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Augstein und Broder streiten – und in Los Angeles freut derjenige, der den Streit angezettelt hat.

© dpa/dapd

Jakob Augstein in der Kritik: „Augstein schuldet dem jüdischen Volk eine Entschuldigung“

Zwei Männer in Deutschland streiten – und in Los Angeles freut sich ein dritter. Das Wiesenthal-Zentrum bleibt bei seinem Antisemitismus-Vorwurf gegen Jakob Augstein. Experten halten diesen für überzogen.

„Wir begrüßen es, dass jetzt so viel über unsere Entscheidung diskutiert wird“, sagt Rabbiner Abraham Cooper vom Simon-Wiesenthal-Zentrum. Die US-Menschenrechtsorganisation hat den Publizisten Jakob Augstein auf Platz neun einer Liste der zehn übelsten Antisemiten weltweit gesetzt und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Die zwei streitenden Männer, das sind Augstein, der die Vorwürfe als diffamierend zurückweist, und Autor Henryk M. Broder, auf dessen Aussage, Augstein sei ein „lupenreiner Antisemit“, sich das Wiesenthal-Zentrum unter anderem beruft.

Doch die Diskussion allein reicht Cooper noch nicht aus. „Augstein schuldet seinen Lesern und dem jüdischen Volk eine Entschuldigung“, fordert er im Interview mit dem Tagesspiegel. Er habe Israels orthodoxe Juden „beleidigt“, indem er die Gemeinschaft mit islamistischen Extremisten verglichen und damit Antisemitismus befördert habe. „Sicher darf Israel kritisiert werden. Wer dies tut, ist per se kein Antisemit.“ Doch Menschenrechtler Natan Sharansky habe für das Wiesenthal-Zentrum Kriterien erarbeitet, an denen festgemacht werde, wann Kritik in Antisemitismus umschlage. „Entscheidend dafür sind drei ,Ds’: Wenn Doppelmoral, Dämonisierung und Delegitimation genutzt werden, wird eine Grenze, eine rote Linie überschritten.“ Genau das habe Augstein in seinen Artikeln getan. „Er bringt mit seinen Aussagen keine neue Perspektive in die Debatte, sondern Feindseligkeit“, begründet Cooper die Entscheidung, den Deutschen in eine Reihe mit den Muslimbrüdern, den schwarzen Hassprediger Farrakhan oder Irans Präsident zu setzen.

Michael Wolffsohn allerdings hält derartige „schwarze Listen“ grundsätzlich für „unanständig und gefährlich“ – auch, weil dadurch die Maßstäbe verrutschten. „Augstein überschreitet zwar mit seiner Haltung gegenüber Israels Politik oft genug die Grenzen des guten Geschmacks. Doch in eine Reihe mit griechischen Hardcore-Nazis oder judenhassenden Islamisten gehört er keinesfalls“, betont der Münchener Historiker.

Stumpfe Waffe: der Antisemitismus-Vorwurf wird inflationär eingesetzt

Das sieht Salomon Korn, Vizepräsident des Zentralrats der Juden, ähnlich. Das Wiesenthal-Zentrum sei offenbar in Broders Fahrwasser geraten, sagte er Deutschlandradio Kultur. Die Organisation hätte jedoch besser daran getan, sich eine eigene Meinung zu bilden. Wolffsohn geht sogar noch einen Schritt weiter: Er stellt die Seriosität des Simon-Wiesenthal-Zentrums generell infrage. „Das sind Krachmacher. Denn Krachmachen bedeutet Aufmerksamkeit. Und die wiederum ist gut, wenn es um die Einwerbung von Drittmitteln geht.“ Mit der Integrität ihres Namensgebers habe die Organisation nichts gemein. „Ich halte das Simon-Wiesenthal-Zentrum analytisch und intellektuell für irrelevant.“

Im Zusammenhang mit der jetzt aufgeflammten Augstein-Debatte moniert Wolffsohn zudem, dass der Antisemitismus-Vorwurf mittlerweile inflationär eingesetzt werde. „Diese Waffe wird stumpf und damit unwirksam, wenn man sie zu oft einsetzt.“ Eine Einschätzung, die Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin teilt. Schon seit längerem sei eine fast unverhältnismäßig anmutende Verwendung des Begriffs Antisemitismus zu beobachten. „Dies birgt die große Gefahr, dass der Inhalt zunehmend verwässert, ja banalisiert wird.“ Augsteins Aussagen über Israel seien zwar höchst fragwürdig, zum Beispiel wenn er in einer seiner Kolumnen ultraorthodoxe Juden mit islamischen Fundamentalisten auf eine Stufe stelle, sagt Wetzel. Aber antisemitisch wären derartige Vergleiche erst, wenn der Verleger des „Freitag“ zum Beispiel behauptete, die Orthodoxen oder extremistische Siedler würden den Palästinensern das Gleiche antun wie die Deutschen in der Nazizeit den Juden. „Damit würde man den Holocaust in unzulässiger Art und Weise trivialisieren – ganz abgesehen von einer gefährlich verzerrenden Täter-Opfer-Umkehr.“

Dennoch sei nicht zu leugnen, dass Kritik an Israel immer häufiger als Plattform genutzt werde, um sich dem Antisemitismus-Vorwurf zu entziehen und dennoch Judenfeindliches von sich zu geben, sagt Wetzel. Doch sogar in diesen Fällen ist laut Wetzel bei der Bezichtigung, der Betreffende habe ein geschlossenes judenfeindliches Weltbild, zunächst Vorsicht geboten. „Nicht jeder, der antisemitische Klischees mit seinen Aussagen bedient, muss zwingend ein überzeugter Antisemit sein.“ Dieser Hinweis wird Jakob Augstein derzeit wohl kaum etwas nutzen. Konkrete Folgen wie Einreiseverbote oder Ähnliches hat die Liste vermutlich zwar nicht, aber sie ist in der Welt. Und mit ihr der Vorwurf, er sei ein Antisemit.

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