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Bei ihren Treffen im Dezember 2012 war schon klar: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, r) und der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sind sich in uneins.

© dpa

Israel und Deutschland: Tacheles - in aller Freundschaft

Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kabinett reisen nach Israel und treffen sich dort mit der Regierung von Benjamin Netanjahu. Die Beziehungen waren schon mal besser.

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Wenn es auf der Ebene der Diplomatie um die Beziehungen zu Israel geht, herrscht auf deutscher Seite kein Mangel an großen Worten. Da heißt es zum Beispiel, Israels Sicherheit sei bundesdeutsche Staatsräson. Gern wird auch der Begriff „historische Verantwortung“ bemüht. Zumindest ist aber immer von einem „besonderen Verhältnis“ die Rede, manchmal sogar von Verbundenheit oder gar Freundschaft. Das klingt nach Harmonie. Und so werden auch die am Montag beginnenden deutsch-israelischen Regierungskonsultationen in Jerusalem gerne in der Öffentlichkeit verkauft.

Die Liste der Streitpunkte ist lang

Doch von Eintracht ist man in einigen wichtigen Fragen weit entfernt. Im Gegenteil: Um die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern war es schon mal besser bestellt. Wenn Kameras und Mikrofone abgeschaltet sind, wird Tacheles geredet – in aller Freundschaft, versteht sich. Und das gilt für Deutsche und Israelis gleichermaßen.

Die Liste der Streitpunkte ist lang. Und fast immer steht der Nahostkonflikt im Mittelpunkt. Deutschland wirft der Regierung von Benjamin Netanjahu vor, ihr mangele es an der notwendigen Bereitschaft, auf die Palästinenser zuzugehen, sprich: an Kompromissbereitschaft. Mehr noch. Mit der Siedlungspolitik torpediere Jerusalem den Friedensprozess regelrecht. Permanent würde der Bau von neuen Wohnungen in den besetzten Gebieten genehmigt. Das schaffe in unzulässiger Weise Fakten. Was inzwischen sogar die Kanzlerin als erklärte Freundin Israels ziemlich erzürnt. Legendär ist etwa ein lautstarkes Telefongespräch zwischen ihr und Netanjahu, bei dem Angela Merkel deutlich machte, was sie von den Bauaktivitäten hält: nichts.

Streit um Forschungsförderung

Auch deshalb will Deutschland bei der Forschungsförderung mit Brüssel gemeinsame Sache machen. Neue EU-Richtlinien sehen vor, dass europäisches Geld nicht in besetzte Gebiete fließen darf. Denn anderenfalls würde Europa, so die Lesart, den umstrittenen wie völkerrechtswidrigen Siedlungsbau quasi mitfinanzieren. Israel wiederum empfindet das Vorhaben als Affront, weil über diesen Weg bereits Grenzen festgelegt würden. Ganz abgesehen davon, dass dem Land viele Millionen Euro entgehen könnten.

Überhaupt sind Israels Regierende davon überzeugt, dass der Siedlungspolitik sowohl von Amerika als auch Europa und Deutschland ein viel zu großer Stellenwert beigemessen wird. Die Palästinenser dagegen könnten tun und lassen, was sie wollten. Deshalb hat man in Jerusalem das Gefühl, gerade Berlin messe dem „besonderen Verhältnis“ allzu oft kaum noch Bedeutung bei. Vor allem nicht, wenn es darauf ankommt. Netanjahu hat zum Beispiel bis heute nicht vergessen, dass sich die Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen der Stimme enthalten hat, als Palästina den Status eines Beobachterstaates beantragte. Jerusalem war zwar von den Deutschen frühzeitig vorbereitet worden, hatte aber dennoch mit einem klaren Nein gerechnet. Umso größer war die Enttäuschung, ja der Zorn.

Eklat um Schulz

Der Eklat um den Auftritt von Martin Schulz, dem EU-Parlamentschef aus Deutschland, vor der Knesset, hat viele israelische Kritiker in ihrem Unmut bestärkt. Der SPD-Politiker hatte unter anderem moniert, Israel würde den Palästinensern viel weniger Wasser zugestehen als seinen eigenen Bürgern. Da er seinen Vorwurf auf ungeprüfte Zahlen stützte, verließen rechtsgerichtete Parlamentarier um Wirtschaftsminister Naftali Bennett schimpfend den Saal. Schulz, obgleich als Vertreter der EU erschienen, galt ihnen als Vertreter Deutschlands. Und als solcher hätte er sich mit „ungerechtfertigten Anschuldigungen“ gefälligst zurückhalten müssen. Beim Besuch Merkels und ihres Kabinetts will die israelische Regierung die Schulz-Rede allerdings nicht mehr zum Thema machen.

Die fünften deutsch-israelischen Regierungskonsultationen sollen vielmehr die Wogen glätten. Dafür hat Merkel, die mit ihrem fast kompletten Kabinett nach Jerusalem reist, einiges im Gepäck, was die Wertschätzung für Israel demonstrieren soll. So wird Arbeitsministerin Andrea Nahles eine neue gesetzliche Regelung bei den Renten für ehemalige jüdische Ghetto-Arbeiter vorstellen. Diese soll sicherstellen, dass die Betroffenen die ihnen zustehende Alterssicherung nun endlich vollständig erhalten. Bislang haben die Rentenversicherer nur einen Teil der Beträge ausgezahlt, weil das Sozialgesetzbuch dies zuließ. Auch im Konflikt um ein Forschungsabkommen, bei dem Berlin auf Klauseln zum Ausschluss der besetzten Gebiete bestand, zeichnet sich eine Lösung ab: Es soll durch eine Liste der beteiligten Forschungseinrichtungen ergänzt werden.

Historische Verantwortung

Von der Bundesregierung erwarten die Gastgeber allerdings, dass sie harten europäischen Druck gegen Israels Umgang mit den besetzten Gebieten etwa in Form von Boykotten zuverlässig verhindert – wegen Deutschlands besonderer historischer Verantwortung. Die nimmt vor allem Angela Merkel sehr ernst. Das hat ihr ungeachtet aller politischen Differenzen in Israel große Wertschätzung im ganzen Land und auch der Regierung eingebracht. Kein Wunder also, dass die Kanzlerin am Dienstag von Präsident Schimon Peres mit dem höchsten Orden des jüdischen Staates ausgezeichnet wird – wegen ihres glaubhaften Engagements für die deutsch-israelische Freundschaft.

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