kraftwerke gefährlich sind. Das eine ist also eine sehr emotionale Angelegenheit, das andere eher rational.

Wie ist die Situation in Fukushima Daiichi?
Die Temperatur innerhalb der Reaktoren ist jetzt unter 100 Grad Celsius. Also sagen die Regierung und der Stromversorger Tepco, dass alles unter Kontrolle sei. Unsere größte Sorge aber ist das Brennelementebecken in Reaktor Nummer 4.

Dort lagern hochgiftige Mox-Brennelemente, die einen hohen Plutoniumgehalt haben.
Und wenn es jetzt durch irgendein größeres Erdbeben auseinanderbräche, dann wäre das eine große Katastrophe. In Reaktor Nummer 2 ist die Wassertemperatur von 40 auf 70 Grad angestiegen, und Tepco konnte uns nicht sagen warum. Tepco weiß also immer noch nicht, was genau in den Reaktoren passiert.

Weiß es Tepco, der Kraftwerksbetreiber, nicht, oder will die Firma es nicht sagen?
Die können es nicht wirklich sehen, und sie haben selber nicht genug Informationen oder Möglichkeiten herauszufinden, was in diesen Reaktoren passiert. Ich glaube nicht, dass sie genau wissen, was zum Teufel da vor sich geht.

Derzeit sind nur drei der landesweit 54 Atomkraftwerke in Betrieb.
Die Energieversorgung ist sehr stabil. Das Wirtschaftsministerium und die Energieversorger sagen immer, wir befänden uns in einer Krisensituation. Aber das stimmt nicht. Unser Energiebedarf war nie höher als was wir durch die Kombination von fossilen Brennstoffen und Wasserkraft gewinnen konnten. Wir brauchten eigentlich keine Atomkraftwerke. Weil die Reaktoren heruntergefahren wurden und die Generatoren nun mit Öl oder Gas und Kohle laufen, muss man sich aber natürlich um einen höheren Ausstoß von Kohlendioxid sorgen. In Zeiten des Klimawandels ist das nicht gut. Außerdem geben wir mehr aus, um fossile Energieträger wie Öl oder Gas zu importieren.

Welche Form erneuerbarer Energie hätte denn Ihrer Meinung nach die besten Chancen, Nuklearenergie in Japan zu ersetzen?
Auf lange Sicht denke ich, dass wir Energie effizienter nutzen müssen. Im vergangenen Jahr haben wir 15 Prozent des Verbrauchs reduziert und standen dann bei etwa so viel wie in den 1980ern, als die Wirtschaft boomte und es uns wirklich gut ging. Seit beinahe zwanzig Jahren gab es in Japan aber kein Wirtschaftswachstum, und unser Energiebedarf ist drastisch angestiegen.

Woher also nehmen, wenn nicht aus Atomkraftwerken?
Unser Potenzial, geothermische Energie zu nutzen, ist das drittgrößte in der Welt, nach den USA und Indonesien. In den 1960ern hat die Regierung sich gegen eine Förderung der geothermischen Energie entschieden. Jetzt rudert sie zurück, weil sie gesehen hat, dass es eine gute Sache ist. Solar- und Windenergie werden folgen. Ich denke also, dass dies die Alternativen zur Nuklearenergie sind.

Wie lange, schätzen Sie, wird es dauern, bis die Kernenergie ersetzt werden kann?
Ich habe immer gesagt: Lasst uns keine zusätzlichen Atomkraftwerke mehr bauen und die alten nach 40 Jahren ausmustern. Wenn wir das bis 2050 tun, dann wären wir bei null Prozent Nuklearenergie.

Sie haben auch sehr offen die engen Verbindungen zwischen Energieversorgern und der Regierung in Japan kritisiert. Hat die Politik es seit März 2011 geschafft, sich von diesem Einfluss zu befreien?
Die derzeitige Regierungspartei DPJ wurde unterstützt von der Vereinigung der Energieversorger. Und sie stehen noch immer sehr unter deren Einfluss. Auch meine Partei, die LDP, hat eine Menge Spenden erhalten. Wir diskutieren derzeit darüber, eine parteiinterne Regel aufzustellen, jede Art von Spenden der Energieversorger abzulehnen. Viele ältere Politiker aber haben sehr enge Verbindungen zur Energiebranche oder dem Wirtschaftsministerium. Die LDP versucht nun, ihre Energiepolitik zu ändern. Aber ich glaube nicht, dass wir uns vom Einfluss der Industrie ganz befreit haben.

Die Regierung hat verkündet, es werde im Sommer einen neuen Energieplan geben. Ist daraus schon etwas bekannt?
Naja, die Regierung debattiert noch immer unter sich, und wir wissen nicht genau, wie die Situation sich gerade darstellt.

Angeblich soll doch sogar die Bevölkerung beteiligt werden.
Also, die Regierung wird vielleicht ein öffentliches Statement abgeben …

Sie lachen.
Ich glaube nicht, dass es irgendeine Art von offenem, öffentlichen Entscheidungsprozess geben wird. Das Ministerium und die Regierung wollen wohl eher einen geschlossenen Prozess.

Direkt nach der Katastrophe gab es einige Demonstrationen gegen Atomkraftwerke. Nicht gerade üblich in Japan. Hat der 11. März die Gesellschaft verändert?
Noch nicht. Es war ein sehr gewaltiger Unfall, und viele sind nun besorgt. Wenn man Menschen nach ihren Sorgen fragt, dann ist Nuklearenergie bestimmt eine der drei drängendsten. Es gibt Japaner, die möchten, dass alle Reaktoren heute abgestellt werden. Und es gibt solche, die sagen: Lasst uns langsam aussteigen, über einen Zeitraum von 40 Jahren. Ich glaube, die Menschen hatten keinen wirklich guten Draht zur Politik, und nun müssen wir lernen, wie man Kompromisse macht und trotzdem etwas Neues erreicht. Wir befinden uns da noch in einem Transformationsprozess.

Gibt es eine offene Debatte zu Energiefragen?
Nicht wirklich. Im japanischen Parlament werden die Stimmen sehr strikt nach Parteilinie abgegeben. Wir müssen die Prozeduren im Parlament ändern, dann ändert sich auch das Verhalten der Politiker – und das der Wähler.

Suchen denn die Wähler seit der Katastrophe vermehrt Kontakt zur Politik?
Ja, ich erhalte auf jeden Fall mehr E-Mails, und leider kann ich nicht alle beantworten.

Was wollen die Menschen wissen?
Ich habe viele E-Mails bekommen, in denen stand: Was kann ich tun, um diese Situation zu ändern? Also habe ich geantwortet: Geht zu eurem Abgeordneten, redet mit ihm. Sie schreiben zurück: Darf ich ihn wirklich besuchen? Und ich sage: Natürlich. Wir leben nicht in Syrien, niemand wird Sie erschießen. Viele Menschen zögern aber und schreiben, dass sie eher demonstrieren würden als einen Wahlkreisabgeordneten persönlich zu treffen. Und ich wiederum sage ihnen: Vergesst die Demonstrationen! Sie müssen jetzt lernen, wie man die Dinge wirklich verändern kann.

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