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Iran: "Neda ist unser Ruf nach Freiheit"

Die Demonstrantin stirbt durch die Kugel eines Scharfschützen, und die Bilder dazu gehen um die Welt: Das Schicksal einer jungen Frau namens Neda ist zum Sinnbild geworden einer Rebellion des Volkes gegen sein Regime.

Die junge Frau in Jeans sinkt rückwärts auf den Asphalt, die dunkle Blutlache unter ihrem Körper wird größer und größer. Männer schreien, knien neben der Frau, einer drückt auf ihren Brustkorb. Für einen Moment zeigt das zuckelnde Video ihr Gesicht. In den Augen stehen Schock und Panik, dann rollen ihre Augäpfel zur Seite. Blut quillt aus Mund und Nase. "Hab keine Angst, Neda! Bleib bei mir, Neda, bleib bei mir!" hört man ihren weißhaarigen Vater schreien. Ein anderer ruft, "Such jemanden, der sie im Auto mitnimmt!" - dann reißt der Film ab.

"In weniger als zwei Minuten war sie tot", schrieb der Arzt, der sie mit Herzmassagen wiederzubeleben versuchte, noch am selben Abend in einer Mail an eine Familie in den Niederlanden. "Der Film wurde von meinem Freund aufgenommen, der neben mir stand", setzte er hinzu: "Bitte, lasst es die Welt wissen." Von den Niederlanden aus verbreiteten sich die schockierenden Bilder über Facebook, Youtube und Twitter über den ganzen Globus. Bald war die 37 Sekunden lange Sequenz von dem Tod der jungen Frau in den Armen ihres Vaters auch auf den Facebook-Seiten von Mir Hossein Mussawi und Mehdi Karroubi zu sehen. Kurz danach tauchte ein weiteres 15 Sekunden langes verwackeltes Handy-Video auf. Es zeigt am Ende das Gesicht der Toten, überzogen mit einem Netz aus Blut.

Seit Samstag hat die Brutalität des iranischen Regimes ein Gesicht und das Leiden des Volkes einen Namen. Neda Soltani, Studentin der Philosophie, getötet am Samstag kurz nach 19 Uhr durch die Kugel eines Scharfschützen der Basij-Milizen auf dem Karekar-Boulevard, an der Ecke zwischen Khosravi-Straße und Salehi-Straße. Neda heißt "Stimme" auf persisch. "Ich bin Neda", rufen jetzt die Demonstranten. Ihr Schicksal ist zum Sinnbild geworden einer Rebellion des Volkes gegen sein Regime und könnte Geschichte schreiben - wie vor 30 Jahren die Bilder von erschossenen Demonstranten beim Aufstand gegen den Schah. Damals starben bei ersten Zusammenstößen im Januar 1978 zwei Menschen. Die nach schiitischer Sitte üblichen Totengedenkfeiern 40 Tage später entzündeten neue Unruhen, neue Tote und weitere Totenfeiern, die sich zu immer größeren Manifestationen gegen den Schah ausweiteten. Am Ende standen die Islamische Revolution und die Flucht des verhassten Reza Pahlevi ins Ausland.

"Neda, die Welt weint, als sie Deine letzten Atemzüge sah", heißt es seit dem Wochenende in tausenden von Botschaften auf Twitter. "Sie haben Neda getötet, aber nicht ihre Stimme", schreiben andere. "Neda ist unser aller Schwester, unser aller Tochter, unsere aller Ruf nach Freiheit", heißt es in einem Tweet aus Teheran. Inzwischen änderten Tausende Benutzer ihre Profil-Bilder im Gedenken an die junge Frau. "Ich bin Neda" oder "Für immer Neda" steht nun dort, wo bisher ihre eigenen Fotos zu sehen waren. Andere Icons zeigen unter dem Namen Neda ein gebrochenes Herz in der Protestfarbe Grün. Demonstranten in New York und Los Angeles trugen am Sonntag bereits Poster mit dem blutüberströmten Gesicht des Mädchens durch die Straßen. Eine neue Facebook-Gruppe betrauert sie als den "Engel des Iran". Inzwischen ist die getötete Studentin bereits auf dem Friedhof Behesht Zahra in Teheran beerdigt worden. Eine geplante Trauerfeier am Sonntagnachmittag in der Niloofar Moschee im Stadtteil Abbas Abad wurde von den Behörden verboten - aus Angst vor den nächsten Unruhen.

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