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Verheugen

© dpa

Interview: ''Vor uns liegt ein ganz schwieriges Jahr''

EU-Industriekommissar Günther Verheugen sieht keine Erholung der europäischen Märkte am realwirtschaftlichen Horizont. Die EU bemüht sich, dass Vertrauen wieder herzustellen und setzt dabei auf die kleinen wie mittelständischen Unternehmen.

Herr Verheugen, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff hat die EU mitverantwortlich für die Krise der Automobilindustrie gemacht. Wulff wirft der EU falsche Entscheidungen im Autobereich vor und nennt als Beispiele das Auto- und Reifenlabelling der Europäischen Union oder Richtlinienentwürfe der Kommission für die öffentliche Beschaffung emissionsarmer Fahrzeuge. Hat der niedersächsische Regierungschef mit seiner Kritik recht?



Ich kann Herrn Wulff nur zustimmen, dass Überregulierung tödlich wäre für die Automobilindustrie. Nur die Beispiele, die er nennt, erstaunen mich schon. Alle der genannten Regelungen sind mit Ausnahme der Beschaffungsrichtlinie in völliger Übereinstimmung mit der europäischen Automobilindustrie beschlossen worden. Sie sind Bestandteil unseres strategischen Konzepts "Cars 21“, mit dem sichergestellt werden soll, dass Europa seine führende Stellung als Automobilhersteller im weltweiten Wettbewerb behaupten kann. Es besteht Einigkeit zwischen der Politik und den Herstellern in dem Ziel, dass Europa nicht nur die technisch besten und sichersten Autos anbietet, sondern auch die saubersten. Der Markt verlangt einfach jetzt verbrauchs- und schadstoffärmere Autos. Wichtig ist, jetzt auch das Kohlendioxid-Paket für Autos richtig hinzukriegen.

Würde eine staatliche Bürgschaft für Opel einen Wettbewerbsnachteil für andere Automobilhersteller bedeuten?

Man könnte auch umgekehrt argumentieren: Wenn Opel wegen der Krise in den USA mit in den Abgrund gerissen würde, dann wäre das eine Wettbewerbsverzerrung zu Ungunsten von Opel.

Ist unter den EU-Staaten ein Subventionswettlauf zur Stützung der jeweiligen Automobilindustrien zu befürchten?

Es geht nicht um eine Subventionspolitik oder einen Subventionswettlauf. Wir reden darüber, dass die Europäische Investitionsbank einspringen soll, weil Bankkredite im Moment sehr schwierig zu erhalten sind, damit die Hersteller die von der Politik gewünschten Investitionen in das schadstoffarme Auto der Zukunft auch finanzieren können. Diesen Kreditrahmen gibt es im Übrigen bereits – nicht nur für die Automobilindustrie. Von den Krediten, die etwas günstiger als unter den marktüblichen Konditionen angeboten werden, ist in den letzten Jahren stark Gebrauch gemacht worden, übrigens auch von fast allen deutschen Herstellern. Ich erwarte, dass die Europäische Investitionsbank dieses Volumen so ausweitet, dass der Bedarf befriedigt werden kann. Ich hoffe, dass wir für die Jahre zwischen 2009 und 2012 für die Automobilindustrie ein Volumen von mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung haben werden. Aber wie gesagt: Kredite.

Ein europäischer Schutzschirm für die Autoindustrie steht in der EU-Kommission nicht zur Debatte?

Ich kann mit dem Wort Schutzschirm nichts anfangen. Wir brauchen freie Märkte und keine Käseglocke. Für niemanden. Aber wir müssen uns sehr intensiv mit der besorgniserregenden Lage im Automobilsektor beschäftigen. Deshalb treffe ich mich am Montag auch mit Gewerkschaftsvertretern der europäischen Hersteller.

Welche Auswirkung wird die Finanz- und Wirtschaftskrise auf den Arbeitsmarkt in der Europäischen Union im kommenden Jahr haben?

Wir brauchen in Europa ein relativ starkes reales Wachstum, um die Beschäftigung aufrechtzuerhalten. Die jetzige Wachstumsprognose bedeutet, dass die Arbeitslosigkeit in Europa steigen wird. Vor uns liegt ein ganz schwieriges Jahr. Ich sehe nicht, dass wir zu einer schnellen Erholung kommen werden. Aber wir müssen alles tun, um den Konjunktureinbruch abzufedern.

Am 26. November will die EU-Kommission einen Aktionsplan zu konjunkturstützenden Maßnahmen vorstellen. Stehen die Umrisse dieses Pakets bereits fest?

Ein großer Teil betrifft die Wiederherstellung des Vertrauens in das Funktionieren der Finanzmärkte. Darum wird sich das Programm, das die EU-Kommission vorlegt, sehr stark mit der europäischen Finanzarchitektur befassen. In einem anderen großen Teil geht es um die Realwirtschaft. Hier werden wir im Grunde sagen, dass die bestehende EU-Strategie – die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der europäischen Wirtschaft – im weltweiten Wettbewerb das Richtige ist und dass wir sie entschlossen vorantreiben müssen. Ein Schwerpunkt wird dabei sein, dass wir energischer als bisher die kleineren und mittleren Unternehmen unterstützen müssen.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

Günter Verheugen ist seit 2004 Vizepräsident der EU-Kommission in Brüssel und dort für Industrie und Unternehmen zuständig. Zuvor war er Erweiterungskommissar.

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