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Politik: Italien geht gegen Roma vor

Stimmung gegen die „nomadi“ kippt / Auch Roms Bürgermeister schlägt harte Töne an / Rechtsextreme greifen zur Selbstjustiz

Nach dem Mord an einer 47-jährigen Römerin kippt in Italien die Stimmung gegenüber den Roma. Während die Sicherheitsbehörden großer Städte die ersten „nomadi“ zwangsweise in ihre rumänische Heimat zurückschicken, greifen in der Hauptstadt einige Bürger zur Selbstjustiz. Wohl aus Rache für den Mord an der von einem rumänischen Roma überfallenen und nach zweitägigem Koma gestorbenen Giovanna R. hat eine selbsternannte römische „Bürgerstreife“ am Freitagabend vor einem Supermarkt einige Roma überfallen. Drei Personen wurden schwer verletzt. Die mit Schlagstöcken und Messern bewaffneten Täter werden dem rechtsextremen Milieu zugerechnet.

Parallel zum Trauergottesdienst für Giovanna R. in Italien fand am Samstag auch in Bukarest ein stark besuchter Solidaritätsgottesdienst für das Opfer statt. Die Prediger wandten sich gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit.

Selbst Bürgermeister Walter Veltroni, der bisher immer die traditionelle römische Toleranz betont hat, schlägt nun harte Töne an. Bis zum EU-Beitritt Rumäniens, sagte Veltroni sogar im Bukarester Fernsehen, sei Rom „die sicherste Stadt der Welt“ gewesen – nun aber komme es zu Gewalt und „echtem Horror“. Rumänische Staatsbürger stünden dabei „absolut an der Spitze“ der Verbrechensstatistik. Wenn Rumänien in der EU bleiben wolle, müsse es „den unerträglich gewordenen Zustrom stoppen“. Veltroni kritisiert sowohl die bis Mai 2006 amtierende Regierung Berlusconi als auch die nachfolgende Regierung des eigenen Lagers: Beide hätten nicht vom EU-Recht Gebrauch gemacht, die Zuwanderung aus neuen Mitgliedsstaaten zu beschränken.

Veltroni, der neue starke Mann der Mitte-links-Koalition, gilt auch als Vater der Eilmaßnahmen von Romano Prodis Regierung: Ohne die langwierige Parlamentsdebatte zum neuen „Sicherheitspaket“ abzuwarten, hat das Kabinett per Dekret die Ausweisung aller EU-Bürger ermöglicht, die eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ darstellen. In den nächsten Monaten sollen mehrere tausend Menschen auf diese Weise abgeschoben werden. Aus Mailand und Turin sind die ersten Roma bereits ausgewiesen. Schon für 2006 verzeichnete Italien eine Zunahme der Einwanderung insgesamt um 21,6 Prozent gegenüber 2005; das ist ein Rekordwachstum in Europa. Der Ausländeranteil liegt nun bei 6,2 Prozent (in Deutschland 8,9 Prozent), Rumänen stellen davon mit 550 000 Mitgliedern die bei weitem größte Ausländergruppe. Schätzungen zufolge lebten am Vorabend des rumänischen EU-Beitritts allein in Rom acht- bis zehntausend „nomadi“; neuere Zahlen sind nicht verfügbar.

Die Roma lassen sich auf Industriebrachen oder am Ufer des Tiber nieder. Aus der Luft hat die Polizei zuletzt 74 dieser illegalen Slum-Siedlungen gezählt; allein den Fluss entlang erstrecken sie sich auf sechs Kilometer Länge. Die Stadt lässt zwar immer wieder Bagger auffahren und Baracken abreißen und hat für einige tausend Roma auch eigene Containersiedlungen errichtet, aber sie kann den starken Zuwanderungsdruck nicht mindern.

Anders als Deutschland schickt Italien bisher auch EU-Bürger ohne eigene Existenzgrundlage nicht in ihre Heimat zurück. Gerade diese Duldung ist einer der ersten Gründe, warum es Roma nach Italien zieht. Sie leben hier – nach Polizeiangaben – vom Betteln, von Diebstahl und Raub, von Prostitution und Gelegenheitsarbeiten. Besondere Aufregung haben zuletzt die Überfälle auf den Regisseur und Oscar-Preisträger Giuseppe Tornatore („Cinema Paradiso“) und auf einen 60-jährigen Radfahrer ausgelöst, der nach mehrwöchigem Koma seinen Verletzungen erlag.

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