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Politik: Javier Solana soll als neuer Generalsekretär Leben in das eingeschlafene Militärbündnis bringen

Kaum hat er sich in seinem Büro im mächtigen Gebäude des EU-Ministerrats an der Brüsseler Rue de la Loi niedergelassen, muss er sich schon wieder an einem neuen Schreibtisch einrichten. Der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier Solana, der erst vor wenigen Tagen in Brüssel auf den neugeschaffenen Posten des "Hohen außenpolitischen Repräsentanten der EU" gewechselt ist, übernimmt heute offiziell ein zweites wichtiges Amt in der europäischen Außenpolitik.

Kaum hat er sich in seinem Büro im mächtigen Gebäude des EU-Ministerrats an der Brüsseler Rue de la Loi niedergelassen, muss er sich schon wieder an einem neuen Schreibtisch einrichten. Der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier Solana, der erst vor wenigen Tagen in Brüssel auf den neugeschaffenen Posten des "Hohen außenpolitischen Repräsentanten der EU" gewechselt ist, übernimmt heute offiziell ein zweites wichtiges Amt in der europäischen Außenpolitik. Kaum 1000 Meter Luftlinie von seinem ersten Schreibtisch entfernt, wird Solana heute Morgen in einem unscheinbaren Bürogebäude in der Nähe des malerischen Sablon-Platzes, mitten in der Brüsseler Innenstadt, als neuer Generalsekretär der Westeuropäischen Union (WEU) die Nachfolge des Portugiesen Jose Cutileiro antreten, der das Verteidigungsbündnis der EU bislang geführt hatte.

Die von den EU-Regierungschefs beschlossene Personalunion zwischen WEU-Generalsekretär und Hohem Repräsentanten der EU-Außenpolitik nimmt vorweg, was eigentlich längst beschlossen, aber wohl erst Ende nächsten Jahres Wirklichkeit werden wird: Die Verschmelzung der Westeuropäischen Union (WEU), dem Militärbündnis von 10 EU-Staaten, mit der Europäischen Union. Auf seinem Brüsseler Doppelposten wird Javier Solana in den kommenden Monaten ein organisatorisch-diplomatisches Kunststück versuchen müssen, das geradezu einer Quadratur des Kreise gleichen wird: Die Integration von zwei europäischen Institutionen, die bisher Welten und unterschiedliche außenpolitische Glaubenssätze ihrer Mitglieder getrennt haben.

Denn der WEU gehören bekanntlich nur 10 der 15 EU-Staaten an. Die vier neutralen EU-Mitglieder - Österreich, Finnland, Irland, Schweden - und auch das Nato-Land Dänemark haben sich bisher aus grundsätzlichen, bei vielen auch verfassungsrechtlichen Gründen von dem europäischen Militärbündis ferngehalten, das schon in den Fünfziger Jahren in einen tiefen Dornröschenschlaf verfallen war. Sie haben sich bisher mit einem distanzierten "Beobachterstatus" in der WEU begnügt.

Andere dagegen wollen keineswegs in Distanz zur WEU gehen. Im Gegenteil: Sie wollen möglichst eng beteiligt sein. Mitglieder können sie dennoch nicht werden. Jene, die wollen, aber nicht dürfen, sind die Nato-Staaten, die nicht EU-Mitglieder sind: Norwegen, Island, die Türkei, Ungarn, Polen und Tschechien.

Die EU-Mitgliedschaft ist jedoch die Vorbedingung für den Beitritt zur WEU. Die Nato-Freunde könnten also allenfalls "Assoziierte Mitglieder" mit Rederecht, aber ohne Stimmrecht werden. Noch komplizierter ist die Lage der sieben "Assoziierten Partner", die weder der Nato noch der EU angehören. Bulgaren, Esten, Letten, Litauer, Rumänen, Slowaken und Slowenen sitzen am Katzentisch. Sie geben sich der Hoffnung hin, dass sie nach der Integration von WEU und EU dann als "Assoziierte" immerhin einen Fuß in der Tür der begehrten EU haben.

Wie Javier Solana bei aller diplomatischer Erfahrung die schon vor Jahrzehnten in den Tiefschlaf versunkene WEU wieder wachküssen, in die EU einbringen und gleichzeitig alle Bewerber, Anwärter und Assoziierte zufrieden stellen kann, steht noch in den goldenen Sternen, die Europas blaue Fahne schmücken.

Schwierig wird jedoch nicht nur die Lösung der organisatorischen, vertragsrechtlichen und politischen Probleme bei der Integration der beiden Organisationen. Solana gleicht als WEU-Generalsekretär auch einem Feldherrn ohne Armee. Denn außer einem lächerlich kleinen Lagezentrum im Keller des WEU-Bürogebäudes in der Brüsseler Innenstadt verfügt der WEU-Generalsekretär über keine eigenen Truppen.

Immerhin haben die Außen- und Verteidigungsminister der WEU am Dienstag dieser Woche bei ihrer Herbsttagung in Luxemburg konkrete Vorschläge gemacht, wie dem Zustand der militärischen Machtlosigkeit abzuhelfen wäre: Die Staats- und Regierungschefs sollen in zwei Wochen bei ihrem Gipfeltreffen in Helsinki den Zeitplan und die konkreten Schritte beschließen, die zu einer europäischen Eingreiftruppe führen sollen.

In Luxemburg haben die Planer der WEU ihren Ministern aber auch eine Studie auf den Tisch gelegt, die keinen Zweifel daran lässt, dass die Europäer noch einen langen Weg vor sich haben, bevor sie über eine eigenständige Streitmacht verfügen, die zur Absicherung von humanitärer Hilfe, zur Krisenbewältigung, zur Sicherung oder gar zur Erzwingung des Friedens in der Lage sein wird. Bisher nämlich sind die Streitkräfte der WEU-Staaten nur bedingt gerüstet, die so genannten Petersberg-Aufgaben zu übernehmen. Ob in Bosnien oder im Kosovo - ohne die USA wären die Europäer nicht in der Lage gewesen, von Worten zu Taten überzugehen.

Es gehe vorerst nicht darum, neue Truppen aufzustellen, meinte Verteidigungsminister Scharping diese Woche. Entscheidend sei jetzt, die vorhandenen Truppen so zusammenzustellen, auszurüsten und auszubilden, dass sie zur Krisenreaktion tauglich werden. Das schon bestehende 55 000 Mann starke Eurokorps, dem deutsche, französische, spanische, belgische und Luxemburger Truppen unterstellt sind, könnte, so heißt es in der Umgebung Scharpings, den Kern der künftigen europäischen Streitmacht bilden.

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