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Irak

© ddp/Archiv

Irak: "Wir sollten möglichst schnell abhauen"

Die Sicherheitslage im Irak verschlechtert sich dramatisch. Immer mehr Amerikaner wollen den Totalabzug - auch ein hochrangiger US-Miitär.

Kurz nach Sonnenuntergang ließen die Attentäter die Lastwagen hochgehen. Zwei Megabomben legten 35 Häuser in Schutt und Asche – das ganze Dorf Khaznah östlich von Mossul wurde dem Erdboden gleichgemacht. 28 Bewohner verloren ihr Leben, mehr als 250 ihre Gesundheit. Nachdem es in der ersten Hälfte des Jahres relativ ruhig war, steigt die Zahl schwerer Terroranschläge wieder spürbar an. An den Werktagen trifft es Bauern, Gelegenheitsarbeiter oder Polizeirekruten, an den Feiertagen vor allem schiitische Beter in ihren Moscheen. Vor einer Woche Freitag starben 30 Gläubige in Mossul. Die Woche davor riss ein sechsfaches Serienattentat in Bagdad zwei Dutzend Menschen in den Tod. Und auch für heute fürchten fromme Schiiten, dass die Terroristen wieder zuschlagen werden – irgendwo im Land.

Der Irak durchlebt ein Wechselbad der politischen Gefühle. Anfang Juli feierte die Bevölkerung den Abzug der amerikanischen Truppen aus ihren Städten. Vor zwei Wochen verließ der letzte britische Soldat irakischen Boden. Nach sechs Jahren fühlen sich die Iraker endlich wieder als Herr im eigenen Haus. Gleichzeitig aber wachsen die Zweifel, ob die Zentralregierung in Bagdad wirklich die Sicherheit ihrer Bürger garantieren kann.

„Wir sollten unseren Sieg erklären und möglichst schnell abhauen“, schrieb kürzlich ein hoher US-Militär in einem vertraulichen Memorandum. Vor allem den irakischen Ordnungskräften stellt er ein schlechtes Zeugnis aus. Zwar verfügen Polizei und Militär mit rund 750 000 Mann über eine beachtliche Truppenstärke. Schlagkraft und Einsatzwille jedoch lassen sehr zu wünschen übrig. Viele Offiziere seien korrupt, Mannschaften würden schlecht behandelt und hätten keine Lust, ihre Haut zu riskieren. Faulheit sei verbreitet wie eine Seuche. Und die Militärführung könnte in den Einheiten „weder Disziplin noch die einfachsten militärischen Standards“ durchsetzen, heißt es in dem Gutachten. Als dieser Tage eine irakisch geführte Patrouille ein drei Kilometer langes, ausgetrocknetes Kanalbett nach versteckten Waffen absuchen sollte, wurde mehr gejammert, als gesucht, wie ein amerikanischer Reporter beobachtete. Erst war den irakischen Uniformierten das Schilf zu dick, dann forderten sie eine Mittagspause. Schließlich wollten sie die Suche nach der Hälfte der Strecke abbrechen und waren nur mit Mühe durch ihre amerikanischen Begleiter zu bewegen, ihre Arbeit zu Ende zu bringen.

Der amerikanische Präsident Barack Obama jedoch will das Thema Irak vom Tisch haben, weil sich Afghanistan immer mehr in den Vordergrund schiebt. Am Hindukusch sind in diesem Jahr bereits mehr amerikanische Soldaten gefallen als im Zweistromland. Im nächsten Jahr sollen die Militärausgaben des Pentagon für Kabul erstmals höher liegen als für Bagdad. In Afghanistan die Taliban niederkämpfen und in Pakistan die innere Lage stabilisieren, darin sieht Washington künftige Prioritäten seiner Politik in der Region – obwohl klar ist, dass der Irak noch längst nicht aus dem Gröbsten raus ist. Denn vor allem bei den politischen Ursachen der Gewalt gibt es keine Fortschritte. Die Spannungen zwischen Arabern und Kurden sowie zwischen Sunniten und Schiiten nehmen zu. Im kurdischen Norden wächst der Appetit nach Unabhängigkeit, seit die ersten fetten Einnahmen aus den eigenen Ölverträgen fließen. Die Sunniten fordern einen fairen Anteil am nationalen Geldsegen, auch wenn die wichtigsten Ölfelder auf schiitischem Boden liegen. Doch ein nationales Ölgesetz, welches eine gerechte Verteilung auf Bevölkerungsgruppen und Regionen regeln soll, liegt seit Jahren im Bagdader Parlament auf Eis.

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