zum Hauptinhalt
Bagdad Neujahr

© AFP

Irak: Bagdad feiert erstmals wieder Silvester

Das hat es seit mindestens drei Jahren nicht mehr gegeben: Auf der Palestina-Straße in Bagdad, noch vor einem Jahr ein Boulevard des Todes, fielen sich die Iraker in die Arme. Doch nicht überall geht es so friedlich zu.

Silvester 2007 war definitiv anders - zumindest in Bagdad und zumindest für diese Wagemutigen. Jugendliche in Jeans tanzten auf der Straße, warfen Konfetti in die Luft und zündete Feuerwerkskörper. Der seit einem halben Jahr sinkende Gewaltpegel hatte sie dazu ermutigt, dem Terror der Fanatiker aller Fraktionen kühn zu trotzen. Die meisten Iraker verbrachten allerdings auch diese Jahreswende in den eigenen vier Wänden. Aber auch sie spürten eine gewisse Entspannung, auch sie wagten ein bisschen mehr als sonst. "Es war wunderbar", erzählt die pensionierte Lehrerin Samia Mohammed Ali (65). "Wir haben die ganze Nacht gefeiert. Meine Tochter, die ich seit über einem Jahr nicht mehr gesehen habe, ist mit Mann und Kindern gekommen."

So schlimm war die Sicherheitslage in Bagdad noch bis vor kurzem, dass Eltern und Kinder, Geschwister und Freunde einander nicht mehr besuchten. Ständige Anschläge, geldgierige Entführerbanden und religiöse Todesschwadronen ließen jeden Schritt vor die Tür zu einem lebensbedrohenden Risiko werden. Die Gewalt ist zwar immer noch gegenwärtig - in Tarmija, an der Einfahrt nach Bagdad, riss ein Selbstmordattentäter noch am letzten Tag des alten Jahres mit seinem explodierenden Lastwagen zehn Menschen mit in den Tod. Doch die Intensität der Gewalt hat spürbar abgenommen. So starben nach den Angaben des Brookings-Instituts in den USA im Mai des Vorjahres noch 2200 irakische Zivilisten eines gewaltsamen Todes. Im November waren es demnach "nur" noch 650. Zugeschrieben wird diese Tendenz unter anderem der im vergangenen Februar eingeleiteten Verstärkung der amerikanischen Truppen um 28.000 Mann.

Irakischer Widerstand gegen Al Qaida

Eine beträchtliche Wirkung erzielte außerdem der "Seitenwechsel" etlicher sunnitischen Stammesverbände im West- und Zentralirak. Diese Gegner der amerikanischen Besatzung nahmen den Kampf gegen die brutalen, fundamentalistischen Zellen der Terrororganisation Al Qaida im Irak auf - und ließen sich dabei vom US-Militär mit Geld und Waffen unter die Arme greifen. Zum Teil geht aber das Absinken der Gewalt auch auf eine bedenkliche Entwicklung zurück: Viele Viertel in Bagdad und anderen einst gemischten Gebieten sind inzwischen konfessionell und ethnisch dermaßen "gesäubert", dass sich weitere Gewaltanwendung erübrigt hat.

Beobachter warnen deshalb auch davor, in dem derzeitigen Gewaltrückgang das Zeichen für eine echte Stabilisierung zu erblicken. Den militärischen Teilerfolgen folgten bislang keine politischen Fortschritte im konfliktträchtigen Verhältnis zwischen den Völkerschaften und Konfessionsgruppen des Iraks. Die neuen amerikanischen Freunde unter den Sunniten könnten sich gar in eine weitere Bürgerkriegspartei verwandeln, fürchten einige Beobachter. "Das politische Umfeld im Irak und seine Wirtschaft stehen nur geringfügig besser da als vor einem Jahr", schrieben die Brookings-Forscher Jason Campbell und Michael O'Hanlon jüngst in Studie. "Hohe Ölpreise mögen letzterer geholfen haben, aber Gewalt und grassierende Korruption bleiben ein riesiges Problem."

Kadhem al-Atabi, Gregor Mayer[dpa]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false