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Politik: Irland: Irischer Trotz bringt EU-Vertrag in Gefahr

Es war ein unerwartet lauter Donnerschlag, der gestern abend aus Dublin nach Brüssel hinüberschallte: Die irischen Wähler lehnen den Vertrag von Nizza, der die Osterweiterung der Europäischen Union und die dafür notwendigen institutionellen Reformen regelt, ab. Die Signale für ein knappes Ergebnis waren schon seit einiger Zeit hörbar, aber sowohl die irische Regierung wie auch die Brüsseler Behörden schienen taub für das Risiko einer Abfuhr.

Es war ein unerwartet lauter Donnerschlag, der gestern abend aus Dublin nach Brüssel hinüberschallte: Die irischen Wähler lehnen den Vertrag von Nizza, der die Osterweiterung der Europäischen Union und die dafür notwendigen institutionellen Reformen regelt, ab. Die Signale für ein knappes Ergebnis waren schon seit einiger Zeit hörbar, aber sowohl die irische Regierung wie auch die Brüsseler Behörden schienen taub für das Risiko einer Abfuhr. Gestern abend reagierte die Regierung verblüfft und wohl auch etwas beleidigt auf die Erkenntnis, dass die Bürger sich ihren Ermahnungen widersetzt hatten.

Zu den - auch für andere EU-Länder relevanten - Motiven der irischen Gegner trat ein spezifisch einheimischer Ärger: Jahrelang hatten irische Regierungen beteuert, die Neutralität des Landes sei in keiner Weise durch die EU-Verträge bedroht. Jetzt üben irische Soldaten für ihre Teilnahme an der schnellen Eingreiftruppe, und die Abgrenzung der europäischen Militärstäbe von der Nato ist umstritten. Das atlantische Bündnis aber stößt in Irland auf wenig Gegenliebe. Nizza enthielt wenig Neues über die militärischen Elemente, aber zahlreiche irische Bürger erkannten erst in den vergangenen Wochen, dass sie im EU-Referendum von 1998 unbewusst ihre Neutralität begraben hatten. Ein Nein zu Nizza enthielt bei diesen Wählern ein gerütteltes Maß Trotz.

Für die irische Regierung, die ihre Kampagne mit wenig überzeugenden Mitteln geführt hat, stellt die Ablehnung eine Riesenblamage dar. Die großen Parteien (die irische Regierung selbst darf keine Referendumspropaganda machen) hatten ihre Bürger letztlich zu erpressen versucht: Eine Ablehnung wäre ein Zeichen der Undankbarkeit und der kleinlichen Nabelschau, ein Zeichen mangelnder Solidarität mit den weniger begüterten Miteuropäern im Osten. Der Appell an die traditionelle Sorge der Iren um ihren Ruf verkannte indessen, dass das wohlhabende Irland selbstbewusster geworden ist, und nicht mehr so demütig um Anerkennung bettelt wie einst.

Die Regierung selbst hatte die Skepsis geschürt: Minister drückten eine Vorliebe für "Boston statt Berlin" aus, womit sie die Reize eines deregulierten, schlanken Staates meinten. Und der Finanzminister reagierte unnötig brüsk auf die Rüge der EU, sein Haushalt schüre die Inflation. Doch Irland ist nicht über Nacht zur EU-Gegnerin geworden; vielleicht sind manche Neinsager gestern sogar über den Erfolg ihrer Stimmabgabe erschrocken. Der Wunsch nach demokratisch einwandfreier Mitbestimmung allerdings wird auch künftig unerbittlich bleiben.

Martin Alioth

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