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Gute Freunde kann niemand trennen: Jean-Claude Juncker (rechts) und Alexis Tsipras.

© dpa

"Mein Freund Alexis Tsipras" und "Hello Diktator": Zu viel Kumpelei bei Jean-Claude Juncker schadet der EU

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ist ein Mann von gestern: Denn er verwechselt Politik mit Gefühl. Das zeigt unter anderem sein kumpelhafter Umgang mit Alexis Tsipras und Viktor Orban. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Moritz Schuller

Jean-Claude Juncker bezeichnete Alexis Tsipras am vergangenen Wochenende als seinen Freund. Vor einem Jahr warnte Juncker die Griechen noch eindringlich vor einer Wahl von Tsipras: „Ich glaube nicht, dass er jetzt, in dieser dramatischen Situation, für Griechenland der richtige Führer ist.“ Dessen Wahl stelle „eine große Gefahr für das Land“ dar. Direkt vor der griechischen Wahl drohte Juncker, inzwischen als EU-Kommissionschef, unverhohlen: „Ich denke, die Griechen wissen sehr genau, was ein falsches Wahlergebnis für Griechenland und die Euro-Zone bedeuten würde.“

Doch Juncker schließt offenbar schnell Freundschaft. Als Tsipras im Februar als Wahlsieger in Brüssel seinen Antrittsbesuch machte, küsste ihn Juncker zur Begrüßung links und rechts und auch zum Abschied und sagte dann, dass er nun „sehr optimistisch“ sei.

Dieser Optimismus endete am Samstag, als sich Juncker offenbar weigerte, mit Tsipras am Telefon zu sprechen. Der griechische Premier hatte aus Sicht von Juncker am Tag zuvor im Parlament in Athen gelogen und auch die ihm für Donnerstag zugesagten Reformvorschläge noch nicht übermittelt. Das Telefongespräch kam nicht zustande, weil es keine „Fortschritte in den Gesprächen gibt“, zitiert der „Spiegel“ einen Kommissionsvertreter. An der Beziehung zu Tsipras ändert das nichts: „Ich habe kein persönliches Problem mit Alexis Tsipras. Er war mein Freund, er ist mein Freund“, sagte Juncker.

"Hallo Diktator!"

Jean-Claude Juncker bezeichnet Viktor Orbán gern als „Diktator“. Zuletzt begrüßte er den ungarischen Regierungschef beim EU-Gipfel zur Ost-Partnerschaft in Riga mit den Worten: „Hallo, Diktator!“ Danach gab er ihm einen freundschaftlichen Klaps auf den Nacken, so wie ein Fußballtrainer einen Spieler bei der Auswechslung aufmuntert. Wenige Tage danach war Juncker, der sich in der Griechenlandfrage stets für den Zusammenhalt der Union ausspricht, bereit, Ungarn aus der EU hinauszuschmeißen: „Wer die Todesstrafe einführt, hat keinen Platz in der Europäischen Union.“

Die Begrüßung in Riga tut der Beziehung der beiden Männer offenbar keinen Abbruch, im Gegenteil, Orbán nannte den Kommissionspräsidenten im Gegenzug „Großherzog“. „Orbán begrüßt Juncker in der Regel so. Das ist schon seit Jahren so“, sagte Orbáns Sprecher Bertalan Havasi.

Demokratische Zahnpasta

Bei der Europawahl im vergangenen Jahr traten zum ersten Mal zwei Spitzenkandidaten an, Martin Schulz und Jean-Claude Juncker. Damit sei, sagte Juncker, „die demokratische Zahnpasta aus der Tube“. „Die alten Zeiten, als der Kommissionspräsident noch von Diplomaten in Hinterzimmern gewählt wurde, sind endgültig vorbei.“ In Wahrheit ist mit Jean-Claude Juncker ein Mann an die Spitze der EU gerückt, der genau so Politik macht: als kumpelhafte Angelegenheit unter Freunden. Dabei ist es vollkommen gleichgültig, ob er meint, mit dem griechischen Premier befreundet zu sein. Erschreckend ist vielmehr Junckers Erwartung, dass ihm Tsipras in diesen Verhandlungen über die griechische Krise als Freund gegenübertritt. Er sei von Tsipras enttäuscht, sagte Juncker, denn um Freundschaft zu bewahren, müsse man „ein paar Mindestregeln einhalten“.

Juncker bewertet das Verhalten der Griechen offenbar nicht in einem politischen oder ökonomischen Rahmen, sondern in einem Beziehungsrahmen. Wenn Tsipras in Milliardenfragen die „Mindestregeln“ ignoriert, bleibt Juncker optimistisch; wenn er sich aber nicht an die Mindestregeln einer vermeintlichen Freundschaft hält, ist Juncker enttäuscht. Offenbar denkt er, es gehe um ihn, statt zu wissen, dass beim Geld die Freundschaft aufhört.

Dass der Kommissionschef der EU meint, er sei ein Freund oder Kumpel der Staats- und Regierungschefs, ist Ausdruck eines grundsätzlichen Missverständnisses. Es geht, natürlich auch auf europäischer Ebene, um den Ausgleich von politischen Interessen, nicht um Zugeständnisse an den einen oder anderen Freund.

Diese Art, Politik zu machen, wäre ein Skandal, wenn die Vermischung von persönlichen und politischen Motiven nicht ein altes Phänomen der EU und ihrer Hinterzimmer wäre. Wer gedacht hatte, dass sich Juncker, der seine Europa-Politik noch unter Helmut Kohl gelernt hat, weiterentwickeln würde, ist längst eines Besseren belehrt worden. Juncker, schrieb die durchaus nicht europafeindliche „Financial Times“, sei ein „Mann von gestern“. Angela Merkel wusste es, David Cameron hat es ausgesprochen, verhindert hat ihn trotzdem niemand.

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