zum Hauptinhalt
Der wegen Totschlags verurteilte israelische Soldat Elor Asaria (Mitte) mit seinen Eltern

© dpa

Update

Israel: Ministerpräsident Netanjahu will Begnadigung des verurteilten Soldaten

Ein Militärgericht spricht einen israelischen Soldaten schuldig, weil er einen verletzen palästinensischen Attentäter mit einem Kopfschuss getötet hat. Das Urteil spaltet Israel.

Elor Asaria habe gewusst, was er tut. Er habe gewusst, dass die Kugel aus seinem Gewehr den am Boden liegenden Terroristen töten wird. Elor Asaria habe trotzdem geschossen – Anzeichen dafür, dass er sich vom Attentäter bedroht gefühlt habe, gäbe es nicht. So verurteilten die drei Richter am Militärgericht in Tel Aviv den Angeklagten Soldaten Elor Asaria am Mittwoch wegen Totschlags.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief nach dem Urteil Asarias Vater an und bekundete seine Sympathie. Später sprach er von einem Verstoß gegen die "Werte" der israelischen Armee. Nach dem Schuldspruch schrieb Netanjahu seiner Facebook-Seite: "Ich unterstütze eine Begnadigung von Elor Asaria." Der Fall hatte eine tiefe Kluft in die eh schon gespaltene israelische Gesellschaft geschlagen.

So versammelten sich am Mittwoch vor dem Gericht hunderte wütende Unterstützer Asarias, viele davon Anhänger ultrarechter Gruppierungen, um mit Israelflaggen und Bannern gegen den Prozess und das Urteil zu protestieren. Es kam zu Zusammenstößen mit Journalisten, Polizisten und Teilnehmer eines Gegenprotests.

Der damals 18 Jahre alte Soldat Elor Asaria hatte am 24. März 2016 einen verletzt am Boden liegenden palästinensischen Terroristen in den Kopf geschossen. Dieser hatte zuvor einen israelischen Soldaten in Hebron im von Israel besetzten Westjordanland mit einem Messer angegriffen und verletzt. Sanitätssoldat Asaria war vor Ort und versorgte den verwundeten Kameraden – dann fiel der umstrittene Schuss. Der Fall wurde bekannt, weil ein Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation Betselem den Vorfall filmte

Asaria sagte während der Verhandlung, er habe sich von dem 21-jährigen Attentäter bedroht gefühlt. Dieser habe sich noch bewegt und er habe befürchtet, der Mann trage einen Sprengstoffgürtel unter seiner Jacke. Doch Asarias Befehlshaber und ein anderer Sanitäter sagte im Laufe des Prozesses aus, Asaria habe vor Ort gesagt, der Attentäter „verdient es, zu sterben“.

Wie darf, ja, wie soll mit einem Terroristen umgegangen werden? Gerade in den vergangenen Monaten kam diese Frage immer wieder auf: Denn seit Oktober 2015 gingen zahlreiche palästinensische Terroristen meist mit Messern auf Soldaten und Zivilisten los, als „Messer-Intifada“ wurde diese Welle der Gewalt deshalb sogar bezeichnet. 37 Israelis kamen dabei ums Leben sowie mehr als 250 Palästinenser, die meisten von ihnen Terroristen, die noch am Tatort von Sicherheitskräften erschossen wurden.

Eine Umfrage des Israelischen Demokratie Instituts vom vergangenen Jahr zeigt, wie sehr die israelische Gesellschaft sich bei der Frage nach dem Umgang mit Attentätern und damit im Fall Asaria uneins ist. 45 Prozent der Befragten gaben an, es sei besser, einen Terroristen der Justizbehörde zu übergeben, 47 Prozent meinten, jeder Terrorist, der einen Juden angreife, müsse sofort erschossen werden.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass Soldaten und Polizisten zu leichtfertig schießen

Während vor allem Menschenrechtsorganisationen immer wieder kritisieren, Soldaten und Polizisten hätten den Finger zu leicht am Abzug, plädiert Israels Rechte für den sofortigen Tod der Attentäter, ohne juristisches Urteil. Der heutige Verteidigungsminister Avigdor Liebermann (Israel Beitenu) damals noch nicht im Amt, kam am Beginn des Prozesses im vergangenen Jahr zu einer Verhandlung, um Solidarität zu zeigen, Premierminister Benjamin Netanjahu telefonierte mit dem Vater des Angeklagten und gut 2000 Israelis zeigten bei einer Demonstration in Tel Aviv ihre Unterstützung für Azaria.

Der wurde von den Rechten zum Helden stilisiert, er sei das Kind aller Israelis, hieß es in den vergangenen Monaten immer wieder von Unterstützern. Dem widersprach Armeechef Gadi Eisenkot am Tag vor der Urteilsverkündung: „Er ist nicht unser Kind. Er ist ein Kämpfer, ein Soldat, der sein Leben den Aufgaben widmen muss, die ihm gegeben wurden. Wir dürfen uns nicht verwirren lassen.“

Und wie sich ein Soldat zu verhalten habe, das sei klar, sagt Ethikprofessor und Co-Autor des Ethik Kodex’ der israelischen Armee, Asa Kascher. „ Protokolle, Normen und Werte gibt es bereits. Was fehlt, ist ein gewisses Ausmaß an Ausbildung und Training der Truppen. Hier haben wir einen normalen Soldaten, der sich nicht richtig verhalten hat. Nun müssen Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass sich jeder Soldat in jeder Situation angemessen verhält.“

Dass der Fall Asaria, über den in den vergangenen Monaten immer wieder intensiv berichtet wurde, die israelische Gesellschaft nachhaltig prägen wird, glaubt Kascher hingegen nicht. „Die Gesellschaft sieht jetzt, dass sowohl die Befehlshaber als auch die Richter zum gleichen Urteil gekommen sind. Es handelt sich hier um einen Ausnahmefall. In ein paar Wochen glaube ich, wird keiner mehr darüber sprechen.“

Doch in den kommenden Tagen wird der Fall weiter für Wirbel und Schlagzeilen sorgen. Denn das Strafmaß muss erst noch verkündet werden, es wird innerhalb eines Monats erwartet. Für Totschlag drohen Elor Azaria bis zu 20 Jahre Haft, eine Mindeststrafe gibt es nicht.

Es besteht aber die Möglichkeit, dass Azaria von Präsident Reuven Rivlin begnadigt wird. Neben Netanjahu fordern weitere Politiker, darunter der nationalreligiöse Bildungsminister Naftali Bennett (Habait Hajehudi), eine sofortige Begnadigung. Und die Kultur- und Sportministerin Miri Regev (Likud) sandte noch am Nachmittag einen offiziellen Antrag dafür an das Verteidigungsministerium.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false