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Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei, auf einem Lastenfahrrad auf der Einkaufsstraße Zeil in Frankfurt am Main

© Malte Heidorn

Wahlkampfhilfe aus Berlin: "Ist das Bsirske?"

Die Linke im Westen erreicht nicht die Massen – wie der Parteivorsitzende Bernd Riexinger auf seiner Sommertour in Hessen erfährt. Gegen eine Splitterpartei, die sich Italiens Antipolitiker Beppe Grillo zum Vorbild genommen hat, und das Mega-Event Ironman kommt die Linke nicht an.

Von Matthias Meisner

Der Bundesvorsitzende der Linken ist gekommen, aber das scheint fast egal zu sein. Willi van Ooyen ist klar, dass die Aktion mit Bernd Riexinger an diesem schwülen Tag an der Hauptwache in Frankfurt nicht viel bringen wird. Um „gute Arbeit und Würde im Handel“ soll es gehen. Aber hier werde halt „sehr schnell durchgegangen“, sagt Ooyen, Fraktionschef im Wiesbadener Landtag, entschuldigend zur Begrüßung des Parteichefs, der in Hessen seine Sommertour beginnt.

Wenn die Resonanz auf die Wahlkampfhilfe aus Berlin am Beginn von Deutschlands umsatzstärkster Einkaufsstraße Zeil als Gradmesser gelten kann, wird es am 22. September sehr eng für die Linke in Hessen. Sie war 2008 erstmals ins Landesparlament eingezogen, konnte ihre Präsenz 2009 nach Andrea Ypsilantis gescheiterten Linksbündnis-Plänen ein Mal verteidigen. Jetzt, elf Wochen vor der Wahl, sind zur Enthüllung eines Großtransparents mit Riexinger gerade mal sechs, sieben Leute da. Schon früher die Lautsprecher aufgedreht hat nebenan eine dubiose Splitterpartei, die sich Italiens Antipolitiker Beppe Grillo zum Vorbild genommen hat. Und tausendmal wichtiger als Wahlkampf ist auf dem Platz das Mega-Event Ironman, auf das sich die Stadt mit einem Verkaufsstand für Laufschuhe, Bier- und Pizzabuden und Kinderkarussell rüstet. Ein Genosse in kurzen Hosen und mit zu kleinem roten Käppi verteilt Flugblätter. Franziska von der Linksjugend, Haare blau und violett gefärbt und mit großen Tattoos an den Oberarmen, reicht dem Bundesvorsitzenden das Mikrofon. Der spricht nur kurz, über Verkäuferinnen, die mit 1300 Euro nicht vernünftig leben können, und gegen „Befristerei und ständige Unsicherheit“ in der Branche. Die Genossen applaudieren artig. Eine Passantin ist schließlich doch stehen geblieben. „Ist das Bsirske?“

So falsch ist das gar nicht. Bevor Riexinger vor gut einem Jahr gemeinsam mit Katja Kipping den Vorsitz der Linken übernommen hat, war er zwar nicht Chef der Dienstleistungsgewerkschaft, jedoch deren Stuttgarter Bezirksleiter. Für das Parteiamt hat ihn Verdi beurlaubt. Wenn Riexinger jetzt kämpft um die Konsolidierung der Linken, dann spielt für ihn auch die Verankerung in den Gewerkschaften eine Rolle. Viel Kredit sei verspielt worden, als sich die Genossen im Dauerstreit befanden, sagt er. Den Gewerkschaftsfunktionär will er nicht abschütteln.

Zwar hat der Betriebsrat von Amazon in Bad Hersfeld eine Verabredung platzen lassen. Riexinger bekommt Ersatz beim „China-Paradies“ gegenüber dem Frankfurter Gewerkschaftshaus: Ein südhessischer Verdi-Funktionär diskutiert mit ihm die Lage im Einzelhandel. Und schließlich spaziert Riexinger über die Zeil zu Karstadt, wo die Lage besonders bedrohlich ist – weil Investor Nicolas Berggruen nicht investiert. Riexinger dreht ein paar Runden auf dem parteieigenen Lastenfahrrad. Er will es erst nicht glauben – aber tatsächlich unterbrechen die Betriebsräte des Kaufhauses für ihn eine Sitzung. Kein Mikrofon, bestimmt Riexinger, damit die Personalvertreter nicht noch Ärger bekommen. Viele in der Belegschaft hätten Angst, bestätigt deren Chef. „Ganz toll, wie ihr da kämpft“, sagt Riexinger, „auf uns könnt ihr bauen.“ Mit seinem Tross zieht er ins nächstbeste Lokal, bestellt einen Latte Macchiato und einen großen Apfelwein, den Blicken des Kellners ob dieser Kombination standhaltend. „Das war schon super, gigantisch“, bejubelt er die paar Minuten mit den Betriebsräten.

Am Vortag hat er in Kassel unerwartet viel Zeit für die Landtagsabgeordnete Marjana Schott. Sie hat ein Treffen mit Migrantenvereinen liebevoll vorbereitet, holt gefüllte Weinblätter, Oliven und Schafskäse aus dem Einkaufskorb. Nur von den Migranten ist keiner da – mit erheblicher Verspätung kommt schließlich der Chef des Ausländerbeirates ins Klubhaus des FC Bosporus. Schott sagt, wie schwierig es sei für die Linke in den ländlichen Räumen, „im Vogelsberg, im Odenwald und in der finsteren Rhön“. Und dann der Lagerwahlkampf zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün – beide Blöcke beinahe gleichauf, die Hessen-Linke zerrieben. „Die Hölle“, meint Schott. Später darauf angesprochen, wie gut er die organisatorische Panne verkraftet habe, gibt sich Riexinger nachsichtig. Die Verankerung im Westen sei eben nach wie vor schlecht. Gleich nach der Wahl wolle er jedoch den Parteiaufbau forcieren. „Aber sicher ist: Im Osten würde so etwas nie passieren.

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