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Irak

© dpa

Irak: Ansichtssache

Vor dem Irakbericht von Bushs General Petraeus wird Amerika mit vielen Widersprüchen konfrontiert. Im Kern herrscht aber die Meinung, dass das amerikanische Militär seine Aufgaben erfüllt, die irakische Regierung hingegen nicht.

Amerika kennt nur ein Thema: Wie weiter im Irak? Selbst der Präsidentschaftswahlkampf tritt vorübergehend in den Hintergrund. Am Montag werden General David Petraeus und der US-Botschafter in Bagdad, Ryan Crocker, einen Bericht über die politische und militärische Lage und die Ergebnisse der umstrittenen Truppenverstärkung um 30.000 Mann seit Januar vorlegen. Daraus sollen Präsident und Kongress die künftige Politik entwickeln. Doch Befürworter wie Gegner der Irakpolitik George W. Bushs versuchen die Ergebnisse vorwegzunehmen. Seit einer Woche werden die USA täglich mit neuen Sensationsmeldungen konfrontiert, die sich aber im Kern widersprechen. Diese Botschaften stürzen die Bürger in ein Wechselbad der Gefühle. Viele sehnen sich nach einer positiven Botschaft, auch wenn der Krieg unpopulär ist. Das US-Medienbild vom Irak ist in diesen Tag positiver als das europäische.

Am Montag war Bush zu einem Überraschungsbesuch in die Provinz Anbar gereist, um persönlich den Fortschritt zu demonstrieren. Vor zwei Jahren war es die blutigste Region Iraks, heute gilt sie als weitgehend befriedet. Die US-Armee hat sich mit sunnitischen Scheichs verbündet und ihre Clans bewaffnet, damit diese auswärtige Terroristen bekämpfen.

Irakische Polizei ist noch nicht einsatzbereit

Am Dienstag und Mittwoch monierte ein interner Prüfbericht des Kongresses dagegen, von Bushs 18 Zielen für die ersten neun Monate des Jahres seien nur drei erreicht worden. Die Misserfolge betreffen freilich nicht das US-Militär, sondern vor allem Iraks Regierung und Parlament. Die nationale Aussöhnung kommt nicht voran. Schiiten, Sunniten und Kurden arbeiten mehr gegeneinander als miteinander. Am Donnerstag betonten Abgeordnete beider Parteien das Positive: Demokraten und Republikaner, die Bagdad besucht hatten, sagten, es gebe jetzt 75 Prozent weniger Anschläge als im Dezember. Am Freitag machte ein weiterer Kongressbericht Negativschlagzeilen. 20 Ex-Militärs und Ex-Polizeichefs hatten im Irak die Einsatzbereitschaft von Iraks Armee und Polizei untersucht. „Erst in zwölf bis 18 Monaten“ könnten sie die Verantwortung übernehmen, meldeten die Medien. Doch das wertende Zusatzwort „erst“ steht nicht im Bericht. Die Gruppe hatte den Auftrag zu prüfen, ob Iraks Einheiten in zwölf bis 18 Monaten so weit sind. Die generelle Antwort ist Ja. Ihr Bericht warnt jedoch: Iraks nationale Polizei müsse reorganisiert werden. Sie sei korrupt und gefürchtet, weil sie mit religiösen Milizen kooperiere. Zweitens mache der Irak zwar Fortschritte beim Kampf gegen internen Widerstand, sei aber noch auf Jahre nicht fähig, die Grenzen ohne US-Hilfe gegen einen Angriff von außen zu schützen und Waffenschmuggel zu verhindern.

Die Sonnabendzeitungen vermeldeten wieder Positives, gestützt auf Zahlen, die General Petraeus angeblich am Montag verwenden will: Die Zahl der Opfer „sektiererischer Gewalt“, wie die Anschläge auf Angehörige anderer Religionsgruppen und die Kämpfe rivalisierender Milizen, auch innerhalb der Schiiten und Sunniten, genannt werden, sei landesweit um 30 Prozent und in Bagdad um 50 Prozent gesunken.

Die Zahlen sind sehr diffus

Ein nüchternes, möglichst exaktes Bild der Lage wird durch zwei Faktoren erschwert. Erstens picken sich Demokraten wie Republikaner Zahlen heraus, die ihre Botschaft unterstützen. Für die Demokraten hat Bushs Strategie wenig Fortschritt gebracht, für die Republikaner belegen die Berichte dagegen den Erfolg. In beiden Parteien gibt es Minderheiten, die das jeweils andere Lager unterstützen. Zweitens sind die Zahlen umstritten. Selbst in offiziellen Statistiken werden die Opfer „sektiererischer Gewalt“ für Dezember 2006, den schlimmsten Monat, mal mit 1200, mal mit 1600 angegeben. Demzufolge ist der Rückgang seither entweder beeindruckend oder auch nicht. Die Differenzen sind nicht plumpe Lüge, sondern zeigen die Probleme der Zählweise. Ein Toter mit Schusswunde im Hinterkopf gilt als Opfer sektiererischer Gewalt, einer mit Schusswunde vorn als Gefallener in regulären Kämpfen. Viele Fälle sind nicht eindeutig zuzuordnen.

In der Tendenz stimmen alle Berichte überein. Die Fortschritte liegen auf militärischem Gebiet, die Enttäuschungen betreffen das Feld der irakischen Politik. Die Gewalt ist nach Bushs Truppenverstärkung zurückgegangen, die Ausbildung irakischer Soldaten und Polizisten kommt voran. Iraks Politiker aber werden ihrer Verantwortung nicht gerecht.

Die US-Bürger fragen: Wann beginnt der Abzug unserer Soldaten? Bush will ankündigen, dass 4000 im kommenden Frühjahr heimkehren – wenn es die Lage erlaubt. 4000 von 30 000 Mann Aufstockung. Die Demokraten strebten einen Terminplan an, wann die Zahl unter 100 000 sinkt. Den wird es nicht geben. Jetzt sind 162 000 GIs im Irak. Vor Bushs Truppenverstärkung waren es 132 000. Es ist unklar, ob auch nur dieser Stand vor der Präsidentenwahl 2008 erreicht wird.

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