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Politik: IWF-Jahrestagung: Der Prager Herbst - Protestler und IWF scheinen Welten zu trennen. Dabei hätten sie sich etwas zu sagen

Früher, wenn "die Zigeuner" kamen, warnte man die Leute, sie sollten die Wäsche von der Leine nehmen, und Türen wie Fenster dicht machen. In Prag warnen die Behörden jetzt ebenso vor den Politnomaden der Postmoderne: Die Zivilgesellschaft macht hier mobil.

Von Caroline Fetscher

Früher, wenn "die Zigeuner" kamen, warnte man die Leute, sie sollten die Wäsche von der Leine nehmen, und Türen wie Fenster dicht machen. In Prag warnen die Behörden jetzt ebenso vor den Politnomaden der Postmoderne: Die Zivilgesellschaft macht hier mobil.

20 000 Protestierende sind unterwegs, um das Jahrestreffen von 18 000 Vertretern der internationalen Finanzorganisationen Weltbank und Weltwährungsfonds (IMF) aufzumischen, das vom 26. bis 28. September dauert. Einen Gegengipfel soll es geben, organisiert per Handy, Fax und Internet. Zitternd werden Grassroot-Gruppen, Umweltorganisationen und Dritte-Welt-Aktivisten erwartet, sie kommen im Konvoi, per Rad, mit der Bahn. Die tschechischen Grenzer und die Prager Polizisten sind nervös. Einheimische sollen in den Häusern bleiben, und wenn sie schon auf die Straße müssen, dann sollen sie dem Gespräch mit den Polit-Invasoren ausweichen. 10 000 Polizisten sind in Bereitschaft, das Schlimmste zu verhindern.

"Hysterisch" nennen Beobachter die offiziellen Vorab-Reaktionen, und das nicht zu Unrecht. Denn bei vergangenen Massendemonstrationen zum Thema, etwa in Seattle im November 1999 oder in Washington im April 2000, sah der Aktivismus weniger nach krimineller Energie aus als nach einer Art Ballungsraum politisch inspirierter und gewaltfreier Happenings. Trotz aller Krawalle ging dann auch die Weltwirtschaft ungestört weiter. In Seattle aber wurde so hart gegen die 50 000 Demonstranten durchgegriffen, dass selbst Präsident Clinton einräumte, die jungen Leute hätten doch manche guten Argumente, die man ruhig anhören könne.

Wer soll da wem zuhören? Interessant in der Diktion derer, die sich kirre machen lassen, ist ein spaltender Grundton: "Die" und "wir" heißen die Parteien auf den beiden Seiten der Barrikade. "Die", das sind die verwirrten Anarchos, Globalisierungsgegner und jungen Wilden, die nichts zu verlieren haben. "Wir" besteht aus den Etablierten, den global players, "wir" ist die offizielle Welt der Konteninhaber und Banken. Und so antagonistisch sehen das beide Seiten.

Der Gegensatz - hier Ausbeuter, da die Anwälte der ausgebeuteten Menschen und Natur - wirkt ziemlich übersichtlich. Doch es gibt einige amüsante Widersprüche in diesem welthistorisch relativ neuen Szenario. Denn erstens ist es gerade die Bastion der Neoliberalen in der Wirtschaftslandschaft, die ohne Ermüdung mehr "Zivilgesellschaft" statt Staat fordert, und die nun mit einem Zuviel an Zivilgesellschaft konfrontiert wird: Sofort ruft sie die staatliche Exekutive dagegen auf den Plan. Und zweitens sind die Gegner der Globalisierung auf nichts so stolz wie auf ihre globale Vernetztheit. Wir sind viele, wir kennen keine Grenzen und Rassen, wir kommen aus über hundert Ländern! rufen sie aus.

Sicher verstehen die offiziellen Advokaten der Zivilgesellschaft darunter etwas anderes als die "Kinder von Seattle". Denen, die nach Zivilgesellschaft rufen, um den Staat zu entlasten, geht es um freiwillige Altenpflege und privat finanzierte Schulen, um das Drosseln von Sozialabgaben unter dem Label "mehr Partizipation". Die Aktivisten, die sich als Teil einer weltweiten Zivilgesellschaft verstehen, wollen Staaten und Wirtschaft an ihre soziale, humanitäre Verantwortung erinnern. Daher auch ihr Ruf nach mehr Entwicklungshilfe. Dass Milliarden solcher Hilfe oft korrupten Regimes in die Tasche fallen, und von dort auf Schweizer Konten landen, dürfte durchaus auch Thema der Gegenbewegung sein. Echte Entwicklungshilfe, gebunden an Menschenrechte und Demokratie, ist das beste globale Projekt, das es geben kann. Von so etwas profitiert auch die Wirtschaft, und da wäre gegen Globalisierung so wenig einzuwenden wie gegen jene globalisierte Solidarität, die die bunten Gruppen jetzt in Prag demonstrieren.

Tatsächlich hätten sich beide Seiten eine Menge zu sagen, wenn sie, statt Antagonismen zu schüren, einander pragmatisch zuhörten. An den Rändern beider Gruppen, wo die Intelligentesten einander begegnen, passiert das schon.

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