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Ein US-amerikanischer Soldat vor einer Schule in Kirkuk.

© Ali al Saadi

Irak: Obama zieht seinen Schlussstrich

Die US-Kampftruppen feiern ihren Abzug aus dem Irak - sie lassen zurück ein Land am Rande des Chaos. Der noch amtierende Ministerpräsident al-Maliki warnt vor einer neuen Anschlagswelle in Bagdad.

Der Chef im Weißen Haus bleibt unbeirrt. Nach siebeneinhalb Jahren zieht Barack Obama am 31. August den Schlussstrich von Bagdad. "Das Ergebnis ist - der Krieg geht zu Ende", bekräftigte der US-Präsident am Samstag noch einmal in seiner wöchentlichen Radioansprache und erklärte den Irak zur "souveränen, unabhängigen Nation, die ihren eigenen Kurs frei abstecken kann". Und er wendet sich künftig anderen weltpolitischen Problemen zu - wie Afghanistan oder den Nahost-Friedensgesprächen. Am Dienstag wird auf der großen US-Militärbasis nahe dem Flughafen von Bagdad noch einmal feierlich paradiert. Die "Operation Freiheit für den Irak" wechselt zur "Operation neue Morgenröte", deren 50.000 Berater und Ausbilder noch bis Ende 2011 vor Ort bleiben sollen. Am Abend wird der US-Präsident dann vom Oval Office aus dem Volk seine politische und militärische Bilanz des Irakfeldzugs vorlegen. Ein "Mission erfüllt" wird dem erklärten Kriegsgegner nicht über die Lippen kommen, wohl aber die Formulierung von einem "verantwortbaren Ende" des amerikanischen Irak-Einsatzes. Und dass, obwohl seine Kampftruppen ein Land zurücklassen, in dem praktisch nichts mehr richtig funktioniert, was regelmäßig von Terrortaten erschüttert wird - und das obendrein wenig Aussicht hat auf eine neue stabile Regierung.

So warnte der noch amtierende Ministerpräsident Nuri al-Maliki auch diese Woche wieder vor einer neuen Anschlagswelle in Bagdad. Al Qaida wolle zusammen mit ehemaligen Mitgliedern von Saddams Baath-Partei "Furcht und Chaos erzeugen", ließ der Premier erklären. Den Terrorgruppen gehe es darum, "Zweifel an der Kompetenz der irakischen Sicherheitskräfte zu sähen und die politische Instabilität auszunutzen", sekundierte ihm der Sprecher der Armee, Generalmajor Qassim al-Moussawi. Sein Chef, General Babaker Zebari, fordert bereits seit Wochen, die US-Armee müsse zur Sicherheit mindestens noch bis 2020 im Land bleiben, eine Einschätzung, die das Weiße Haus kühl zurückwies. Der Präsident sei zuversichtlich, "dass die irakischen Sicherheitskräfte fähig sind, den Schutz des Landes zu übernehmen", erklärte ein Sprecher.

Die Terroranschläge der letzten Zeit allerdings zielen inzwischen systematisch auf die Moral der Militär- und Sicherheitseinheiten sowie der Justiz. Ein halbes Dutzend Mordanschläge im August galten Richtern, zwei starben, sieben wurden verletzt. Letzte Woche kam es in 13 Städten zu landesweit koordinierten Angriffen auf Polizisten und Soldaten. 56 wurden getötet und hunderte verletzt - durch Autobomben, Feuerüberfälle auf Privathäuser oder Sprengsätze am Straßenrand. Das schlimmste Massaker traf die zentralirakische Stadt Kut, wo sich ein von Al Qaida angeworbener Sudanese mit seinem Auto vor der Hauptwache in die Luft sprengte und 19 Beamte mit in den Tod riss. In Bagdad beschimpften aufgebrachte Anwohner die Sicherheitskräfte als inkompetent und korrupt. Zweimal gingen in der verwüsteten Straße sogar Polizisten aufeinander los und konnten erst von ihren Offizieren durch Warnschüsse in die Luft getrennt werden. "Wir können so nicht weiterleben", schimpfte verzweifelt ein junger Mann: "Kein Wasser, kein Strom, keine Sicherheit - und jeden Tag wird es schlimmer".

Denn Al Qaida hat in jüngster Zeit wieder Zulauf - nicht nur wegen der wachsenden Frustration der sunnitischen Bevölkerung, auch wegen der politischen Fehler der schiitisch dominierten Regierung Maliki. Sie weigerte sich 2009, die rund 100.000 von der US-Armee angeworbenen sunnitischen Bürgerwehren weiter zu besolden oder ihnen Jobs in den Sicherheitsdiensten anzubieten. Nachdem die amerikanischen Gehaltszahlungen von monatlich 250 bis 300 Dollar ausgelaufen waren, übernahm Bagdad gerade einmal zwanzig Prozent der Sahwa-Kämpfer auf ihre Lohnlisten. Der Rest des Fußvolkes ging leer aus, so dass hunderte von ihnen wieder die Fronten wechselten, sich erneut von dem Terrornetzwerk anwerben ließen und ihre bisherigen Sahwa-Chefs ermordeten.

Kein Wunder, dass das US-Oberkommando eine Rückkehr von Kampftruppen nicht kategorisch ausschließen möchte. So versicherte General Ray Odierno gegenüber CNN, die abgezogenen Truppen könnten in den Irak zurückverlegt werden, wenn es zu einem "kompletten Zusammenbruch" der inneren Sicherheit komme. Ein solches Szenario allerdings nannte er "unwahrscheinlich". Die irakischen Sicherheitskräfte seien "viel fähiger als vor drei Jahren", Fortschritte fehlten vor allem auf dem Feld der Politik, erklärte der US-Oberbefehlshaber. "Die Menschen sind sehr frustriert. Gefährlich wird es, wenn die Politiker das vergessen." Auch Obamas Verteidigungsminister Robert Gates will sich noch eine Hintertür offen halten: "Wenn sich eine neue Regierung im Irak gebildet hat und die dann mit uns über die Zeit nach 2011 sprechen möchte - wir sind für diese Diskussion offen", sagte er.

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