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Shiitische Milizionäre kämpfen in der Nähe von Baji im Nordirak gegen den IS.

© dpa

Irak: Warum Russland bald militärisch eingreifen könnte

Nach dem militärischen Eingreifen in Syrien könnte Russland bald auch Kampfjets in den Irak schicken. Tatsächlich könnte eine Intervention der Russen dort den Kampf gegen den "Islamischen Staat" voranbringen.

Die USA wollen eine russische Intervention im Irak unbedingt verhindern, aber womöglich ist sie nur eine Frage der Zeit: Nach dem umstrittenen Eingreifen in Syrien könnte Russland schon bald Kampfjets in das Nachbarland schicken. US-Generalstabschef Joseph Dunford holte sich vom irakischen Ministerpräsidenten Haider al-Abadi zwar erst vor ein paar Tagen die Zusicherung ab, dass der Irak die Russen nicht einladen werde. Doch Abadi steht innenpolitisch unter Druck, härter gegen die Extremistenmiliz Islamischer Staat (IS) vorzugehen. Bereits Anfang Oktober zeigte er sich für russische Luftangriffe grundsätzlich offen. Tatsächlich könnte eine Intervention der Russen im Irak - anders als in Syrien - den Kampf voranbringen.

Knackpunkt ist nicht die Zahl der Kampfjets, sondern die komplexe Gemengelage am Boden: Die irakische Armee ist schwach, die mit Abstand schlagkräftigsten Kampfverbände im Land sind die vom Iran unterstützten Schiitenmilizen im Süden sowie die kurdischen Peschmerga im Norden. Ausgerechnet die Schiitenmilizen aber lehnen eine Zusammenarbeit mit den USA bisher ab. Der Vorteil, amerikanische Luftangriffe mit Bodenoffensiven der Schiitenmilizen abzustimmen, wird damit vergeben. Eine Kooperation der schiitischen Einheiten mit den Russen wäre eher denkbar.

Zudem würden die USA und Russland im Irak einen gemeinsamen Feind bekämpfen, während sie in Syrien unterschiedliche Ziele verfolgen: Die USA unterstützen dort die gemäßigten Rebellen und fordern den Abgang von Präsident Baschar al-Assad, während Russland weiter hinter ihm steht und vor allem eben jene Rebellen bombardiert, die dem Staatschef und seiner Machtbasis im Westen des Landes gefährlich werden können.

Mit Russland würden vier der fünf Veto-Mächte des Sicherheitsrates den IS im Irak bombadieren

Für eine Intervention Russlands im Irak spräche auch, dass die Russen aus Sowjetzeiten einen guten Draht zu den sozialistischen Baathisten haben, also den Anhängern der Partei des früheren Staatschefs Saddam Hussein, von denen viele zum IS gewechselt sind. Auch würden im Falle eines russischen Eingreifens mit den USA, Großbritannien, Frankreich und Russland vier der fünf Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat den IS im Irak bombardieren - und müssten sich dabei abstimmen. Dies könnte eine weitergehende Einigung über das Vorgehen in Syrien erleichtern. Oberstleutnant Hassan Ali jedenfalls würde russische Luftangriffe befürworten. "Militärisch würde es etwas bringen, es würde den IS in die Enge treiben", sagt der Peschmerga-Offizier in der Kurdenhauptstadt Erbil. Er lebte einige Zeit in Köln, spricht fließend Deutsch und kehrte vor zwei Tagen von der Front zurück. "Ich persönlich würde es begrüßen: Es müssen sich alle Kräfte vereinen, um zuallererst diese größte Gefahr zu beseitigen. Wir haben im IS einen gemeinsamen Feind, er bedroht jeden von uns."

Das russische Bombardement in Syrien hat die USA offenbar wachgerüttelt

Dass eine russische Intervention weitergehende Fragen aufwerfen würde, ist dem Peschmerga-Offizier klar. "Es geht hier nicht nur um die Befreiung von ein paar Städten", gibt er zu bedenken. "Dies ist der Nahe Osten. Es geht um strategische Interessen." Das russische Bombardement in Syrien habe die USA offenbar wachgerüttelt, was die Befreiung von Gefangenen aus einem IS-Gefängnis im Nordirak zeige. "Die USA wollen den Russen nicht die Führungsrolle im Irak überlassen." Für Abadi, der in einem Geflecht von Abhängigkeiten gefangen ist, stellt sich die Lage alles andere als einfach dar. Einerseits muss der Schiit die Aussöhnung mit den Sunniten vorantreiben, die unter seinem Vorgänger Nuri al-Maliki gelitten hatten. Nur so wird er einen Zerfall seines Landes in einen Sunniten-, Kurden- und Schiitenstaat verhindern können. Andererseits ist die Armee allein zu schwach, um militärisch das Blatt wenden zu können. Unter dem Ansturm des IS auf Mossul vor rund einem Jahr brachen die regulären Streitkräfte praktisch zusammen. Mit ihren Depots erbeutete der IS, der heute ein Drittel des Landes kontrolliert, moderne US-Waffen, was den Kampf gegen die Extremisten erschwert. Die Armee hat sich von der Niederlage nicht erholt. Experten schätzen ihre Stärke auf nur etwa 50.000 Soldaten, von denen 60 bis 65 Prozent einsatzbereit seien. Junge Männer schließen sich eher paramilitärischen Gruppen an, die als tapferer und weniger korrupt gelten.

In dieser Lage ist Abadi von den Schiitenmilizen abhängig, die die meisten Fronten halten und immer mehr Macht gewinnen. Eine Division des Heeres steht nach Angaben aus Militärkreisen inzwischen unter ihrem Kommando, auch das Innenministerium ist danach teilweise unter ihrer Kontrolle, was der Irak jedoch zurückweist. In Regierungskreisen heißt es aber zugleich, die Milizen agierten unabhängig von Abadi. Aus ihren Reihen stammen auch die Forderungen, Abadi möge russische Luftangriffe anfordern.

Der Ministerpräsident sitzt damit in der Klemme, denn er kann es sich auch mit den USA nicht verderben. Immerhin waren es deren Luftangriffe, die im vergangenen Jahr entscheidend dazu beitrugen, den Vormarsch des IS zu stoppen. Lädt Abadi nun die Russen ein, setzt er die Militärhilfe des Verbündeten aufs Spiel. Nach Einschätzung von Experten wird er das wohl nicht riskieren. Damit stellt sich die Frage, ob und wie Abadi ein Arrangement mit den USA und den Russen finden könnte.

Offen ist allerdings auch, ob sich die Russen im Irak nicht übernehmen würden. Das Land steckt in einer Wirtschaftskrise und leidet unter dem Einbruch des Ölpreises sowie den Sanktionen des Westens. Andererseits würde Russland den USA im Kampf um die Macht im Nahen Osten mit einer Intervention im Irak Boden gutmachen. Den USA wiederum dürfte es nicht recht sein, nach dem verlustreichen Krieg im Irak nicht nur dem Aufstieg des Irans dank seiner Schiitenmilizen dort zuzuschauen, sondern auch noch eine dominante Rolle Russlands in dem Staat hinnehmen zu müssen. (rtr)

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