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Politik: Italien: Zwei Millionen üben den Spagat

Eigentlich ist der Zirkus Maximus eine heruntergekommene Grünfläche mitten in Rom auf der man Sport treibt und auf der sich abends Liebespärchen treffen. Vor 2000 Jahren saßen auf diesem ovalen Platz 200 000 Menschen und schauten sich Pferderennen an.

Eigentlich ist der Zirkus Maximus eine heruntergekommene Grünfläche mitten in Rom auf der man Sport treibt und auf der sich abends Liebespärchen treffen. Vor 2000 Jahren saßen auf diesem ovalen Platz 200 000 Menschen und schauten sich Pferderennen an. Am gestrigen Samstag kamen mit 950 Bussen, 62 Sonderzügen und zwei Schiffen rund zwei Millionen Menschen zum Zirkus Maximus. So viele, dass nicht nur der riesige Platz unterhalb des Hügels mit den grandiosen Resten der antiken Kaiserpaläste voll von Menschen war, sondern auch in weiten Teilen der Innenstadt der Verkehr zum Erliegen kam.

Dem Ruf des größten italienischen Gewerkschaftsverbandes CGIL waren weitaus mehr Menschen gefolgt als erwartet. Mit dem Ergebnis, dass zu wenige Toiletten bereitstanden und an den Imbissbuden das Mineralwasser schon bald ausging. Tausende vor allem rote Gewerkschaftsfahnen flatterten im kräftigen Wind. Es herrschte Volksfeststimmung, und die Sonne schien dazu. "Man hat den Eindruck", meinte Piero Fassino, Chef der Linksdemokraten, "dass der liebe Gott auf unserer Seite steht".

Um kurz vor 13 Uhr wurde eine Schweigeminute für Marco Biagi eingelegt, den von den neuen Roten Brigaden vor einigen Tagen in Bologna kaltblütig ermordeten Regierungsberater. "Es ist schon ergreifend", so der prominente Regisseur Gillo Pontecorvo mit Tränen in den Augen, "wenn soviele Menschen still zusammenstehen".

Nach dem Attentat in Bologna entschied sich CGIL-Chef Sergio Cofferati aus der Veranstaltung gegen das neue Arbeitsschutzgesetz der Mitte-Rechts-Regierung auch einen, so Cofferati, "Aufschrei gegen den Terrorismus" zu machen. Gekommen waren Gewerkschaftler aus ganz Italien, die Sekretäre fast aller Oppositionsparteien und Tausende Globalisierungsgegner.

Cofferati forderte mehr Sozialpolitik für Italien. "Ich spreche mich gegen den neuen Egoismus aus", so der CGIL-Chef, "der von dieser Regierung propagiert wird". Er bezeichnete die Reform des Artikels 18 des Arbeitsschutzgesetzes, mit dem die Regierung Berlusconi Entlassungen ohne Begründung erleichtern will, "einen Angriff auf unseren Stolz und auf unser Recht auf Arbeit". Als er dazu aufrief, "so lange Generalstreiks zu organisieren, bis diese Reform gestrichen wird", entlud sich ein Applaus, der in der ganzen Innenstadt zu hören war.

Die Demonstration wurde von Regierungsvertretern, wie beispielsweise Arbeitsminister Roberto Maroni, mit einem "müden Lächeln" kommentiert. Ministerpräsident Silvio Berlusconi nahm keine Stellung. Der Christdemokrat Rocco Buttiglione bezeichnete die Demonstration als "ideologisch viel zu links unterwandert".

Tatsache ist, dass die vielen Demonstranten doch Eindruck auf die Regierung gemacht haben. Am Samstag vormittag, noch vor der Demonstration, bat Minister Maroni die Gewerkschaftsführer für Dienstag in sein Ministerium. Man solle doch, so Maroni, "noch einmal über das neue Arbeitsschutzgesetz diskutieren". Cofferati antwortete auf diese Einladung in seiner Ansprache. "Wir werden gern kommen, Herr Minister", rief der Gewerkschaftschef in die applaudierende Menschenmenge, "aber nur dann, wenn Sie bereit sind, Ihre Reform des Artikels 18 über den Haufen zu werfen".

Thomas Migge

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