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Island: Annäherung aus nackter Not

Der Euro soll Island retten - doch das Parlament verschiebt Entscheidung über EU-Beitritt erneut. Als Hintergrund für das isländische Streben nach Aufnahme in die EU gilt die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise auf der Atlantikinsel.

Islands Parlament hat seine Marathon-Debatte über den EU-Beitritt auch am Mittwoch nicht wie geplant mit einer Abstimmung abgeschlossen. Die für den späten Nachmittag (Ortszeit) vorgesehene Entscheidung könne erst am Donnerstagmittag durchgeführt werden, verlautete aus dem Parlament in Reykjavik. Das Parlamentsvotum wurde damit zum fünften Mal seit Beginn der Debatte vor knapp einer Woche verschoben.

Offen blieb dabei auch weiter, ob Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurdardóttir eine Mehrheit für ein sofortiges Beitrittsgesuch hinter sich bringen kann. Mehrere Abgeordnete aus dem Regierungslager wollen für einen Gegenvorschlag der Opposition stimmen, der eine gesonderte Volksabstimmung über die Frage vorsieht, ob die Mitgliedschaft beantragt werden soll.

Als Hintergrund für das isländische Streben nach Aufnahme in die EU gilt die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise auf der Atlantikinsel. Vor allem auf den Euro setzt das wirtschaftlich völlig am Boden liegende Land große Hoffnungen. Die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Johanna Sigurdardóttir appellierte an die Volksvertreter, dass das Land, dessen Währung nach dem Zusammenbruch und der Zwangsverstaatlichung der drei größten Banken im Herbst, völlig am Boden liegt, nur noch durch einen Anschluss an die Europäische Union und vor allem den Euro zu retten sei.

Tatsächlich gilt der Verfall der isländischen Krone, der kleinsten selbstständigen Währung weltweit, als größtes Problem für die rund 320 000 Einwohner zählende Nordatlantikinsel. Weil Brüssel den Isländern nur den Euro zusammen mit einer Mitgliedschaft geben möchte, und die Norweger eine Einführung ihrer Krone in Island ablehnten, sind viele an sich EU-kritische Isländer nun bereit, der Union beizutreten. Bisher hatte die Mehrheit der Isländer aus Angst vor einer Gefährdung der Fischereirechte und der Agrarsubventionen, aber auch vor einer generellen Bevormundung durch Brüssel einen EU-Beitritt abgelehnt.

Der völlige Staatsbankrott Islands konnte im Herbst jedoch nur durch Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds ( IWF) und europäischer Länder abgewendet werden. Sigurdardóttir hat vor, das Beitrittsgesuch beim nächsten Außenministerrat der Union am 27. Juli in Brüssel durch Außenminister Össur Skarphedinsson überreichen lassen. Wenn das Parlament zustimmt und die Verhandlungen beendet sind, muss allerdings eine Volksabstimmung durchgeführt werden.

„Frühestens Anfang 2011 kann Island EU-Mitglied werden, wobei der Ausgang eines Referendums sehr unsicher bleiben wird. Die Isländer sind launisch“, sagt der isländische Europaexperte Audunn Arnorsson. Weil mehrere Abgeordnete von Sigurdardóttirs linksgrünem Koalitionspartner gegen die EU-Aufnahme stimmen wollen und proeuropäische Teile der Opposition ihre Zustimmung davon abhängig machten, dass Entschädigungen für britische und holländische Kunden isländischer Banken neu verhandelt werden, wackelt die Mehrheit.

Bei der von jahrelanger Vollbeschäftigung verwöhnten isländischen Bevölkerung wird der Unmut immer größer. Der Kleinunternehmer Björn Mikkaelsson setzte sich am Wochenende in einen Baubagger und riss einfach sein aus Kanada importiertes, völlig überschuldetes Einfamilienhaus südlich von Reykjavik ab. Dann setzte er sich in seinen ebenso kreditfinanzierten BMW und fuhr in die Trümmer seines Hauses. „Die Banken haben mich völlig unfair behandelt“, sagt er. Die Kosten der verbreiteten Fremdwährungskredite für Häuser und Autos sind durch den Währungsverfall astronomisch in die Höhe geschossen. Außerdem wurden Steuern wurden erhöht und auch die Lebenshaltungskosten sind stark gestiegen, weil ein Großteil der Waren importiert wird.

Zudem erlaubten die Gewerkschaften den in Not geratenen Arbeitgebern auch noch deutliche Lohnkürzungen. Innerhalb weniger Monate stieg zudem die Arbeitslosenrate von rund einem auf fast neun Prozent. Den kürzlich noch boomenden Bausektor traf es zuerst, nun erstreckt sie sich auf alle Bereiche. Viele qualifizierte Arbeitskräfte werden das Land wohl verlassen müssen. Das bestätigt Frank Friedriksson vom Arbeitsamt. „Es gibt eine größere Auswanderungswelle, vor allem nach Norwegen“, sagt er. mit dpa

André Anwar[Reykjavik]

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