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Nach dem Versöhnungsabkommen zwischen Israel und der Türkei war am Sonntag eine erste Hilfslieferung für die Palästinenser im Gazastreifen angekommen. Das Eintreffen des mit Lebensmitteln, Kleidung und Kinderspielzeug beladenen Frachters „Lady Leyla" (Bildmitte) wurde im Hafen der israelischen Küstenstadt Aschdod von zahlreichen Fotografen beobachtet.

© Amir Cohen/Reuters

Israels Abkommen mit der Türkei: "Der Deal ist furchtbar"

Das Abkommen zwischen Israel und der Türkei beendet die jahrelange Eiszeit zwischen beiden Staaten. Doch in der israelischen Bevölkerung kommt es nicht gut an.

Für Zehava Shaul ist das Abkommen mit der Türkei eine persönliche Niederlage. Als bekannt wurde, auf was sich die beiden Länder geeinigt haben, ist ihre Familie mit Plakaten und einem Zelt vor die Residenz von Premierminister Benjamin Netanjahu gezogen. Seither sitzt sie tagsüber dort, aus Protest, auf ihrem weißen T-Shirt ist das Bild ihres Sohnes Oron gedruckt, um sie herum hängen Plakate, die sein Gesicht zeigen.

„Der Deal ist furchtbar“, sagte sie wenige Stunden, bevor das Sicherheitskabinett am vergangenen Mittwoch dem Abkommen zustimmte. Erschöpft sah sie aus, Tränen standen in ihren Augen. Sie war sicher, dass in dem Abkommen vereinbart wird, dass ihr im Gazakrieg 2014 verschollener, wohl getöteter Sohn nun zurückgebracht wird – zusammen mit dem anderen vermissten Soldaten Hadar Goldin.

„Seit zwei Jahren haben wir den Premierminister immer wieder getroffen und er hat uns jedes Mal versprochen, alles zu tun, um unsere Söhne zurückzuholen. Aber nichts ist passiert“, so Zehava Shaul. „Wie kann man humanitäre Hilfe für Gaza zusagen, ohne selbst etwas zurückzubekommen?“

Doch es sind nicht nur die Familien von Oron Shaul und Hadar Goldin, die verärgert sind. Viele Israelis sehen in dem Deal vor allem deswegen eine Niederlage, weil Israel sechs Jahre nach der Erstürmung der "Marvi Marmara" eine Millionenentschädigung an die Hinterbliebenen der getöteten Türken zahlen wird. Der Vorfall, bei dem acht türkische Aktivisten getötet wurden, hatte die diplomatische Eiszeit zwischen den beiden Staaten ausgelöst.

„Ich bin nicht gegen eine diplomatische Annäherung. Aber wir sollten uns nicht bei der Türkei entschuldigen. Wir wissen doch, dass wir damals richtig gehandelt haben“, sagt der 36-jährige Tal David und fasst damit zusammen, was viele in Israel denken. Sie sind nicht per se gegen die Annäherungen, sondern gegen das, was das Abkommen impliziert: eine Entschuldigung bei der Türkei in Form von Entschädigungszahlungen.

Auch für Gilad Sharon, Sohn des ehemaligen Premierministers Ariel Sharon, ist es eine Frage der Würde. In einem Kommentar auf der israelischen Nachrichtenseite Ynet schreibt er: „Wenn sich jemand entschuldigt und die andere Seite entschädigt, dann doch nur, weil er unangemessen, gegen das Gesetz und unfair gehandelt hat. Ich wäre also dankbar, wenn das Kabinett erklären könnte, für was genau wir uns eigentlich entschuldigen. Sogar die Vereinten Nationen sind zu dem Schluss gekommen, dass es Israels Recht war, die Seezufahrt nach Gaza zu blockieren. Was genau also bereuen wir? Was ist unsere Sünde?“

Die Entschädigungszahlungen verärgern auch Israelis, die politisch eher links stehen – allerdings aus einem anderen Grund: „Netanjahu sollte sich zuerst bei uns, beim Volk entschuldigen“, sagt der 34-jährige Sinai Gez, der sich selbst als ein „Linker“ bezeichnet. „Jahrelang haben sie uns weisgemacht, dass es sich damals um einen Terroranschlag handelte und wir uns dagegen wehren mussten. Das war dann wohl doch eine Lüge.“ Auch wenn er die diplomatische Annäherung nicht ablehnt, so sieht er die Türkei nicht als den wichtigsten Partner Israelis. „Erdogan ist nicht gerade ein großartiges Beispiel für eine demokratische Führungspersönlichkeit. Wichtiger sind für uns doch die Beziehungen zu anderen europäischen Staaten und zu den USA.“

Israelische Geschäftsleute mit Verbindungen in die Türkei hingegen sind erfreut über das Abkommen, sie erwarten, dass das Investment von israelischen Firmen in der Türkei und umgekehrt zunimmt. „Um langfristig in einem andern Land zu investieren, braucht es gegenseitiges Vertrauen“, erklärt Menashe Carmon, Vorsitzender des israelisch-türkischen Wirtschaftsrates und Industrie- und Handelskammer. Das Abkommen könnte genau dieses Vertrauen, auch auf Seiten der Wirtschaft, wieder herstellen.

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